Ein neuer Report von OpenAI, "The State of Enterprise AI 2025", legt erstmals in Zahlen offen, wie groß diese Kluft inzwischen ist – und wie viel Produktivität auf der Strecke bleibt.
Besonders deutlich wird der Unterschied bei den sogenannten "Frontier Worker" – den oberen fünf Prozent der KI-Nutzer. Sie schicken sechsmal mehr Nachrichten an KI-Systeme als der Durchschnitt. Bei Coding-Aufgaben ist der Abstand noch drastischer: Hier liegt der Faktor bei 17.
Auf Unternehmensebene ergibt sich ein ähnliches Bild: Firmen, die zu den Vorreitern zählen, erzeugen doppelt so viele Nachrichten pro Mitarbeiter wie der Schnitt – und setzen siebenmal häufiger auf spezialisierte GPT-Varianten und strukturierte Workflows. Wer KI ernsthaft in seine Prozesse einbaut, zieht den anderen davon.
Der Befund des Reports ist eindeutig: Nicht die bloße Einführung eines KI-Tools entscheidet, sondern die Intensität und Breite der Nutzung. Die Debatte, ob Unternehmen KI einsetzen sollten, ist faktisch vorbei. Entscheidend wird jetzt, wie tief die Technologie in die Wertschöpfungsprozesse eindringt – und ob es gelingt, die Kluft zwischen Fünf-Prozent-Elite und Rest der Belegschaft zu schließen. Wer KI nur als Spielzeug sieht, wird von denen überholt, die sie als Infrastruktur begreifen.
75 Prozent spüren Effekte – aber nicht alle gleich
Der OpenAI-Report basiert auf Nutzungsdaten von Enterprise-Kunden sowie einer Befragung von 9.000 Mitarbeitern aus fast 100 Unternehmen. Das Gesamtbild: KI ist längst im Arbeitsalltag angekommen – und verändert spürbar, was Menschen leisten können.
- 75 Prozent der Befragten sagen, KI habe entweder die Geschwindigkeit oder die Qualität ihrer Arbeit verbessert.
- In der IT berichten 87 Prozent, dass sie Probleme schneller lösen.
- Im Marketing sehen 85 Prozent eine Beschleunigung von Kampagnen.
- Bei Ingenieurinnen und Ingenieuren geben 73 Prozent an, Code schneller ausliefern zu können.
Besonders bemerkenswert: 75 Prozent der Nutzer können heute Aufgaben erledigen, die zuvor außerhalb ihrer Möglichkeiten lagen. Das gilt vor allem für Tätigkeiten, die bislang Spezialwissen voraussetzten – etwa Programmieren. Bei Nicht-Technikern stieg die Zahl der coding-bezogenen Nachrichten um 36 Prozent.
KI wird damit weniger zum "Zeitersparnis-Gadget" und mehr zu einem Hebel, der Fähigkeiten verschiebt.
Zehn Stunden Zeitgewinn dank KI
Im Durchschnitt sparen Beschäftigte, die KI im Arbeitsalltag einsetzen, laut Report bis zu eine Stunde pro Tag. Bei den Power-Usern ist der Effekt deutlich stärker: Sie kommen auf mehr als zehn Stunden Zeitgewinn pro Woche.
Ein weiterer interessanter Zusammenhang: Die Zeitersparnis steigt mit der Vielfalt der Anwendungsfälle. Mitarbeitende, die KI für sieben unterschiedliche Aufgabentypen nutzen, sparen laut Analyse fünfmal mehr Zeit als jene, die nur vier Einsatzgebiete haben.
Mit anderen Worten: Je breiter KI in den Workflow eingebettet ist, desto größer der Hebel – für Einzelne wie für ganze Teams.
Nutzung explodiert global
Hinter diesen Effekten steht eine Nutzungskurve, die fast senkrecht nach oben zeigt. Das Nachrichtenvolumen bei ChatGPT Enterprise hat sich im Jahresvergleich verachtfacht. Strukturierte Workflows wie Custom GPTs legten um das 19-Fache zu. Und der Verbrauch von sogenannten Reasoning-Tokens, einem Maß für komplexere Anwendungen, stieg sogar um den Faktor 320 – innerhalb nur eines Jahres.
Auch regional verschiebt sich die Dynamik. Australien verzeichnet ein Wachstum der Nutzung von 187 Prozent. Brasilien folgt mit 161 Prozent. Die Niederlande mit 153 Prozent. Deutschland liegt mit 138 Prozent leicht unter dem globalen Durchschnitt von 143 Prozent, gehört aber zu den aktivsten Märkten, wenn man das Nachrichtenvolumen betrachtet.
KI-Tourismus: Warum viele Unternehmen hängen bleiben
Trotz rasant wachsender Zahlen steckt ein Großteil der Organisationen noch in dem fest, was der Report indirekt als "KI-Tourismus" beschreibt: Man probiert ein bisschen, pilotiert hier und da – aber verändert die Struktur der Arbeit nicht.
Selbst unter aktiven Nutzern gibt es eine beachtliche Lücke: 12 bis 19 Prozent haben laut Studie noch nie fortgeschrittene Funktionen ausprobiert. In vielen Firmen ist KI damit Zusatztool statt Rückgrat der täglichen Prozesse.
Der kritische Punkt: Wer jetzt nur oberflächlich experimentiert, während andere systematisch Workflows aufbauen, riskiert in den kommenden 12 bis 18 Monaten einen Rückstand, der sich kaum noch aufholen ließe, heißt es im Report.
Welche Lehren Unternehmen davon ableiten können
Die Handlungsempfehlungen sind weniger technisch und mehr organisatorischer Natur:
1. Weg von Einzeltests, hin zu echten Workflows
Statt isolierter Experimente sollten Unternehmen KI direkt in bestehende Prozesse integrieren: Standardaufgaben, wiederkehrende Recherche, Entwürfe, Analysen. Strukturiere Abläufe – etwa mit Custom GPTs und projektspezifischen Set-ups –, dann steigen die Produktivitätsgewinne deutlich.
2. Breite Nutzung statt Elite-Tool
Der Report zeigt: Der ROI wächst mit der Nutzungsintensität. Wer KI nur einer kleinen Expertengruppe überlässt, verschenkt Potenzial. Ziel sollte sein, ganze Teams zu befähigen, nicht einzelne „KI-Stars“.
3. Fähigkeiten erweitern, nicht nur Tempo erhöhen
Besonders wertvoll sind Anwendungen, die neue Skills erschließen – etwa Coding für Nicht-Techniker oder datengetriebene Analysen für Marketing-Teams. Hier entsteht der größte Mehrwert, weil sich Tätigkeitsprofile verschieben.
4. In Implementierung investieren – nicht nur in Lizenzen
Die eigentlichen Kosten liegen selten in der Technologie, sondern in Schulung, Prozessanpassung und kontinuierlichem Feedback. Laut Report amortisieren sich diese Investitionen schnell: Intensive Nutzer sparen bis zu zehn Stunden pro Woche.
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