Wer Fragen stellt, gilt als zögerlich. Wer Rücksprache hält, als schwach. In Deutschlands Chefetagen mehren sich die Signale, dass der autoritäre Führungsstil ein Comeback erlebt. Statt Augenhöhe heißt das neue Ideal: Durchgriff. Personalberater berichten von einer wachsenden Nachfrage nach Führungskräften, die nicht lange diskutieren – sondern entscheiden.
Nicolas von Rosty, Deutschlandchef der Personalberatung Heidrick & Struggles, gehört zu den ersten, die diesen Trend beobachtet haben. Als Vermittler für Spitzenpositionen in Konzernen und Mittelstand registriert er eine klare Verschiebung: "Gefragt sind Manager, die in angespannten Zeiten schnell und effizient durchgreifen können", sagt er im Handelsblatt.
Krise, Kürzungen, Kontrolle
Die prominentesten Beispiele liefern demnach zwei Konzerne, deren Chefs zuletzt mit einem besonders rigiden Führungsstil aufgefallen sind. Bei Thyssenkrupp treibt Vorstandschef Miguel López die Sanierung mit Tempo und Härte voran. Stellenstreichungen inklusive. Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Bernd Westphal, kritisierte bereits, das Unternehmen wolle "mit der Brechstange auf dem Rücken der Beschäftigten" schrumpfen.
Auch bei SAP ist der Ton rauer geworden. Vorstandschef Christian Klein verlangt nicht nur mehr Präsenz im Büro, sondern streicht auch Teile der Diversitätsstrategie. Leistungskontrolle statt Selbstorganisation – das ist das neue Leitmotiv. Klein und López eint nicht nur ihre Vergangenheit im Finanzbereich. Beide gelten als Manager mit klarer Kante – und wenig Geduld für Experimente.
Der Wunsch nach klarer Führung kommt nicht nur aus den Vorstandsetagen selbst. Auch viele Beschäftigte halten in unsicheren Zeiten einen strengen Kurs für legitim. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag des Handelsblatts finden 62 Prozent der Befragten einen härteren Führungsstil in wirtschaftlich schwierigen Zeiten "angemessen".
Zurück an die Leine?
Besonders in der Industrie scheint der alte Führungsstil auf neue Nachfrage zu stoßen. "Vor allem Unternehmen mit traditionell hierarchischer Struktur stellen Experimente mit kooperativer Führung wieder ein", sagt Personalberater von Rosty. Ob Maschinenbau oder Logistik: Agilität, Eigenverantwortung und Kreativ-Workshops sind vielen plötzlich zu teuer – und zu verspielt.
Das Motiv ist simpel: weniger Diskussion, mehr Output. Führung wird wieder als Kommando verstanden, nicht als Moderation. "Leistung gegen Entlohnung" – mehr braucht es nicht, so die Logik.
Hinzu kommt die geopolitische Unsicherheit. Ein möglicher Wahlsieg Donald Trumps, fragile Lieferketten, Energiepreise: All das verstärkt den Wunsch nach Kontrolle. "Für viele Topmanager wirkt ein direktiver Führungsstil derzeit wie ein Sicherheitsanker", sagt von Rosty. CEO-Berater Klaus Schweinsberg erkennt sogar die Rückkehr der "Great Man Theory" – der Vorstellung, dass ein starker Mann in der Krise allein den Kurs vorgibt.
"Unter einer großen Eiche wächst kein anderer Baum"
Doch wie tragfähig ist dieses Modell? Managementexperte Ralf Lanwehr von der Fachhochschule Südwestfalen dämpft die Erwartungen. "Autoritäre Führung kann in akuten Krisen sinnvoll sein – aber nur für kurze Zeit", sagt er.
Auch die renommierte Leadership-Forscherin Heike Bruch von der Universität St. Gallen warnt: Wer alte Muster reaktiviert, riskiert mehr Schaden als Nutzen. "Dienst nach Vorschrift, sinkende Eigeninitiative und mangelnde Verantwortungsbereitschaft sind die Folge", sagt sie. Wer nur auf Kontrolle setze, verspiele das Vertrauen der Belegschaft – und damit oft auch deren Engagement.
Gerade Leistungsträger reagieren empfindlich auf Rückschritte in der Arbeitskultur. Gekippte Homeoffice-Modelle, gestrichene Freiräume, Präsenzpflichten – viele empfinden das als Misstrauensvotum. "Solche Maßnahmen unterstellen, dass vorher nicht ordentlich gearbeitet wurde", sagt Bruch. Die Folge: Enttäuschung. Und Kündigungen.
Auch Nicolas von Rosty hält den autoritären Reflex für riskant. Seine Warnung: "Unter einer großen Eiche wächst kein anderer Baum." Wer auf Alphatiere an der Spitze setze, bekomme mitunter ein Team aus Ja-Sagern – aber kein widerstandsfähiges Unternehmen.
Zwischen Führung und Folgsamkeit
Natürlich ist Leistungsorientierung kein Widerspruch zu guter Führung. Doch gefährlich wird es, wenn moderne Arbeitsformen vorschnell beiseitegeschoben werden – unter dem Vorwand, es sei "jetzt mal Zeit für Leistung". Dann gingen nicht nur Agilität und Innovationskraft verloren, sondern auch das Vertrauen in die Organisation, so die Conclusio des Handelsblatt-Beitrags. Denn: Der starke Mann mag kurzfristig beruhigen. Doch wer dauerhaft so führt, bleibt oft allein an der Spitze. Und riskiert, dass ihm niemand mehr folgt.
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