Die Volks- und Raiffeisenbanken gelten seit jeher als Bollwerk gegen das wilde Treiben der Finanzmärkte – solide, regional verwurzelt, risikoavers. Doch diese Gewissheit gerät ins Wanken, wie das Handelsblatt berichtet. Demnach mussten binnen anderthalb Jahren vier Genossenschaftsbanken mit rund 1,2 Milliarden Euro aus dem internen Sicherungssystem gerettet werden – ein beispielloser Vorgang, der nun die gesamte Branche ins Zwielicht rückt.
Hochtaunus: Der Absturz der Avantgarde
Besonders tief gefallen ist die Raiffeisenbank im Hochtaunus. Unter ihrem Vorstandschef Achim Brunner hatte sie sich 2019 zu einer Art Fintech im Genossenschaftsmantel aufgeschwungen: keine Filialen, bundesweite Immobilienfinanzierung, Tagesgeldzinsen über Marktniveau. In einem Werbevideo bezeichnete sich das Haus selbst als "unkonventionell". Es sollte sich als bittere Vorahnung erweisen.
Denn mit dem rasanten Wachstum stieg auch das Risiko. Zwischenzeitlich konnten Mitglieder bis zu 50.000 Euro Genossenschaftsanteile zeichnen – ein branchenfremder Vorgang. Die Bilanzsumme verdreifachte sich, doch niemand stoppte die Eskalation – weder Aufsichtsrat noch Wirtschaftsprüfer. Erst 2024 griff die Bafin ein, im Frühjahr 2025 folgte Brunners Rücktritt. Eine Notfusion mit der Volksbank Mittelhessen ist nun geplant.
Die stille Erosion eines Geschäftsmodells
Dass ausgerechnet Genossenschaftsbanken ins Schlingern geraten, sorgt für Kopfschütteln. Lange Zeit galten sie als Fels in der Brandung – auch während der Finanzkrise 2008. In den vergangenen Jahren erwirtschafteten sie Milliardengewinne, der Marktanteil im Kreditgeschäft wuchs. Doch genau das könnte zur Gefahr werden.
Die Sicherungseinrichtung des Bundesverbands der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) schützt nicht nur Kundeneinlagen, sondern auch die Institute selbst – ein Mechanismus, der laut Insidern zu Leichtsinn verleitet. Manche Vorstände sähen die Milliardenrücklagen offenbar als Sicherheitsnetz, das sie hemmungslos ausreizen könnten.
Bad Salzungen: Bordellimmobilien und Strafverfolgung
Ein besonders drastisches Beispiel liefert die VR-Bank Bad Salzungen Schmalkalden, einst als "Effenberg-Bank" bekannt. Neben windigen Fußballfinanzierungen investierte das Haus auch in Bordellimmobilien – ein Tabubruch im konservativen Bankenumfeld. Gegen den früheren Vorstand wird inzwischen wegen Untreue ermittelt. Die Rettungskosten: rund 560 Millionen Euro – bei einer Bilanzsumme von gerade einmal 1,5 Milliarden.
Düsseldorf, Dortmund: Betrug und Fehleinschätzungen
Auch die Volksbank Düsseldorf Neuss musste gestützt werden. Sie hatte im Sommer 2023 irrtümlich 100 Millionen Euro ins Ausland überwiesen – mutmaßlich auf Geheiß einer betrügerischen Buchhalterin. Der geschädigte Konzern, die französische Modekette Kiabi, fordert die Summe zurück. Zeitgleich belasten Kreditausfälle im Immobilienbereich das Haus.
Ähnlich erging es der Volksbank Dortmund-Nordwest, die sich mit Fonds für Gewerbeimmobilien verspekulierte – mit einem Rettungsvolumen von rund 130 Millionen Euro.
Die Angst vor der nächsten Schieflage
Die Sorge vor weiteren Sanierungsfällen wächst. Auch die kleine Bank RSA aus Oberbayern gilt als Wackelkandidat. Insider berichten von weiteren potenziellen Problemfällen, bei denen sich Altlasten aus der Niedrigzinsphase bemerkbar machen könnten.
"Jetzt sind alle furchtbar alarmiert", sagt ein Bankvorstand. Selbst gut gefüllte Sicherungsfonds – laut BVR summieren sich die Rücklagen auf mehrere Milliarden Euro – bieten keinen völligen Schutz. "Wenn kleine Institute schon solche Summen verbrennen – was passiert dann bei einer großen Bank?", fragt ein Branchenkenner.
Konsequenzen: Mehr Kontrolle, weniger Freiheit?
Der BVR kündigte Reformen an. Banken mit risikofreudigem Geschäftsmodell sollen strenger beaufsichtigt und zur Kasse gebeten werden. Die Beiträge zum Sicherungssystem könnten deutlich steigen. Doch Widerstand regt sich: Manche Banken fürchten einen zentralistischen Kurs, der unternehmerische Freiheiten einschränken könnte.
Zudem steht BVR-Chefin Marija Kolak in der Kritik. Sie habe zu spät und zu zögerlich auf die sich abzeichnenden Krisen reagiert. Aus dem Verband heißt es, echte Reformen kämen frühestens 2026.
Strukturelle Defizite: Kontrolleure ohne Kompetenz
Neben laxen Kontrollen und risikofreudigen Vorständen rückt nun auch die Qualität der Aufsichtsräte ins Zentrum der Debatte. Viele seien ehrenamtlich tätig, ohne tiefere Finanzkenntnisse. Die Bundesbank sieht Handlungsbedarf.
Ein weiteres Defizit: der eklatante Mangel an Diversität. Nur sechs Prozent der Vorstandsposten sind mit Frauen besetzt – noch weniger als bei Sparkassen oder Privatbanken. Kritiker sprechen von einer "Ansammlung alter weißer Männer", die sich gegenseitig deckten.
Konstanz: Influencer, Investoren – und eine Bank, die sich selbst als Opfer sieht
Anfang August 2024 wurde bekannt, dass mehrere Privatinvestoren durch überteuerte Immobilienkäufe, vermittelt über das Netzwerk des Immobilien-Influencers "Immo Tommy", in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. Die Volksbank Konstanz, die zahlreiche dieser Geschäfte finanziert hatte, sieht sich selbst als Betrugsopfer und hat Strafanzeige erstattet. In die Vorgänge verwickelt war auch ein Handelsvertreter der Bausparkasse Schwäbisch Hall – ein weiterer Teil der genossenschaftlichen Finanzgruppe –, von dem sich das Unternehmen inzwischen getrennt hat. Es dürfte kaum die letzte Skandalmeldung aus der Welt der Volks- und Raiffeisenbanken gewesen sein.
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