90 Prozent der Ideen scheitern
Was passiert eigentlich in Googles legendärem Geheimlabor?

Von autonomen Drohnen bis zu Laser-Internet: Im geheimen Labor X von Alphabet tüfteln Ingenieure, Künstler und ehemalige NASA-Forscher an der Zukunft. Das Ziel: Probleme lösen, die andere nicht einmal anpacken. Und das mit einem Zeithorizont von zehn Jahren.

In der Innovationsschmiede X in Mountain View, Kalifornien, herrscht eine eigene Logik. "Vernünftige Ideen sind nicht unsere Aufgabe", sagt X-Chef Astro Teller, Enkel des Wasserstoffbomben-Erfinders Edward Teller, zum Handelsblatt. Die sogenannten Moonshots – riskante, visionäre Technologien – stehen im Zentrum des Labors, das längst als Alphabets strategischer Zukunftsspeicher gilt.

Entstanden sind hier bahnbrechende Entwicklungen wie Waymo, das erste Unternehmen für autonome Taxis weltweit. Oder Wing, ein Drohnenprojekt, das heute Pakete für Walmart ausliefert. Zugleich gab es spektakuläre Fehlschläge: Die Datenbrille Google Glass wurde belächelt und eingestellt, das Internet-Ballonprojekt Loon trotz technischer Funktionalität wegen fehlender Wirtschaftlichkeit gestoppt.

Über 90 Prozent der Ideen scheitern – und das ist Teil des Plans.

Milliardenverluste – und doch ein lohnendes Investment?

X, nicht zu verwechseln mit der ehemals als Twitter bekannten Plattform, gehört zur Alphabet-Sparte "Other Bets". Die schrieb im vergangenen Jahr einen operativen Verlust von 4,4 Milliarden US-Dollar. Doch Alphabet kann sich das leisten: Allein im letzten Quartal setzte der Konzern 96,4 Milliarden US-Dollar um. Und: Die erfolgreichsten Ausgründungen wie Waymo sind heute Milliarden wert. Analysten schätzen den Marktwert von Waymo auf bis zu 45 Milliarden US-Dollar – mehr als genug, um frühere Verluste auf dem Papier zu kompensieren.

Teller verteidigt die Strategie: "Ich garantiere Ihnen, dass wir bei X bereits mehr Wert geschaffen als Geld ausgegeben haben."

Taara: Wenn aus gescheiterten Ballons Laser werden

Ein Paradebeispiel dafür, wie aus dem Scheitern Innovation wächst, ist Taara. Ursprünglich sollte die Technologie zur Laserkommunikation lediglich Google-Ballons verbinden. Heute steht sie im Zentrum eines neuen Start-ups, das Internet per Laser liefert – kabellos, flexibel, günstig. Mit Datenraten von bis zu 20 Gigabit pro Sekunde.

Erste Anwendungen gibt es bereits: In Nairobi wird ein Franchise-Modell für Breitbandanschlüsse getestet. In den USA versorgt T-Mobile US mit der Technologie temporäre Mobilfunkmasten. Langfristig will Gründer Mahesh Krishnaswamy mit "Li-Fi" das klassische WLAN ablösen – und später sogar Chips direkt miteinander kommunizieren lassen, ganz ohne Kabel.

Leadership im Grenzbereich

Die Innovationskultur von X basiert auf kontrolliertem Risiko. Zu Beginn erhalten Gründerteams gerade einmal 50.000 Dollar, um ihre Idee in ersten Experimenten zu validieren. Nur wer messbare Meilensteine erreicht, erhält weiteres Kapital. "Wenn die Hypothese nicht standhält, war das immerhin günstig", sagt Teller.

Diese Philosophie hat er von seinem Vorgänger Sebastian Thrun übernommen – dem deutschen KI-Pionier, den Google-Mitgründer Larry Page 2005 beim Wettrennen für selbstfahrende Autos rekrutierte. Thrun gilt als Vater von Waymo und baute X zur festen Institution im Konzern auf.

X ist jedenfalls kein schneller Gewinnbringer – und soll es auch nicht sein. Der Innovationshorizont liegt bei zehn Jahren und mehr. Dennoch zeigt sich, dass sich Geduld und Mut zum radikalen Denken rechnen können: Waymo, Wing und möglicherweise bald Taara sind mehr als PR-Stunts. Sie sind das Ergebnis einer Kultur, die Scheitern einkalkuliert – und deshalb langfristig erfolgreich sein könnte.

Teller bringt es so auf den Punkt: "Unternehmen müssen lernen, Chaos und Komplexität zu tolerieren. Langfristig ist es das allemal wert."

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