Kontrollwahn in der Führungskultur
Warum zu viel Mikromanagement in Chefetagen in einen toxischen Teufelskreis mündet

| Redaktion 
| 11.05.2025

Wenn Führungskräfte jede E-Mail kontrollieren und keine Entscheidung ohne sie getroffen wird, leidet das gesamte Unternehmen. Mikromanagement ist nicht nur ineffizient, sondern oft Ausdruck tieferer Unsicherheiten und struktureller Probleme. Warum Kontrolle nicht gleich Führung bedeutet – und wie der Weg aus dem Teufelskreis gelingen kann.

Eine unpassende Formulierung in einer E-Mail, ein nicht abgesprochener Telefonanruf oder eine eigenständig terminierte Besprechung – manche Führungskräfte möchten über jeden noch so kleinen Schritt ihrer Mitarbeitenden informiert sein. Kontrolle bis ins Detail ist für viele Chefs nicht nur ein Stilmittel, sondern Alltag. Das Phänomen hat einen Namen: Mikromanagement. Das Problem dabei: Es lähmt nicht nur Teams, sondern kann auch Unternehmen die Innovationskraft rauben.

Laut einem Beitrag der Tageszeitung Standard gibt es verschiedene Gründe, warum Führungskräfte ins Mikromanagement verfallen. Die Geschäftsführerin des Beratungsunternehmens Future, Anita Hußl-Arnold, erklärt: "Ich glaube nicht, dass Führungskräfte bewusst mikromanagen." Vielmehr stecken dahinter häufig persönliche Eigenschaften wie Perfektionismus, ein ausgeprägtes Kontrollbedürfnis oder mangelndes Vertrauen in andere.

Auch die Art und Weise, wie Führung verstanden wird, spielt eine zentrale Rolle. Psychologin Sabine Bergner von der Universität Graz beobachtet: "Vorgesetzte, die stark aufgaben- statt beziehungsorientiert handeln, verfallen eher in kontrollierende Muster." Häufig wird diese Dynamik durch instabile Unternehmensstrukturen oder wirtschaftlichen Druck verstärkt.

Vom Operativen zum Strategischen – ein schwieriger Übergang

Insbesondere Führungskräfte, die aus operativen Rollen ins Management aufsteigen, haben oft Schwierigkeiten, Verantwortung abzugeben. "Sie verlassen damit das, was sie stark gemacht hat – operative Kompetenz. Und das verunsichert", so Hußl-Arnold. Die Folge: Aufgaben werden lieber selbst übernommen, um Zeit zu sparen oder Kontrolle zu behalten – eine kurzfristige Lösung mit langfristigen Nebenwirkungen.

Kontrollwunsch und Misstrauen führen laut Bergner in einen klassischen Teufelskreis: Je mehr die Führungskraft überwacht, desto weniger motiviert und eigenständig arbeiten die Mitarbeitenden – was wiederum das Gefühl bestärkt, sie „genauer beobachten“ zu müssen. Mit der Zeit verschlechtern sich Beziehungen, Motivation sinkt, Kündigungen drohen.

Mehr Mut zur Delegation

Bodo B. Schlegelmilch, Dekan der WU Executive Academy in Wien, warnt: "Wenn sich Führungskräfte zu stark ins Operative verlieren, herrscht operative Hektik und strategische Windstille." Die eigentliche Führungsaufgabe – Visionen entwickeln, Teams befähigen, Zukunft denken – bleibt dann auf der Strecke.

Die gute Nachricht: Mikromanagement ist kein Schicksal, sondern veränderbar. Janauschek empfiehlt etwa, nicht nur Aufgaben, sondern auch Denkprozesse zu hinterfragen: "So lernen Führungskräfte, wieder Vertrauen aufzubauen." Gleichzeitig sei eine ehrliche Reflexion über das eigene Führungsverständnis nötig – und manchmal auch die Einsicht, dass die aktuelle Rolle nicht (mehr) die richtige ist.

Der Schlüssel zur Lösung liegt den Expertinnen zufolge im Mut zur Delegation, einer konstruktiven Fehlerkultur und einer offenen Kommunikation. Wer führt, muss loslassen können – nicht aus Schwäche, sondern aus Stärke.

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