Dauerempörung als Geschäftsmodell
"Rage Bait": Das Oxford Wort des Jahres 2025 verdeutlicht die Ökonomie der Wut

| Natalie Oberhollenzer 
| 03.12.2025

Es ist die Bankrotterklärung des digitalen Diskurses: Mit "Rage Bait" küren die Lexikografen der britischen Eliteuniversität keinen Trend, sondern das Geschäftsmodell unserer Zeit. Das Wort verbildlicht: Wer im Netz gehört werden will, muss zündeln.

Seit 2004 analysieren die Lexikografen der Oxford University die Daten und Trends der englischen Sprache, um jenen Ausdruck zu küren, der den globalen Zeitgeist am prägnantesten einfängt. Das Ergebnis der diesjährigen Abstimmung, an der sich über 30.000 Menschen beteiligten, ist eine ernüchternde Diagnose des digitalen Lebens: Das Oxford Wort des Jahres 2025 ist "Rage Bait".

Das englische Kompositum beschreibt einen Mechanismus, der sich längst zu einem profitablen Geschäftsmodell entwickelt hat:

"Rage Bait" (auf deutsch: "Wut-Köder") bezeichnet Online-Inhalte, die bewusst darauf ausgelegt sind, durch Frustration, Provokation oder Beleidigungen Ärger oder Empörung hervorzurufen. Ziel dieser digitalen Agitation ist es, den Traffic oder die Interaktion auf einer Webseite oder einem Social-Media-Konto massiv zu steigern.

Wenn Wut zum Köder wird

Sprachlich ist die Wahl bemerkenswert. Zwar suchen die Experten ein Wort des Jahres, doch "Rage Bait" setzt sich aus zwei unabhängigen Begriffen zusammen: "Rage" (heftiger Wutausbruch) und "Bait" (Köder oder Lockmittel). Für die Sprachwissenschaftler demonstriert die Zusammensetzung von zwei eigenständigen Worten zu einer neuen, eigenständigen Bedeutung die immense Flexibilität des Englischen.

Doch die Relevanz ist politisch und psychologisch. Die Entscheidung für "Rage Bait" reflektiert eine von sozialen Unruhen, Debatten über digitale Wohlfahrt und die zunehmende Notwendigkeit von Online-Regulierungen dominierte Nachrichtenlage. Die Gesellschaft sei sich der Manipulationstaktiken im Internet mittlerweile klarer bewusst, sagt Casper Grathwohl, Präsident von Oxford Languages. Das Phänomen des gezielten Wut-Marketings ist keine Randerscheinung mehr, sondern eine zentrale Taktik, um Aufmerksamkeit in der überfüllten digitalen Arena zu erkaufen.

"Bio Hack" und "Aura Farming": Die Shortlist

Die unterlegenen Konkurrenten auf der Shortlist geben ebenfalls Aufschluss über die vorherrschenden Themen unserer Zeit und verdeutlichen, dass das Jahr 2025 von der obsessiven Selbstoptimierung geprägt war:

  • Aura Farming: Beschreibt die Kultivierung einer beeindruckenden, charismatischen Persönlichkeit oder eines öffentlichen Images. Dabei geht es um die subtile Inszenierung von Selbstvertrauen, Coolness oder Mystik, meist in sozialen Medien.
  • Bio Hack: Der Versuch, die eigene körperliche und mentale Performance, Langlebigkeit, Gesundheit und das Wohlbefinden zu optimieren und zu verbessern, indem Ernährung, Fitnessroutinen und der gesamte Lifestyle mit wissenschaftlichem oder technischem Anspruch verändert werden.

Von der Anziehung zur Hirnfäule zur Wut

Die Chronologie der Oxford-Wörter liest sich wie die Krankengeschichte des Netzes. 2023 gewann noch "Rizz" (Charisma/Anziehungskraft) – ein fast unschuldiges Wort für Flirtkompetenz. 2024 folgte mit "Brain rot" (Hirnfäule) bereits die Diagnose des übermäßigen, verdummenden Medienkonsums.

Mit "Rage Bait" sind wir 2025 bei der Waffe angekommen, die diese Hirnfäule zu großen Stücken mit verursacht. 

Kommentar veröffentlichen

* Pflichtfelder.

leadersnet.TV