LEADERSNET: Herr Rittenau, Sie waren lange Zeit eine wichtige Stimme der veganen Szene, doch nun betreiben Sie den Maranhof, eine Hühnerfarm mit Fokus auf "tierwohloptimierte" Eier- und Fleischproduktion. Was hat diesen bedeutsamen Wandel in Ihrer Einstellung ausgelöst?
Niko Rittenau: Der Wandel in meiner Position wurde primär durch die für mich neuen ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahre ausgelöst, deren Bedeutung sich durch die tausenden weltweiten Fallberichte ehemals vegan lebender Menschen mit gesundheitlichen Problemen auch abseits der Daten bestätigte. Viele dieser Personen haben sich ausgewogen vegan ernährt und umfangreich supplementiert und erlitten dennoch auf Dauer gesundheitliche Probleme, die durch die erneute Inklusion tierischer Lebensmittel verbessert wurden. Wer mehr dazu erfahren möchte, kann das im Detail in den Videos auf meinem YouTube-Kanal sowie in meinem Podcast nachhören. Der vegane Lebensstil hat erst im letzten Jahrzehnt wirklich großen Zuwachs erlebt und viele der gesundheitlichen Probleme, die – zumindest bei einem Teil der vegan lebenden Menschen, auftreten – zeigten sich erst in den letzten Jahren vermehrt, da der Nährstoffspeicher des Körpers nach dem Umstieg auf eine vegane Ernährung zum Teil auch mehrere Jahre halten können, wodurch ernährungsbedingte Probleme nicht immer zeitnah nach Ernährungsstilwechseln bemerkbar werden.
Um Menschen mit gesundheitlichen Problemen bei veganer Ernährung sowie allen anderen an Tierwohl interessierten Mischköstlern eine bestmögliche Bezugsquelle für ethisch produzierte tierische Lebensmittel zu ermöglichen, haben wir daher vor etwas mehr als zwei Jahren den Maranhof gegründet.
LEADERSNET: Das führt zu einer heiklen Frage: In einer Ihrer früheren Aussagen betonten Sie, dass der ethische Impuls der Hauptgrund für Ihre vegane Ernährung war – ich zitiere: "die Entscheidung beruhte auf meinem Bestreben, so nachhaltig wie möglich zu leben und alles Leben auf unserem Planeten zu achten". Wie gehen Sie heute mit dem durchaus nachvollziehbaren Vorwurf um, dass Sie genau diese Werte verlassen haben?
Niko Rittenau: Ich erachte diesen Vorwurf als haltlos, da meine Handlungen auch seit dem Wandel nicht mit diesen Werten im Widerspruch stehen. Wie es auch in der Definition des Veganismus von Seiten der Vegan Society aus dem Jahr 1949 heißt, besteht der Kern der veganen Philosophie darin, Ausbeutung und Grausamkeit gegenüber Tieren so weit wie möglich und im Alltag umsetzbar zu vermeiden. Wenn sich nun zeigt, dass zumindest gewisse Personen sich aufgrund ihrer genetischen Veranlagung nicht gänzlich frei von tierischen Lebensmitteln ernähren können – zumindest solange nicht, bis wir die genauen Gründe hierfür kennen und diese lösen können – erachte ich es nicht als Widerspruch, sondern als konsequente Fortführung meines Wertesystems, dass ich meine damalige Position aufgrund von Erkenntniszugewinnen nicht stur auf Kosten der Gesundheit dieser Menschen beibehalte. Auch der Mensch ist ein Tier und sein Wohlergehen ist selbstverständlich auch in die ethische Abwägung zu inkludieren. Für mich wäre es als einer der bekanntesten Fürsprecher des Veganismus in Deutschland selbstverständlich lukrativer und einfacher gewesen, diese Positionierung beizubehalten und all die Kooperationen mit veganen Marken, die vielen Auftritte auf veganen Events und andere Verdienstmöglichkeiten im veganen Kosmos ohne Anpassung meiner Position fortzuführen, da diese erwartungsgemäß seither wegfielen, aber das wäre unehrlich gewesen.
LEADERSNET: Kommen wir zum konkreten Konzept des Maranhofs: Sie setzen auf Zweinutzungsrassen wie die Marans, die weit weniger Eier legen als hochgezüchtete Hybrid-Legehennen und damit das Tierwohl deutlich verbessern sollen. Welchen messbaren Einfluss hat dieses Konzept auf die Ernährung der Tiere, die Qualität und nicht zuletzt den Geschmack der Eier?
