Die Co-CEO von Börlind im Interview
Alicia Lindner: "Wenn man Premium sein will, geht das nicht zum Discount-Ansatz"

Wie führt man ein traditionsreiches Naturkosmetikunternehmen erfolgreich in die Zukunft? Alicia Lindner leitet Börlind gemeinsam mit ihrem Bruder Nicolas im Co-CEO-Modell. Im Interview mit LEADERSNET spricht sie über Premiumqualität trotz Kostendruck, moderne Arbeitsmodelle im Schwarzwald und welche Rolle E-Commerce für das Wachstum der Marke spielen.

LEADERSNET: Sie führen das Familienunternehmen gemeinsam mit Ihrem Bruder. Was macht Ihr Co-CEO-Modell erfolgreich?

Alicia Lindner: Unser Modell funktioniert, weil wir unterschiedlich sind – und das als Stärke sehen, nicht als Problem. Wichtig war für uns, zu lernen, in welcher "Form" wir miteinander sprechen: mal als Geschwister, mal als Mitgesellschafter, mal als Co-CEOs. Das klingt komplizierter, als es ist – aber diese Klarheit nimmt wahnsinnig viel Konfliktpotenzial heraus. Und: Wir gönnen einander den Erfolg. Ohne dieses Grundvertrauen würde kein Co-CEO-Modell der Welt funktionieren.

LEADERSNET: Ihr Vater Michael Lindner hat mit seinem Buch wichtige Impulse gesetzt. Welche Rolle spielt dieses Erbe in Ihren Entscheidungen?

Alicia Lindner: Das Buch meines Vaters ist so etwas wie unser Kultur- und Markenhandbuch in Langform. Viele seiner Gedanken – etwa zu Haltung, Klarheit und konsequenter Markenführung – sind in unsere tägliche Arbeit eingeflossen. Es erinnert uns daran, dass Marke nicht nur Packaging und Kampagnen bedeutet, sondern Entscheidungen in der Tiefe: Wie führen wir? Wie gehen wir mit Mitarbeitenden, Kund:innen und Partnern um? Dieses Erbe ist weniger Denkmal, sondern eher Werkzeugkasten.

LEADERSNET: Haben Sie in dem Buch etwas Neues erfahren und mitgenommen?

Alicia Lindner: Spannend war für mich, manche Familien- und Unternehmensgeschichten aus seiner Perspektive zu lesen. Manches kannte ich aus der "Familienerzählung", aber im Buch wurde klar, welche strategischen Überlegungen dahinterstanden. Mitgenommen habe ich vor allem, wie konsequent meine Eltern Marke und Kultur gedacht haben – und wie sehr Mut und Zweifel zusammengehören. Das hilft mir heute, eigene Entscheidungen entspannter einzuordnen.

LEADERSNET: Wie halten Sie in Zeiten von Kosten- und Margendruck die Balance zwischen Premiumanspruch und wirtschaftlicher Tragfähigkeit?

Alicia Lindner: Indem wir sehr genau wissen, woran wir nicht sparen: an der Qualität der Rohstoffe, an der Forschung und an der Verantwortung in der Lieferkette. Wenn man Premium sein will, geht das nicht zum Discount-Ansatz hinter den Kulissen. Gleichzeitig schauen wir radikal auf unsere Prozesse, auf Effizienz in der Produktion und auf ein klares, nicht überfrachtetes Sortiment. Skinimalism – also weniger, aber bessere Produkte – kommt uns da sogar entgegen. Wir wollen lieber ein Produkt, das Kund:innen wiederkaufen, als zehn, die nur hübsch im Badezimmer stehen.

LEADERSNET: Welche Trends prägen die Naturkosmetikbranche am stärksten?

Alicia Lindner: Wir sehen drei große Entwicklungen: Erstens Skinimalism – weniger, aber bessere Produkte mit klarer Wirkung. Zweitens Longevity: Hautpflege wird stärker als Teil eines ganzheitlichen, gesunden Lebensstils verstanden, nicht nur als "Schönheitshelfer". Drittens Transparenz: Konsument:innen – gerade die Jüngeren – wollen genau wissen, was drin ist, wo es herkommt und welchen Impact ein Produkt hat. Wir werden weiterhin Hightech und Haltung verbinden.

LEADERSNET: Und wo liegen aktuell die größten Herausforderungen für deutsche Naturkosmetikmarken?

Alicia Lindner: Zum einen im massiven Wettbewerb: Der Markt ist voll, viele sprechen über Natur, aber nicht alle leben sie. Sich da glaubwürdig zu differenzieren, erfordert Transparenz und viel Kommunikationsarbeit. Zum anderen werden Regulatorik, Zertifizierungen und internationale Zulassungen komplexer – gerade für mittelständische Unternehmen ist das ein echter Kraftakt. Und natürlich spüren wir alle Rohstoff- und Energiekosten sowie einen gewissen Preisdruck im Handel. Die Kunst ist, trotzdem bei Qualität und Haltung nicht weich zu werden.

