Conversational Agentic AI
Weihnachtsmannwerk: Warum der KI-Santa eines TUM-Doktoranden beinahe am eigenen Erfolg scheitert

Ein Doktorand der TU München hat das wohl saisonalste Geschäft der Welt automatisiert. Seine KI-Hotline verspricht Kindern das "echte" Santa-Erlebnis – doch hinter dem digitalen "Ho Ho Ho" verbirgt sich ein Experiment über die Grenzen von Manipulation und Rechenleistung.

Es beginnt mit einer Telefonnummer, die so gewählt ist, dass sie die Sehnsucht nach Authentizität bedient: Finnland. Wenn der Weihnachtsmann irgendwo wohnen muss, dann dort. Ein elfjähriges Mädchen wählt die Ziffern, es klingelt, und dann meldet sich eine Stimme, die alt genug klingt, um das jahrhundertealte Narrativ zu stützen: Ho Ho Ho raunt es aus der Leitung.

Der Mann am anderen Ende fragt nach Namen, Alter und Wünschen. Er klingt nicht wie ein blecherner Chatbot, der Skripte abspult. Nur eine winzige Verzögerung von ein, zwei Sekunden verrät, dass hier kein Mann im roten Mantel sitzt, sondern eine Rechenoperation stattfindet. Als das Kind von seiner aktuellen Lieblingsbuchreihe erzählt, weiß die KI sofort Bescheid und diskutiert Details der Handlung. Es ist die perfekte Simulation – und gleichzeitig ein Forschungslabor der TU München.

Kinder dazu motivieren sich "prosoziale Dinge" zu wünschen

Hinter der Hotline steckt Thilo Tamme, ein Mann, der das Weihnachtsmann-Geschäft von der Pike auf gelernt hat. 2016 begann er mit einer simplen Buchungsplattform für sich selbst als Miet-Weihnachtsmann. Was als Nebenverdienst für das Studium begann, wuchs zum "Weihnachtsmannwerk" heran, einem digitalen Marktplatz für Teilzeit-Santas in Berlin und Hamburg.

Doch Tammes Ambitionen reichten über die reine Vermittlung hinaus. Ein Versuch, nach München zu expandieren, scheiterte kläglich. Denn dort hat das Christkind das Monopol. Tamme blieb puristisch, lehnte Ideen wie "Rent a Osterhase" ab und konzentrierte sich stattdessen auf die Optimierung seiner Prozesse durch Algorithmen – und schließlich durch Künstliche Intelligenz.

Heute ist Tamme Doktorand an der TU München und forscht über "Conversational Agentic AI". Zusammen mit dem Studenten David Steck hat er den Weihnachtsmann in einen KI-Agenten verwandelt. Es ist ein Experiment am lebenden Objekt: Können KI-Systeme Kinder dazu motivieren, sich "prosoziale Dinge" zu wünschen – etwa mehr Zeit mit der Familie statt eines neuen iPads? Die Grenze zwischen pädagogischer Begleitung und technologischer Manipulation verschwimmt hier im Minutentakt.

Der Grinch heißt "Jailbreak"

Die größte Herausforderung für den digitalen Nikolaus sind jedoch nicht unartige Kinder, sondern die Münchner Startup-Szene. Tammes Freunde versuchten laut Steck mehrfach, die KI zu "jailbreaken", wie die Gründerszene berichtet. Das Ziel: Den Algorithmus dazu zu bringen, zuzugeben, dass es den Weihnachtsmann gar nicht gibt, oder ihn zur Zusage absurd teurer Geschenke zu überreden.

Um das zu verhindern, wurden dem System strenge "Guardrails" verpasst. Technisch basiert die Hotline auf einem Stack aus n8n, ElevenLabs und Trillion – Tools, die ein Voice-Erlebnis erzeugen, das robust genug sein muss, um menschlichen Entgleisungsversuchen standzuhalten.

Gescheitert am eigenen Erfolg

Dass die Sehnsucht nach dem digitalen Santa riesig ist, zeigte sich bereits im Vorjahr. Ohne wissenschaftlichen Überbau gingen allein an Heiligabend 10.000 Anrufe ein. Das Ergebnis: Tamme musste das Projekt stoppen, weil die Kosten für die KI-Nutzung sein Budget sprengten. Es ist eine Ironie der modernen Tech-Welt: Der Weihnachtsmann scheitert nicht am mangelnden Glauben, sondern am Preismodell der Cloud-Anbieter. In diesem Jahr bittet das Team daher um Spenden, um die Forschung zu finanzieren.

Für Tamme selbst könnte dies die letzte Saison an der Spitze des Nordpols sein. Trotz 70-Stunden-Wochen in der Beratung und seiner aktuellen Promotion hat er das Weihnachtsmannwerk jedes Jahr vorangetrieben. Nun sucht er einen Nachfolger.

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