Der Otis-Chef Central Europe im Interview
Udo Hoffmann: "Teilhabe darf keine Frage der Anzahl von Stockwerken sein"

Ohne den Aufzug sähen unsere Städte heute anders aus. Keine Wolkenkratzer, keine Skyline, kein Leben in der Vertikalen. Dass sich Menschen und Ideen über Etagen hinweg begegnen können, verdanken wir Elisha Otis – dem Mann, der im 19. Jahrhundert den absturzsicheren Aufzug erfand und damit die moderne vertikale Architektur überhaupt erst möglich machte. 

Mehr als 170 Jahre später bewegt Otis täglich rund zwei Milliarden Menschen weltweit – von der Christusstatue in Rio bis zum Berliner Funkturm. An der Spitze des Unternehmens in Central Europe steht Udo Hoffmann, Senior Vice President & General Manager bei Otis. Im Gespräch mit LEADERSNET spricht er über neue Technologien im Aufzugbau, die Rolle von IoT, Smart City und Nachhaltigkeit – und darüber, warum Aufzüge mehr sind als reine Transportmittel: Sie schaffen Begegnungen, Verbindungen und Perspektiven für die urbane Zukunft.

LEADERSNET: Otis bewegt täglich mehr als 12 Mio. Passagiere täglich. Was bedeutet diese Zahl für Sie – eher Verantwortung, Faszination oder Antrieb für Innovation?

Udo Hoffmann: Von allem etwas. Wenn sich so viele Menschen tagtäglich ganz selbstverständlich unseren Aufzügen und Fahrtreppen anvertrauen, ist das eine enorme Verantwortung. Mich fasziniert diese ständige Bewegung – Milliarden Menschen, die sich weltweit in Aufzügen begegnen. Es ist wie ein globales Uhrwerk urbaner Mobilität. Und ja, das ist ein starker Antrieb für Innovation: Wir entwickeln nachhaltige Mobilitätslösungen, setzen auf energieeffiziente Technologien wie regenerative Antriebe, nutzen IoT für vorausschauende Wartung und denken Aufzugssysteme zukunftsfähig neu.

LEADERSNET: Ein faszinierendes Bild. Diese Innovationskraft hat Otis ja bereits seit Generationen zum Pionier gemacht. Wenn Sie an Steve Jobs' Worte denken: "Innovation unterscheidet zwischen einem Anführer und einem Nachahmer" – wo sehen Sie heute die eigentliche Innovationsführerschaft von Otis? Liegt sie in der Technik, im Service oder in der intelligenten Vernetzung Ihrer Systeme?

Udo Hoffmann: Innovation entsteht dort, wo Technik, Service und Daten zusammenspielen. Auch innovativste Technik überzeugt nur, wenn der Service reibungslos funktioniert. Bei Otis verbinden wir mehr als 170 Jahre Erfahrung mit modernster Technologie. Unsere Plattformen wie Compass Infinity™ für die Zielwahlsteuerung und Otis ONE™ für digitales Aufzugsmonitoring nutzen zum Beispiel künstliche Intelligenz, um Passagiere bei hohem Aufkommen möglichst zügig zu transportieren, Wartungsbedarf vorherzusagen und mit Predictive Maintenance Ausfälle zu minimieren.

LEADERSNET: Sie sprechen von digitaler Intelligenz und Vernetzung – das führt mich zu einer aktuellen Herausforderung: Die 2G-Abschaltung steht bevor und betrifft nicht nur Polizei und Feuerwehr, sondern auch zehntausende Aufzüge in Deutschland, deren Notrufsysteme modernisiert werden müssen. Wie groß ist diese Herausforderung für Otis, und wie gehen Sie mit dieser technologischen Zeitenwende um?

Udo Hoffmann: In Deutschland betrifft das laut Branchenverband VDMA – herstellerunabhängig – rund 400 000 Anlagen. Diese Systeme nutzen aktuell noch das 2G-Mobilfunknetz für den Notruf. Dass dieser funktioniert, ist gesetzlich vorgeschrieben und liegt in der Verantwortung der Betreiber. Wir können Betreiber bei der Umstellung mit unserer digitalen Lösung Otis ONE™ unterstützen, die eine sichere und zukunftsfähige Notrufkommunikation ermöglicht.

LEADERSNET: Von der Notrufkommunikation zu den großen Zukunftsthemen: Smart City, IoT, Nachhaltigkeit – überall hört man diese Schlagworte. Wie verwandelt Otis diese Megatrends konkret in greifbare Produktinnovation? Können Sie ein Beispiel nennen, wo Daten und Sensorik den entscheidenden Unterschied zwischen Störung und Serviceexzellenz machen?