Niko Rittenau: Den größten Einfluss auf die Qualität von Eiern inklusive deren Geschmack und Nährwert hat die Legeleistung der Henne, die neben weiteren Faktoren unter anderem auch von der Rasse abhängt sowie die Qualität der Futtermittel, die im Rahmen des Maranhof-Projekts ebenfalls eine zentrale Rolle spielt, da die Maranhof-Hühner unter anderem mit hochwertigem Insektenprotein gefüttert werden und deren Futter insgesamt nährstoffoptimiert ist. Sterneköche wie Lukas Mraz vom 2-Sterne-Restaurant ‚Mraz&Sohn‘ und Paul Ivic vom renommierten Ein-Stern-Restaurant ‚Tian‘ und weitere Sterneköche, die der Maranhof beliefert, haben das Feedback gegeben, dass sie in der Verarbeitung und im Geschmack der Eier merkliche Unterschiede feststellen. Der wesentlichste Unterschied ist aber weder Geschmack noch Nährwerte, sondern das Wohlergehen der Hühner, das beim Maranhof an oberster Stelle steht. Dass dabei auch noch überdurchschnittlich gute und besonders nährstoffreiche Eier herauskommen, ist ein zusätzlicher Mehrwert, aber nicht der Fokus dieses tierwohlorientierten Projekts.
LEADERSNET: Besonders interessant ist Ihr Einsatz moderner Technologie: Sie integrieren das KI-System "Chicken Watcher" für die Überwachung des Tierwohls. Können Sie uns erklären, wie dieses System konkret funktioniert und welchen praktischen Einfluss es auf die tägliche Haltung und Produktion hat?
Niko Rittenau: Der ‚Chicken Watcher‘ ist ein stationäres KI-Monitoring-System mit fortschrittlicher 360°-Bildauswertung zur Echtzeit-Überwachung des Hühnerwohls. Mit seiner Hilfe lassen sich Tierwohlparameter wie Fußballengesundheit, Gefieder- und Hautbeschaffenheit und Weiteres durch kontinuierliche Bilder der Hühner im Stall überprüfen. Auch das Stallklima wird dadurch erfasst und bei Überschreitungen wie zum Beispiel der Ammoniak-Belastung im Stall wird diese sofort gemeldet. Durch diese 24/7-Online-Überwachung mit Bildern kann man sich von überall ein Bild von den Geschehnissen im Stall machen, was das Einhalten der strengen Tierwohlparameter noch transparenter macht. Der ‚Chicken Watcher‘ ist damit ein Kontroll-Tool. Der wichtigste Faktor für das Wohl der Tiere ist neben der Züchtung und der damit einhergehenden Lege- bzw. Wachstumsleistung vor allem die Gestaltung des Stalls und der Weide und ein an Tierwohl interessierter Landwirt, der genügend Zeit bei den Hühnern verbringt und sich um diese kümmert.
LEADERSNET: Nun zu einem wohl unvermeidlichen Thema: Die vegane Community kann, wie wir alle wissen, äußerst kompromisslos sein. Studien belegen, dass etwa 84% aller Veganer irgendwann wieder tierische Produkte konsumieren – dennoch wird jeder sogenannte "Rückfall" in der Szene oft als Verrat diskutiert. Wie heftig waren die Reaktionen auf Ihre öffentliche Entscheidung, und gibt es Freundschaften oder berufliche Kooperationen, die daran tatsächlich zerbrochen sind?
Niko Rittenau: Die Reaktionen waren – wie zu erwarten – zum Teil sehr heftig. Der Anteil an radikalisierten Veganern innerhalb der Bewegung ist zwar klein, aber diese Minderheit ist sehr laut und ich bekam auch Gewaltandrohungen von einigen dieser Tierrechtsaktivisten. Wie zu erwarten, wurden auch alle meine Kooperationen mit veganen Unternehmen von deren Seite aus beendet, die Buchungen auf veganen Events wie der Veggieworld und weiteren wurden zurückgezogen und die Buchverkäufe fielen in den Keller. Da mein komplettes Einkommen zu diesem Zeitpunkt auf meiner Arbeit innerhalb der veganen Bewegung beruhte, war das auch finanziell deutlich spürbar. Auf privater Ebene hat sich dadurch nicht viel verändert, da ich mir meine engen Freunde nicht auf Basis ihrer Ernährung aussuche. Natürlich hat sich der damalige große vegane Bekanntenkreis quasi gegen Null reduziert, aber meine engen Freundschaften – von denen sich manche vegan ernähren und andere wiederum nicht – haben sich dadurch nicht maßgeblich verändert.
LEADERSNET: Sie sprechen die gesundheitlichen Aspekte an – und hier wird es besonders spannend: Es gibt zunehmend Berichte von Veganern, die nach Jahren plötzlich Mangelerscheinungen entwickeln, und zwar trotz theoretisch perfekter Supplementierung. Haben Sie persönlich solche gesundheitlichen Veränderungen bei sich selbst bemerkt, die Ihre Entscheidung mitbeeinflusst haben? Und falls ja: Warum haben Sie das nicht bereits früher öffentlich thematisiert?