LEADERSNET: Ist Ihre Produktion im Schwarzwald ein strategischer Vorteil oder wächst der Druck, Teile der Fertigung ins Ausland zu verlagern?

Alicia Lindner: Der Schwarzwald ist unser größter Standortvorteil – und natürlich auch eine Kostenherausforderung. "Made in Black Forest" steht international für Qualität, Verlässlichkeit und unser eigenes Tiefenquellwasser direkt am Standort, das ein wichtiger Bestandteil unserer Produkte ist. Gleichzeitig müssen wir uns dem Wettbewerb stellen, der teilweise deutlich günstiger produziert. Unsere Antwort ist: Wir sind und bleiben ein Unternehmen mit starken Wurzeln am Standort Calw. Nur so haben wir wirklich Kontrolle und Einfluss auf die höchste Qualität.

LEADERSNET: Welche Rolle spielt Handelspolitik für global denkende Mittelstandsunternehmen?

Alicia Lindner: Eine größere, als man manchmal wahrhaben will. Handelspolitik entscheidet über Marktzugänge, Planbarkeit und Investitionssicherheit. Freihandelsabkommen, aber auch klare, faire Regeln zu Nachhaltigkeit und Menschenrechten in Lieferketten sind für uns wichtig. Moderne Mittelständler sind global vernetzt – und gleichzeitig stark in ihren Regionen verankert. Wir brauchen handelspolitische Rahmenbedingungen, die beides ermöglichen: internationale Wettbewerbsfähigkeit und verantwortungsvolles Wirtschaften.

LEADERSNET: Was bedeutet das für Ihren Alltag? Sie sagten kürzlich, Sie hielten "nichts von Panikmache" beim Thema Zölle.

Alicia Lindner: Zölle und geopolitische Spannungen sind Realität – aber Panik löst kein einziges Problem. Wir arbeiten mit Szenarien, diversifizieren unsere Beschaffung, bauen langfristige Partnerschaften auf und überlegen uns sehr genau, in welchen Märkten wir wie stark präsent sein wollen. Zölle sind ein Kostenfaktor, aber nicht das einzige Kriterium. Viel wichtiger ist: Wie stabil sind Rahmenbedingungen? Wie verlässlich sind Partner? Wir können als Mittelständler die Weltpolitik nicht ändern, aber wir können robustere Systeme bauen.

LEADERSNET: Welche internationalen Märkte sind für Sie besonders vielversprechend – und welche bewerten Sie inzwischen kritischer?

Alicia Lindner: Besonders spannend erleben wir aktuell Teile Asiens: eine Kombination aus großer Technologieaffinität, wachsendem Bewusstsein für natürliche Produkte und hoher Wertschätzung für deutsche Markenqualität. Gleichzeitig bleiben für uns europäische Kernmärkte wichtig – hier ist Naturkosmetik längst im Mainstream angekommen. Kritischer schauen wir auf Märkte und Regionen, in denen regulatorische oder geopolitische Risiken hoch sind. Wachstum um jeden Preis passt nicht zu uns – wir wollen lieber stabil und partnerschaftlich wachsen.

LEADERSNET: Wie verändern Fachkräftebedarf, Digitalisierung und neue Arbeitsmodelle Ihre Region Schwarzwald?

Alicia Lindner: Der Schwarzwald ist nicht mehr nur Postkartenidylle, sondern zunehmend auch Arbeits- und Technologiestandort – aber wir müssen dafür etwas tun. Fachkräfte kommen nicht automatisch zu uns, wir müssen zeigen, dass moderne Arbeitsmodelle, flexible Zeiten und digitale Prozesse auch hier selbstverständlich sind. Gleichzeitig bietet die Region Lebensqualität, Natur und starke Netzwerke – zum Beispiel über die Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald, mit der wir eng zusammenarbeiten. Ziel ist, dass junge Talente nicht denken: "Ich muss weg", sondern: "Hier kann ich beides haben – Karriere und Lebensqualität."

LEADERSNET: Sie sprechen viele Themen öffentlich an, auch auf LinkedIn. Welche Effekte hat das für Sie und Ihr Unternehmen?

Alicia Lindner: Wenn ich auf LinkedIn Position beziehe, dann weil mir ein Thema wichtig ist – zum Beispiel Female Empowerment oder Working Moms. Der Effekt: Oftmals sehr viel Zuspruch, spannende neue Kontakte und echte Diskussionen – intern wie extern. Natürlich kommen auch kritische Nachrichten, das ist normal. Aber für mich überwiegt klar: Menschen merken sich, wofür eine Marke steht. Und Haltung ist langfristig wertvoll. Wegducken habe ich nicht in meiner DNA.

