"Ich verdiene… das bleibt aber unter uns."
Sprechen wir künftig offener über unser Gehalt?

| Natalie Oberhollenzer 
| 12.06.2025

In deutschen Büros herrscht häufig Schweigepflicht – nicht vom Arbeitgeber verordnet, sondern kulturell verinnerlicht. Doch neue Gesetze und eine selbstbewusste Generation stellen diese Gehaltskultur infrage. Kommt jetzt die große Abrechnung?

Über Krankheiten spricht man inzwischen offener als über das Gehalt. Was auf der einen Seite als Fortschritt der modernen Gesprächskultur gefeiert wird, ist auf der anderen Seite ein Relikt aus Zeiten, in denen der Geldbeutel diskreter war als das Liebesleben. Vor allem in Deutschland: Laut einer Umfrage von Verivox und Parship trauen sich über ein Drittel der Menschen in Partnerschaften nicht, offen über das Einkommen zu sprechen – und das, obwohl man Tisch, Bett und Steuerklasse teilt. Und das will schon was heißen.

Die Zurückhaltung hat Tradition. "Über Geld spricht man nicht" (oder die Langversion "über Geld spricht man nicht, Geld hat man") ist in deutschen Ohren kein konservativer Spruch, sondern eine Art Benimmregel auf Augenhöhe mit "Man grüßt beim Reinkommen". Die Folge: In vielen Teams weiß man, wer wann Urlaub hat, aber nicht, was die Kollegin am Schreibtisch gegenüber verdient.

Ein Tabu, das sich rechnet – aber für wen?

Wer wenig über Geld redet, lässt oft andere darüber entscheiden. Intransparentes Gehaltssystem? Kein Problem, solange niemand fragt. Auch das ist ein Grund, warum das Gehaltstabuthema besonders für Arbeitgeber über Jahre hinweg bequem war. Es schützt vor Neiddebatten, vor offener Kritik – und davor, dass jemand auf die Idee kommt, gleiches Geld für gleiche Leistung einzufordern.

Dabei gibt es längst ein Gesetz, das Transparenz fördern soll: Seit 2017 gilt in Deutschland das Entgelttransparenzgesetz. Theoretisch dürfen Beschäftigte in größeren Unternehmen erfahren, was Kolleginnen und Kollegen mit ähnlicher Tätigkeit verdienen. Praktisch hat sich wenig verändert. Das Gesetz ist zahnlos: Es gilt erst ab 200 Beschäftigten, erlaubt keine Klarnamen – und viele Unternehmen mauern. Das Ergebnis: Die große Transparenzoffensive ist ausgeblieben.

Junge Generation, neue Regeln

Anders die Stimmung bei Jüngeren. Wer auf TikTok unterwegs ist, kennt das Phänomen: Fremde Menschen auf der Straße werden gefragt, was sie verdienen – und viele antworten bereitwillig. Die Frage nach dem Gehalt verliert ihren Skandalcharakter. Laut StepStone-Gehaltsreport 2024 verzichten mittlerweile auch sechs von zehn Bewerberinnen und Bewerbern auf eine Bewerbung, wenn die Gehaltsspanne in der Stellenausschreibung fehlt. Immerhin ein stiller Aufstand gegen die Unsitte, Transparenz mit Schwäche zu verwechseln.

Auch intern ändert sich etwas. In progressiven Unternehmen gehört Gehaltstransparenz inzwischen zum Employer Branding. Was früher als Betriebsgeheimnis galt, wird heute zum Zeichen von Fairness. Manche Firmen – etwa in der Digitalwirtschaft – veröffentlichen sogar ganze Gehaltstabellen. Mutig? Vielleicht. Aber auch ein Signal: Wer nichts zu verbergen hat, kann sich Transparenz leisten.

2026 kommt EU-weit ein möglicher Gamechanger

Druck kommt nun auch aus Brüssel. Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie, verabschiedet im Mai 2023, zwingt Unternehmen ab Juni 2026 zur Offenlegung geschlechtsneutraler Gehaltsstrukturen. Betroffen sind Firmen mit über 100 Mitarbeitenden – sie müssen künftig offenlegen, nach welchen Kriterien Gehälter bemessen werden, und Lohnlücken zwischen Männern und Frauen begründen oder beseitigen.

Ein Schritt mit Sprengkraft. Denn: Wer mehr verdient, ohne mehr zu leisten, wird sich erklären müssen – nicht nur vor Mitarbeitenden, sondern auch vor Aufsichtsbehörden. Wie schnell die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt wird und wie die Spielräume in den Staaten letztlich ausgelegt werden, ist aber noch offen.

Führung in Zeiten der Offenheit

Für Führungskräfte stellt sich eine neue Herausforderung: Wie spricht man über Geld, ohne das Vertrauen zu verlieren? Wie schafft man Transparenz, ohne sich im Rechtfertigungsmodus zu verlieren?

Die gute Nachricht: Wer frühzeitig auf klare Kriterien setzt, muss sich später nicht rechtfertigen. Wer Gehälter nach Leistung, Verantwortung und Marktwert strukturiert, darf auch erklären, warum nicht alle gleich verdienen – aber niemand sich ungerecht behandelt fühlen muss.

Fix ist: Es bewegt sich etwas in der Sache. Vielleicht wird es noch eine Weile dauern, bis in deutschen Kantinen offen über Gehalt gesprochen wird. Doch das Schweigen über Geld hat ausgedient. Künftig wird gelten: Wer gut führt, führt auch gute Gehaltsgespräche. Und wer zahlt, was er verspricht, muss auch kein Geheimnis daraus machen.

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