Neuordnung der Lieferketten
Deglobalisierung – nur eine Worthülse oder steckt mehr dahinter?

Lieferketten brechen, Märkte fragmentieren, die Geopolitik drängt Unternehmen zur Neuorientierung. Doch ist der Begriff "Deglobalisierung" wirklich die passende Beschreibung für diese Entwicklungen – oder eher ein unpassender Begriff für eine komplexe Neuordnung?

Über Jahrzehnte galt die Globalisierung als unaufhaltsames Narrativ wirtschaftlicher Vernunft: Wertschöpfungsketten quer über Kontinente, maximal effiziente Produktionsstandorte, Absatzmärkte ohne nationale Schranken. Kaum ein Unternehmen, das sich nicht dem Dogma der Internationalisierung verschrieb – mit China als industriellem Epizentrum.

Doch die Stimmung kippt inzwischen. Die Pandemie entlarvte die Fragilität globaler Lieferketten, Russlands Krieg gegen die Ukraine zwang Europa zur energiepolitischen Kehrtwende, und zwischen den USA und China vollzieht sich eine strategische Entkopplung mit wirtschaftlicher Sprengkraft. In diesem Kontext taucht nun immer wieder ein neuer Begriff auf: Deglobalisierung. Er geistert durch Keynotes, Geschäftsberichte, Talkshows. Doch was ist er – eine analytische Kategorie oder bloß Nebelkerze?

Ja, die Weltwirtschaft stottert ein bisschen

Zunächst zum Begriff selbst: Deglobalisierung suggeriert einen Rückbau, eine Rückabwicklung dessen, was seit den 1980er-Jahren als wirtschaftlicher Fortschritt galt. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass die globale Wachstumsmaschinerie tatsächlich ein wenig stottert. Die Welthandelsorganisation WTO prognostiziert für 2025 einen Rückgang des Welthandelsvolumens um mindestens 0,2 Prozent. Ohne Trumps Zollstreit wären es den Kalkulationen zufolge in etwa drei Prozent mehr. 2026 sei jedoch mit einer moderaten Erholung zu rechnen, die Organisation prognostiziert ein Plus von 2,5 Prozent.

Fest steht jedoch, dass sich die Qualität und Richtung der Globalisierung verändert. Sie wird politischer, vorsichtiger, diversifizierter. Unternehmen ersetzen Monopole in der Lieferkette durch Parallelstrukturen ("China plus one"), bauen Lager auf, investieren in redundante Produktionsstandorte. Es ist folglich kein Rückzug, sondern eher ein Umbau.

Der Begriff verschleiert mehr als er erklärt

Das Problem mit dem Begriff "Deglobalisierung" ist aber nicht nur semantisch. Er verführt zur Simplifizierung komplexer Strategien, die Unternehmen heute treffen müssen. Denn die Motive sind vielfältig: Risikominimierung, Resilienz, ESG-Konformität, technologisches Decoupling. Wer diese Entwicklungen unter ein einziges Schlagwort fasst, droht strategische Klarheit durch Deutungsdrift zu ersetzen.

Selbst in Konzernzentralen ist man vorsichtig. Ein Vorstandsmitglied eines deutschen DAX-Konzerns formulierte es kürzlich so:

"Wir deglobalisieren nicht. Wir globalisieren anders."

Das eigentliche Thema lautet wirtschaftliche Souveränität

Was tatsächlich stattfindet, ist eine Rückbesinnung auf eine gewisse wirtschaftliche Souveränität – ökonomisch, technologisch, politisch. Staaten wollen Abhängigkeiten reduzieren, Unternehmen Reaktionsgeschwindigkeit gewinnen, Investoren neue Standorte erschließen. Reshoring, Nearshoring, Friendshoring – das sind die Begriffe der Stunde. Sie zeigen: Globalisierung wird nicht ersetzt, sondern neu kalibriert.

Und mit ihr verschieben sich auch Machtachsen: Südostasien und Indien gewinnen, China verliert nicht nur geopolitisch, sondern auch reputativ an Attraktivität. Europa wiederum ringt um strategische Autonomie – zwischen Industriepolitik und Bürokratiedruck.

Eine Ära der politischen Globalisierung

Die Globalisierung wird nicht rückgängig gemacht, sie verändert ihren Charakter. Sie ist nicht mehr vorrangig von ökonomischer Logik (wie "Kosten runter, Marktanteile rauf") geprägt, sondern zunehmend von politischen Interessen, geopolitischen Risiken und strategischen Abwägungen.

So verlagern Unternehmen ihre Produktion nicht mehr nur wegen billigerer Löhne, sondern weil sie unabhängiger von bestimmten Ländern (z. B. China oder Russland) werden wollen. Staaten subventionieren verstärkt Schlüsselindustrien, wie Halbleiter oder Batterien), um technologische Souveränität zu sichern – auch wenn das wirtschaftlich kurzfristig teurer ist. Zudem wird die Außenwirtschaft verstärkt zur verlängerten Hand der Sicherheitspolitik – man denke an Exportkontrollen, Sanktionen oder "Friendshoring" (nur noch Handel mit "vertrauenswürdigen" Staaten).

Der internationale Handel verlagert sich, verzweigt sich, fragmentiert sich. Für Unternehmen wird es strategisch aufwendiger, aber auch chancenreicher – wer die neuen Regeln versteht, kann gezielter navigieren.

Deglobalisierung ist deshalb keine Worthülse. Aber sie ist ein ungenauer Begriff für eine komplexe Neuordnung, die noch lange nicht abgeschlossen ist.

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