LEADERSNET: Wie gehen Sie mit polarisierenden Themen oder öffentlichem Gegenwind um?

Alicia Lindner: Erstmal: zuhören. Und dann teile ich meine Meinung dazu, wenn nötig. Die Frage, was nötig ist und was nicht, versuche ich rational zu beantworten. Das gelingt mir in den meisten Fällen.

LEADERSNET: Welche Rolle spielt E-Commerce für Ihre Wachstumsziele?

Alicia Lindner: E-Commerce ist für uns kein Nebenschauplatz, sondern eine wichtige Säule neben unseren stationären Partner:innen. Kund:innen informieren sich online, vergleichen, lesen Reviews – und wollen dann frei wählen, wo sie kaufen. Wir setzen deshalb auf einen eigenen Online-Shop, auf ausgewählte Plattformen und auf digitale Services rund um Beratung. Es geht uns nicht darum, stationäre Partner:innen zu kannibalisieren, sondern gemeinsam sichtbarer zu werden.

LEADERSNET: Sie haben drei Kinder und führen ein internationales Unternehmen. Wie gelingt Ihnen dieser Spagat?

Alicia Lindner: Mit Humor, guter Organisation und der Einsicht, dass Perfektion eine Illusion ist. Es gibt Tage, da läuft alles wie im Bilderbuch – und andere, da bin ich froh, wenn alle halbwegs satt im Bett liegen und die wichtigsten Mails raus sind. Ich habe ein starkes Umfeld, ein tolles Team im Unternehmen und zu Hause. Und ich habe aufgehört, mich dafür zu rechtfertigen, dass ich beides will: eine präsente Mutter und eine engagierte Unternehmerin zu sein. Es klappt nicht immer gleichzeitig – aber in der Regel mit vollem Herzen.

LEADERSNET: Wie bleiben Sie Ihren Werten treu, ohne an unternehmerischer Geschwindigkeit zu verlieren?

Alicia Lindner: Unsere Werte sind kein "nice to have". Wir fragen bei großen Entscheidungen: Passt das zu Wirkung, Nachhaltigkeit und Ehrlichkeit – oder ist es nur ein schneller Effekt? Wenn die Antwort nicht klar ist, lassen wir es. Das klingt nach Bremse, ist aber oft ein Geschwindigkeitsbooster: Wir verlieren keine Zeit mit Dingen, die nicht zu uns passen. Als unabhängiges Familienunternehmen können wir uns bewusst gegen kurzfristige Hypes oder "alles muss sofort"-Aktionen entscheiden – und stattdessen radikal langfristig denken.

LEADERSNET: Welche Ziele möchten Sie in fünf Jahren erreicht haben?

Alicia Lindner: In fünf Jahren möchte ich sagen können: Wir sind international deutlich sichtbarer geworden, ohne unsere Wurzeln im Schwarzwald zu verlieren. Wir haben unseren Umsatz gesund gesteigert und wichtige Meilensteine unserer Nachhaltigkeitsziele erreicht – etwa bei CO₂-Reduktion und Verpackungskreisläufen.

LEADERSNET: Und welche Herausforderungen möchten Sie bis dahin gelöst haben?

Alicia Lindner: Ganz oben stehen für mich: die weitere Dekarbonisierung entlang der Wertschöpfungskette, der Umgang mit steigenden Kosten (Energie, Rohstoffe) und die Digitalisierung unserer Prozesse – von der Produktion bis zum Kundenkontakt. Dazu kommt die Frage, wie wir auch in Zukunft genug qualifizierte Menschen für die Region und unsere Themen begeistern. Und nicht zuletzt: international zu wachsen, ohne unsere Marke zu verwässern oder bei unseren Werten Kompromisse zu machen.

LEADERSNET: Welchen Rat geben Sie jungen Führungskräften, die in ein Familienunternehmen einsteigen oder es transformieren wollen?

Alicia Lindner: Erstens: Sucht früh den Austausch mit anderen Nachfolger:innen – niemand versteht euch so gut wie Menschen, die gerade Ähnliches durchmachen. Zweitens: Holt euch externe Unterstützung, gerade wenn mehrere Generationen und Rollen aufeinandertreffen. Es hilft enorm, wenn jemand von außen moderiert und Fragen stellt, die man sich selbst nicht zutraut. Drittens: Habt Durchhaltevermögen. Nachfolge ist kein Spaziergang, es gibt Täler der Tränen – aber genau dort wächst man zur Unternehmerpersönlichkeit. Und vielleicht der wichtigste Satz, den ich auch jungen Menschen generell mitgebe: Wenn es schwierig und ungemütlich wird, mach dein Herz auf, nicht zu.

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