Italienische Staatsbahn greift an
Deutsche Bahn droht Machtverlust im Fernverkehr

| Redaktion 
| 02.11.2025

Mit 50 modernen Frecciarossa-Zügen plant die italienische Staatsbahn den Einstieg in das deutsche Hochgeschwindigkeitsnetz. Damit steht die Deutsche Bahn vor ihrer größten Herausforderung im Fernverkehr seit der Bahnreform. Doch auf den überlasteten Trassen wird der Wettbewerb zur logistischen Gratwanderung.

Die Deutsche Bahn steht unter wachsendem Druck: Die italienische Staatsbahn Ferrovie dello Stato (FS) plant einen massiven Vorstoß in den deutschen Fernverkehr. Sollte dieser Schritt umgesetzt werden, käme es zur ersten echten Marktöffnung auf einer Strecke, die bislang von der Deutschen Bahn dominiert wird. FS ist bereits in Deutschland präsent – bisher allerdings nur über ihre Töchter Netinera und TX Logistik, die im Regional- und Güterverkehr tätig sind. Nun peilt der Konzern den direkten Eintritt in das Hochgeschwindigkeitsnetz an, das als besonders margenstark und strategisch bedeutsam gilt.

Markteintritt nimmt konkrete Formen an

Laut eines Berichts des Handelsblatt hat FS-Vorstandschef Stefano Donnarumma erstmals öffentlich bestätigt, dass ein Markteintritt in Deutschland aktiv geprüft werde. "Wir überlegen, unser Geschäft in Deutschland um den renditenträchtigen Bereich der Schnellzüge zu erweitern", sagte er. Erste Gespräche mit Infrastrukturbetreibern und zuständigen Behörden laufen bereits.

Geplant ist der Einsatz von 50 Frecciarossa-1000-Zügen, die zu den schnellsten und modernsten Europas gehören. Diese verkehren bereits erfolgreich in Italien, Frankreich und Spanien. Eine erste grenzüberschreitende Verbindung zwischen Mailand und München soll bereits 2026 starten und später bis Berlin verlängert werden. Auch eine eigene Fahrzeugflotte für den deutschen Markt ist in Vorbereitung – Netinera veröffentlichte bereits im Frühjahr eine Ausschreibung zum Zugkauf. Ein deutliches Zeichen für die Ernsthaftigkeit der Pläne.

Welche Folgen hätte das für die Deutsche Bahn?

Die Deutsche Bahn könnte durch den Eintritt der italienischen Staatsbahn erstmals ernstzunehmende Konkurrenz auf ihren lukrativsten Strecken erhalten. Zwar ist der deutsche Bahnmarkt formal liberalisiert, doch faktisch dominiert die DB den Fernverkehr bisher nahezu allein.

"Auf den profitabelsten Trassen gibt es heute kaum freie Kapazitäten", warnt Bahnexperte Christian Böttger von der Hochschule für Wirtschaft und Technik. Besonders stark frequentierte Knotenpunkte wie Köln, Frankfurt oder Hamburg seien bereits heute stark ausgelastet. Ohne eine signifikante Ausweitung der Infrastruktur müssten neue Anbieter auf weniger zentrale Bahnhöfe ausweichen oder auf Nachfragelücken im Fahrplan hoffen.

Donnarumma betont die Notwendigkeit fairer Wettbewerbsbedingungen und schlägt ein gestaffeltes Trassengebührensystem vor. "Weniger rentable Strecken sollten günstiger sein, damit der Wettbewerb nicht nur in Ballungszentren stattfindet", fordert er. Zudem sollten gesetzliche Regelungen verhindern, dass es zu Preisdumping oder unfairem Verdrängungswettbewerb komme. Der italienische Bahnchef pocht dabei auf eine enge Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn, um gemeinsame europäische Standards zu etablieren.

Parallel zur drohenden ausländischen Konkurrenz steht die Deutsche Bahn auch intern unter Reformdruck: Bahnchefin Evelyn Palla kündigte kürzlich die umfassendste Neuausrichtung seit Jahrzehnten an.

Wettbewerb auf der Schiene gewinnt an Fahrt

Die Zeit für den Markteintritt scheint strategisch günstig: Während die Deutsche Bahn mit operativen Schwierigkeiten, Verspätungen und Sanierungsbedarf im Netz kämpft, befindet sich FS in einer Phase finanzieller Stabilität und internationaler Expansion. Bereits 2012 wurde in Italien der Bahnmarkt für private Anbieter geöffnet. Seitdem hat sich Italo, ein privater Wettbewerber von FS, etabliert – mit spürbar positiven Effekten für Fahrgäste, Pünktlichkeit und Preise.

Diese Erfahrung möchte FS nun exportieren. Donnarumma sagt: "Anfangs mag die Konkurrenz schwer verdaulich gewesen sein, aber sie hat das Angebot verbessert. Heute sind die Züge komfortabler, das Personal besser geschult und der Service attraktiver."

Wie europäisch wird der Fernverkehr der Zukunft?

Das Unternehmen hat längst eine europäische Perspektive eingenommen: In Spanien betreibt FS unter der Marke iryo täglich 65 Hochgeschwindigkeitsverbindungen zwischen elf Städten. Über 17,5 Millionen Fahrgäste nutzten das Angebot seit dem Start 2022 – Tendenz steigend. In Frankreich tritt FS als Trenitalia France gegen die staatliche SNCF an. Und selbst im Vereinigten Königreich plant FS, mit dem Frecciarossa bis 2029 durch den Eurotunnel nach London zu fahren.

Langfristig verfolgt Donnarumma das Ziel, ein zusammenhängendes Hochgeschwindigkeitsnetz quer durch Europa zu schaffen – eine Art "europäische U-Bahn", wie er es nennt. Dieses Netz soll nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ökologisch Impulse setzen. Der grenzüberschreitende Bahnverkehr gilt als Schlüssel zur Reduktion von CO₂-Emissionen im Mobilitätssektor.

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