Lithium, das als "weißes Gold" gehandelte Leichtmetall, steht im Zentrum der Mobilitätswende. Forschende aus China, Schweden und Norwegen haben in einer neuen Studie 16 Szenarien zur weltweiten Lithiumversorgung berechnet – mit ernüchterndem Ergebnis: Der globale Bedarf übersteigt in vielen Fällen bereits in fünf Jahren das mögliche Angebot.
Knappheit trotz geplanter Förderausweitung
Die in Cell Reports Sustainability veröffentlichte Studie modelliert umfassend die Entwicklung von Lithiumangebot und -nachfrage bis 2050. Grundlage sind dabei öffentlich zugängliche Daten wie Pressemitteilungen, Machbarkeitsstudien und Projektberichte. Im Fokus stehen die drei großen Märkte China, Europa und die USA, auf Basis von Elektromobilitäts-Szenarien der Internationalen Energieagentur (IEA). Die Ergebnisse zeigen: Trotz angekündigter Produktionssteigerungen könnte das Angebot schon 2030 nicht mehr mit dem Bedarf Schritt halten.
Wichtiger Bestandteil der Analyse ist die Betrachtung der Lieferketten, deren Störungen durch geopolitische Konflikte, Umweltauflagen oder lokale Widerstände gegen neue Abbauprojekte weiter verschärft werden könnten. Besonders in Europa werden Genehmigungsverfahren für neue Minen häufig durch Umweltbedenken oder Bürgerproteste verzögert – ein strukturelles Risiko für die Batterieindustrie.
Während China sich durch strategische Reserven, staatlich geförderte Minenprojekte und gezielte Handelsabkommen potenziell selbst versorgen kann, sind Europa und die USA deutlich abhängiger vom Weltmarkt. Ein geopolitischer Wettbewerb um Lithium und weitere kritische Rohstoffe scheint unausweichlich.
Laut eines Berichts des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) könnten in allen drei Regionen bereits im Jahr 2030 Knappheiten entstehen – trotz Ausweitung der Förderkapazitäten. Dabei sei es nicht allein das physische Angebot, sondern auch die fehlende Raffinierungskapazität, die zur Engstelle wird.
Wirtschaftliche Risiken hemmen Investitionen
Brisant: Der derzeit niedrige Preis für Lithium erschwert laut Marcel Weil vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) neue Investitionen. "Investoren scheuen sich aufgrund der Preisentwicklung und weiterer Marktrisiken, in neue Minen zu investieren", so der Experte gegenüber dem Science Media Center. Dabei benötigen neue Förderstätten fünf bis 15 Jahre Vorlaufzeit – Zeit, die knapp wird.
Zudem ist unklar, wie stabil die globalen Preisentwicklungen bleiben, wenn mehrere große Volkswirtschaften gleichzeitig ihre Förderkapazitäten erhöhen – oder politische Eingriffe wie Exportbeschränkungen oder Subventionen hinzukommen. Die Folgen wären Preisvolatilität und Unsicherheit für Unternehmen entlang der gesamten Lieferkette.
Die Hoffnung ruht auch auf technologischen Alternativen: Natriumbasierte Batterien könnten bald in China serienreif produziert werden. Diese gelten als kostengünstiger, jedoch oft weniger leistungsfähig. Auch Magnesium- oder Feststoffbatterien sind in der Entwicklung, doch bislang fehlt ihnen die industrielle Skalierbarkeit.
Zudem könnten Länder wie Bolivien, Argentinien und Australien bei steigenden Preisen neue Kapazitäten wirtschaftlich erschließen. Allerdings sind besonders die großen Vorkommen in Bolivien bisher kaum erschlossen, was infrastrukturelle und politische Herausforderungen mit sich bringt.
Recycling, Alternativen und Unsicherheiten
Ein weiterer Aspekt: Recycling wird als potenzieller Entlastungsfaktor genannt, war in der Modellierung jedoch noch nicht vollständig berücksichtigt. Dabei könnten gebrauchte Batterien künftig eine bedeutende Rohstoffquelle darstellen. Doch aktuell fehlt es an standardisierten Rücknahme- und Aufbereitungsstrukturen im industriellen Maßstab.
Gleiches gilt für andere knappe Rohstoffe wie Graphit, Nickel und Kobalt, die ebenfalls für Lithium-Ionen-Batterien benötigt werden. In vielen Fällen ist auch deren globale Verfügbarkeit von wenigen Lieferländern abhängig – ein Klumpenrisiko für die Industrie.
Christoph Neef vom Fraunhofer-Institut betont, dass bei einer globalen Knappheit nicht alle Märkte gleich betroffen wären: "Dort, wo die am wenigsten zahlungskräftigen Endkunden sitzen, kommt es zuerst zu Engpässen." Europa und die USA könnten daher vorerst verschont bleiben – nicht zuletzt durch ihre Kaufkraft und politische Maßnahmen zur Rohstoffsicherung.
Langfristig sei jedoch entscheidend, wie schnell regulatorische Rahmenbedingungen, technologische Innovation und internationale Kooperation zusammenwirken. Ohne strategisch koordinierte Maßnahmen drohe ein Wettlauf um Ressourcen, der die E-Mobilität erheblich verteuern oder verlangsamen könnte.
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