Udo Hoffmann: Smart City und IoT sind bei Otis keine Schlagworte, sondern Alltag. Wir nutzen Echtzeitdaten, um Wartung und Energieverbrauch zu optimieren. Mit Otis ONE™, unserer IoT-Lösung, die Aufzüge mit der Cloud verbindet, Echtzeitdaten liefern und mit Remote Monitoring einen Rund-um-die-Uhr-Einblick in die Anlagen bietet, können Ausfälle um 15 Prozent reduziert und Serviceeinsätze gezielt gesteuert werden. Das spart Ressourcen und verbessert die Lebensqualität in Städten. Nachhaltigkeit bedeutet für uns aber mehr als Energieeffizienz: Wir entwickeln nachhaltige Technologien, wurden mehrfach als Sustainability Leader ausgezeichnet und legen Wert darauf, dass unsere Innovationen auch wirklich allen Menschen zugutekommen. Durch universelles Design und benutzerfreundliche Steuerungen sorgen wir dafür, dass unsere Innovationen unterschiedlichen Bedürfnissen und Lebenssituationen gerecht und so möglichst vielen Menschen den Zugang und die Teilhabe am urbanen Leben erleichtern.

LEADERSNET: Wenn wir über ikonische Projekte sprechen: Ihr Unternehmen war in Bauwerken wie dem Eiffelturm, dem Empire State Building oder dem Burj Khalifa beteiligt – echte Ikonen der Moderne. Gibt es ein Projekt, das Ihnen persönlich besonders am Herzen liegt, weil es sinnbildlich für den Wandel der Mobilität im Gebäude steht?

Udo Hoffmann: Für mich steht nicht ein einzelnes Bauwerk im Vordergrund, sondern die gesamte Idee der vertikalen Mobilität. Der Aufzug ist heute mehr als ein Transportmittel – er ist das digitale Nervensystem eines Gebäudes, ein sozialer Zugangspunkt und ein Hebel für nachhaltige Stadtentwicklung. Wer Mobilität in der Vertikalen neu denkt, gestaltet nicht nur Gebäude, sondern eben auch Teilhabe und urbane Lebensqualität.

LEADERSNET: Das "digitale Nervensystem eines Gebäudes" – eine treffende Metaphor. Dabei wandelt sich ja auch die Wahrnehmung: Der Aufzug galt lange als anonymer Funktionsraum – heute wird er zum Kommunikationsraum. Mit Systemen wie eView schaffen Sie Verbindung statt Isolation. Wie verändert diese menschlichere Dimension das Verhältnis zwischen Technik und Nutzererlebnis?

Udo Hoffmann: Unser eView™-System verbindet Passagiere mit der Außenwelt – mit nützlichen und unterhaltsamen Informationen. Das System ist Infodisplay, Unterhaltung, Überwachung und Videonotruf in einem. Im Falle eines Notrufs kann eView™ eine Videoverbindung mit einem OTISLINE®-Mitarbeitenden, unserer Notruf- und Service-Hotline, aufbauen. Es hilft sehr, wenn man im Falle eines Notrufs mit einem echten Gegenüber sprechen kann. Moderne Technologie muss sich an menschlichen Bedürfnissen orientieren – und das im Falle von Aufzügen in sehr kurzer Zeit, denn ein Aufzug hat während einer kurzen Fahrt nicht viel Zeit zu überzeugen.

LEADERSNET: Lassen Sie uns noch einmal auf das Thema Nachhaltigkeit zurückkommen: In Deutschland sind rund 800.000 Aufzugsanlagen in Betrieb – viele davon älter als 20 Jahre. Wie wichtig ist Modernisierung für den Klimaschutz und die Energieeffizienz, und welche Rolle spielt dabei der regenerative Antrieb, den Sie eingangs angesprochen haben?

Udo Hoffmann: Veraltete Anlagen belasten die Energiebilanz von Gebäuden erheblich. Moderne Aufzüge verbrauchen erheblich weniger Energie – dank LED-Beleuchtung, intelligenter Steuerung und regenerativer Antriebe. Unser ReGen®-System kann im Gegensatz zu älteren hydraulisch arbeitenden Aufzugsmodellen Energieeinsparungen von bis zu 75 Prozent erzielen, weil es Bremsenergie ins Gebäudenetz zurückspeist. Doch Modernisierung geht weit über Energieeffizienz hinaus: Sie ermöglicht Barrierefreiheit, hebt die Sicherheit auf den aktuellen Standard, schützt so Investitionen und schafft soziale Teilhabe. Ein veralteter Aufzug ist wie ein stotternder Internetanschluss – man merkt erst, wie wichtig er ist, wenn er nicht funktioniert.

LEADERSNET: Sie haben gerade die soziale Teilhabe angesprochen. In einem früheren Gespräch sagten Sie einmal, "Aufzüge schaffen Begegnungen und Verbindungen." Das klingt fast philosophisch. Was meinen Sie damit – und wie kann Technologie dazu beitragen, Städte menschlicher zu machen, statt anonymer?

Udo Hoffmann: Aufzüge fördern Inklusion und Teilhabe – ganz praktisch. In einer alternden Gesellschaft wird das immer wichtiger. Teilhabe darf keine Frage der Anzahl von Stockwerken sein. Die Wahl der Wohnung, medizinischer Versorgung oder der Freizeitgestaltung sollte nicht von Treppen abhängen. Zu einer menschenfreundlichen Stadt gehört eine Mobilität, die für alle zugänglich ist und über die man nicht nachdenken muss – sie funktioniert einfach, rund um die Uhr.

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