Warum schwache Bindungen Türen öffnen
Die Kraft der losen Kontakte: Wie "weak ties" Karrieren bewegen

Wer wen kennt, hat es leichter – doch es sind nicht die engsten Vertrauten, die uns am stärksten voranbringen. Studien zeigen, dass gerade lose Bekanntschaften – die berühmten "weak ties" – überraschend viel bewirken. Entscheidend für Chancen, Ideen und Mobilität sind oft die vielen lockeren Verbindungen, die unseren Blickwinkel erweitern und uns Brücken in neue Kreise bauen.


Die moderne Forschung zu "weak ties" geht auf den Soziologen Mark Granovetter (Stanford) zurück. Sein Aufsatz "The Strength of Weak Ties" erschien 1973 im American Journal of Sociology und zählt zu den meistzitierten Arbeiten der Netzwerkanalyse. Granovetter befragte damals Beschäftigte, wie sie an ihre Jobs gekommen seien – und stieß auf ein kontraintuitives Ergebnis: Nicht Familie und beste Freunde waren die wichtigsten Türöffner, sondern lose Bekannte. Der Grund liegt in der Struktur unserer Netzwerke.

Enge Kontakte teilen demnach häufig dieselben Informationen und bewegen sich in denselben Kreisen; schwache Bindungen dagegen schlagen Brücken in andere Milieus. Wer viele solcher Brücken hat, hört eher von einer neu ausgeschriebenen Stelle, einer freien Wohnung oder einem Projekt, das sonst gar nicht im eigenen Radar auftauchen würde. Besonders in höher qualifizierten, besser vergüteten Tätigkeiten steigt der Wert dieser lockeren Verbindungen berichtet das Handelsblatt – auch weil Arbeitgeber Hinweise aus persönlichen Netzwerken stärker gewichten als anonyme Bewerbungen.

Mäßig schwache Kontakte sind am wirkungsvollsten

Fünf Jahrzehnte später haben Forschende die Hypothese mit Milliarden Interaktionen im Digitalen überprüft. Ein Team um den MIT-Professor Sinan Aral analysierte Daten von mehr als 20 Millionen LinkedIn-Nutzern (2015–2019) und veröffentlichte die Ergebnisse 2022 im Fachmagazin Science. Die Befunde bestätigen Granovetter – mit einer Nuance: Am wirkungsvollsten sind nicht die allerlockersten und nicht die allerengsten Verbindungen, sondern "mäßig schwache" Kontakte.

Die Beziehung zwischen Kontaktstärke und Jobvermittlung zeigt eine umgekehrte U-Kurve; der Sweetspot liegt in der Mitte. Praktisch bedeutet das: Personen, mit denen wir manchmal interagieren und eine begrenzte Zahl gemeinsamer Kontakte teilen, vermitteln überproportional häufig Jobs. Besonders deutlich ist dieser Effekt in digitalen Branchen – Hightech, KI, Software, Remote-Arbeit –, während in eher analogen Feldern starke Bindungen mehr Gewicht behalten.

Konsequenz für Karrieren und Unternehmen

Für Führungskräfte und Talente heißt das: Netzwerkpflege endet nicht bei den "üblichen Verdächtigen". Wer Chancen erhöhen will, sollte bewusst in die Breite gehen – Alumni-Gruppen aktivieren, lose Kontakte auf digitalen Plattformen pflegen, Konferenzen nicht nur für Fachvorträge nutzen, sondern auch für zufällige Begegnungen am Rand. Besonders in dynamischen Branchen wirken solche Brücken wie Frühwarnsysteme: Neue Trends, Technologien oder Deals tauchen oft zuerst in peripheren Kreisen auf. Umgekehrt begrenzen zu homogene Netzwerke die Mobilität – fachlich wie geografisch. Unternehmen können diese Dynamik nutzen, indem sie Formate schaffen, die schwache Bindungen fördern: bereichsübergreifende Projekte, Rotationen, interne Communities of Practice, offene Lunch-Talks. Das senkt Silodenken und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Informationen "überspringen".

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