Niko Rittenau: Ja, diese Berichte gibt es und sie sind biochemisch plausibel. Die Tatsache, dass manche Menschen bei guter pflanzlicher Kostzusammenstellung und ausreichender Supplementierung auch langfristig gesund vegan leben können, wohingegen andere das nicht können, ist kein Widerspruch, sondern ein Zeichen der genetischen Variabilität im Hinblick auf die körpereigene Nährstoffsynthese und weitere Parameter. Der Umstand, dass diese Personen trotz vermeintlicher
nährstoffbedarfsdeckender Ernährung dennoch Probleme entwickeln, die sich durch Inklusion von Tierprodukten
verbessern, ist ein Hinweis darauf, dass wir unter den tausenden biologisch aktiven Stoffen in Lebensmitteln eben noch
nicht alle relevanten Nährstoffe in Lebensmitteln kennen.
Da sich bis vor wenigen Jahren keine relevante Anzahl an Menschen vegan ernährt hat und viele Ex-Veganer aus Scham ihren Ernährungswechsel auch nicht öffentlich kommuniziert haben, blieb dieses Phänomen leider auch zu lange unbemerkt. Als ich selbst dann im engsten Freundes- und Familienkreis derartige Fälle miterlebt und dadurch auch aktiver nach solchen Fallberichten Ausschau gehalten habe, wurde mir das Ausmaß mehr und mehr bewusst und ich habe es auch umgehend mit meiner Community geteilt. Ich persönlich habe zum Zeitpunkt meiner eigenen Ernährungsumstellung noch geglaubt, dass ich zu den glücklichen Personen gehöre, denen es mit guter veganer Ernährung und umfangreicher Supplementierung auch nach über einem Jahrzehnt der veganen Ernährung gut geht und habe die Umstellung zuerst primär als Testphase angesehen, aber habe einige Monate nach meiner Ernährungsumstellung auch festgestellt, dass sich auch bei mir Parameter wie Schlafqualität, Energielevel, Kognition, Regenerationsfähigkeit und Weiteres positiv verändert haben. Inwieweit diese Veränderungen einen kausalen Zusammenhang haben, lässt sich im Einzelfall auch bei mir natürlich nicht mit Sicherheit sagen, aber da wir viele Nährstoffe in Lebensmitteln noch gar nicht kennen und diese entsprechend auch nicht supplementieren können, ist es nicht unplausibel, dass auch meine erlebten Verbesserungen kausal mit der Ernährungsumstellung zusammenhängen. Ich esse seither auch weiterhin sehr pflanzenbetont und konsumiere nicht wahllos sämtliche Tierprodukte, aber baue seither eine moderate Menge auf regelmäßiger Basis in meinen Speiseplan ein.
Dennoch halte ich es für unangebracht, dass durch Phrasen wie "wie wir alle wissen" .... Veganer in ein, finde ich, schlechtes Licht gerückt werden.
Genauso könnte man sagen, "wie wir alle wissen" sind die Umweltschützer kompromisslos, weil es darunter wenige gibt, die Gesetze überschreiten, die Mehrheit der Menschen Umweltschutz aber gleichzeitig befürwortet.
Natürlich sind Drohungen in keiner Weise zu akzeptieren, aber aufgrund der Handlung einzelner darf man keinesfalls Pauschalieren.
Herr Rittenau sagt, dass man nicht aufgrund seiner Erfahrungen und der von - wie vielen eigentlich - anderen von einem kausalen Zusammenhang zwischen subjektiven Wohlbefinden und Ernährung sprechen kann.
Richtig!
So lange es keine ausreichende Studienlage dazu gibt, würde ich nicht aufgrund von Beobachtungen solche Aussagen tätigen.
Wenn es Studien gibt, bitte gerne anführen im Text
Richtig ist wohl, dass jeder Mensch unterschiedlich auf Lebensmittel reagiert, was für einen gut ist, muss nicht für den anderen gut sein. Trotz Supplementierung von Vitamin B12, Omega3 und einer ausgewogenen Ernährung kann es sein, dass es einen nicht gut tut, weil etwas anderes nicht passt oder man gerade im Bestreben sich optimal zu ernähren, nicht mehr ausreichend auf sich hört.
Der Tierwohl Aspekt ist wohl das Allerwichtigste und dabei geht es aus meiner Sicht nicht nur um Körperliches sondern vor allem um die Seele der Tiere, jeden Stress und damit Angst zu vermeiden.
Aus meiner Sicht ist Fleischkonsum wenn dann nur mit Hofschlachtung, Weideschlachtung, Mutter/Kalb Haltung, kein Transport, kein Import oder Export von Fleisch, Milch, Eiern... und nicht jeden Tag vertretbar.
Und getötet müssen die Tiere leider immer werden, das muss jedem bewusst sein.
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