Amazon-Deutschland-Chef Rocco Bräuniger
"Kunden wollen keine Website, die bunt blinkt und Gewinnspiele veranstaltet"

| Redaktion 
| 16.09.2025

Amazon baut seine Präsenz in seinem weltweit zweitwichtigsten Markt Deutschland weiter aus – und stößt zugleich an regulatorische Grenzen. Deutschland-Chef Rocco Bräuniger betont, wie wichtig der Standort ist, welche Herausforderungen die EU-Regulierung bringt und wie der US-Konzern auf die Billigkonkurrenz aus China reagiert.

"Deutschland ist für uns nach den USA das weltweit zweitwichtigste Land – und das spiegelt sich auch in unseren Investitionen", sagt Bräuniger im großen Interview mit dem Handelsblatt. Demnach habe man von 2010 bis Ende 2023 rund 77 Milliarden Euro in Deutschland investiert, zuletzt kamen jährlich mehrere Milliarden hinzu. Allein im vergangenen Jahr seien 4.000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden.

Auch in der Logistik wird kräftig ausgebaut: Same-Day-Lieferungen gibt es inzwischen in 30 Städten, 30.000 Produkte sind in Berlin und München noch am Tag der Bestellung verfügbar. Besonders gefragt seien Artikel des täglichen Bedarfs. "Im ersten Quartal haben wir über 20 Millionen Produkte am gleichen Tag ausgeliefert – eine Steigerung von 80 Prozent zum Vorjahr", so der Manager.

Regulierung als Wachstumsbremse

Deutlich kritischer äußert sich Bräuniger zur Fragmentierung des europäischen Binnenmarktes. Unterschiedliche Regeln erschwerten Innovation und Expansion: "Wenn Sie einen Elektronikartikel mit Batterien in drei europäischen Ländern verkaufen wollen, müssen Sie sich bei neun verschiedenen Behörden registrieren. Wer hat da noch Lust, zu exportieren?"

Besonders problematisch sei, dass Unternehmen immer mehr Personal für die Einhaltung von Vorschriften abstellen müssten. "Bei vielen Unternehmen sind die Compliance-Teams stärker gewachsen als die Innovationsteams. Auch wir würden gern einen höheren Teil dieser Ressourcen in Innovation stecken."

Konkurrenz aus China: Amazon Haul als Antwort

Auf die Angriffe der chinesischen Billig-Plattformen Temu und Shein reagiert Amazon mit einem eigenen Schnäppchenportal. Amazon Haul sei in Deutschland gestartet und entwickle sich vielversprechend. Bräuniger betont jedoch die Unterschiede: "Wir achten darauf, dass wir mit Haul den Kunden Produkte liefern, die strenge Kontrollen durchlaufen, also sicher sind und allen geltenden Vorschriften entsprechen."

Auch die Lieferkette sei nachhaltiger aufgestellt: Partner in China bündelten Waren zentral, bevor sie nach Deutschland verschifft werden. Zudem habe Amazon plastikfreie Verpackungen eingeführt.

Kein bunt blinkender Onlineshop

Den Trend zum Video-Shopping bewertet Bräuniger nüchtern. Kunden in Deutschland wollten vor allem Verlässlichkeit: "Die meisten Kunden hierzulande wollen keine Website, die bunt blinkt und Gewinnspiele veranstaltet, sie wollen ganz einfach das richtige Produkt finden und es unkompliziert kaufen."

Mit KI-Funktionen wie dem Einkaufsassistenten Rufus gehe Amazon aber auch neue Wege: Rezensionen ließen sich gezielt durchsuchen, Personalisierung werde stetig weiterentwickelt. In den USA experimentiere Amazon zudem mit Shoppable Ads auf TikTok und Kooperationen mit Influencern.

Das gescheiterte Projekt Amazon Fresh will Bräuniger nicht als Misserfolg verstanden wissen: "Wir haben uns entschieden, uns auf haltbare Lebensmittel zu konzentrieren, die zweistellige Wachstumsraten haben." In Deutschland sei das Online-Segment für frische Ware schlicht weniger reif als in den USA oder England.

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