Bilanzskandal erschüttert Vertrauen
Bafin prüft Gerresheimer wegen Umsatzmanipulation

Beim Verpackungsspezialisten Gerresheimer steht der Verdacht im Raum, den Konzernabschluss 2024 mit nicht zulässigen Buchungstricks geschönt zu haben. Eine Untersuchung im Auftrag des Unternehmens bestätigt nun eine fehlerhafte Millionenbuchung. Die Bafin hat ein offizielles Prüfverfahren eingeleitet – mit möglicherweise weitreichenden Konsequenzen für den SDAX-Konzern.

Der Düsseldorfer Pharmaverpackungshersteller Gerresheimer gerät zunehmend unter Druck: Die Finanzaufsicht Bafin untersucht Unregelmäßigkeiten im Konzernabschluss für das Geschäftsjahr 2024. Im Fokus stehen sogenannte "Bill-and-Hold"-Geschäfte über insgesamt 28 Millionen Euro – eine Praxis, bei der Umsätze vorzeitig verbucht werden, obwohl die Waren physisch noch nicht ausgeliefert wurden. Die aktuellen Entwicklungen könnten das Vertrauen von Anleger:innen und Marktbeobachter:innen dauerhaft erschüttern.

Erste Buchung bereits als fehlerhaft eingestuft

Auslöser der Bafin-Prüfung war der Verdacht, dass Gerresheimer im Jahr 2024 Umsätze zu früh bilanziert haben könnte – ein Vorgehen, das nach internationalen Rechnungslegungsstandards nur unter strengen Bedingungen zulässig ist. Eine externe Kanzlei, die das Unternehmen selbst beauftragt hatte, kommt zu dem Schluss, dass eine Umsatzbuchung über drei Millionen Euro nicht regelkonform war. Obwohl Gerresheimer zunächst keine Verstöße eingeräumt hatte, stellt das Unternehmen nun die eigene Darstellung teilweise infrage. Interne Kontrollsysteme und Compliance-Strukturen geraten damit ebenso ins Licht der Öffentlichkeit wie das Management selbst. 

Auch im Führungsteam gibt es personelle Veränderungen – etwa durch einen Wechsel im Vorstand. Die Untersuchung ist Teil eines umfassenderen Versuchs, das Vertrauen in die Bilanzierungspraktiken des Unternehmens wiederherzustellen.

"Bill-and-Hold"-Praxis unter der Lupe

Bei der kritisierten Buchung handelt es sich um ein sogenanntes "Bill-and-Hold"-Geschäft – also eine Transaktion, bei der der Umsatz bereits verbucht wird, obwohl das Produkt noch beim Verkäufer verbleibt. Laut Rechnungslegungsvorschriften darf ein solcher Umsatz nur dann erfasst werden, wenn bestimmte Kriterien – wie die Übertragung von Risiken und Nutzen – erfüllt sind. In diesem Fall war dies laut den Prüfern nicht gegeben. Insgesamt wurden 2024 "Bill-and-Hold"-Umsätze in Höhe von 28 Millionen Euro gebucht, von denen 25 Millionen Euro nun ebenfalls auf dem Prüfstand stehen. Die Bafin geht dem Verdacht nach, dass auch bei diesen weiteren Transaktionen die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Umsatzrealisierung nicht gegeben waren. Gerresheimer zeigte sich kooperativ und betonte gegenüber der Öffentlichkeit seine Bereitschaft, vollständige Transparenz zu gewährleisten. Laut ntv wird derzeit geprüft, ob es sich um ein systemisches Problem handelt oder um Einzelfälle, die auf mangelhafte interne Kontrollen zurückführen sind.

Aktienkurs stürzt weiter ab

Für Gerresheimer kommt die Affäre zur Unzeit. Die Aktie des Unternehmens hat innerhalb eines Jahres rund zwei Drittel ihres Wertes verloren. Die Ankündigung der Bilanzprüfung durch die Bafin im September hatte bereits zu einem weiteren Kursrutsch geführt. Dass nun auch das Unternehmen selbst Fehlbuchungen einräumt, dürfte das Vertrauen von Investor:innen weiter erschüttern. Wie ntv berichtet (Link), soll die Kanzlei die verbleibenden Verdachtsfälle ebenfalls prüfen. Analyst:innen bewerten die Entwicklung mit großer Skepsis. Einige sprechen bereits von einem Vertrauensverlust, der sich nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig auf die Kapitalmarktstrategie auswirken könnte. Auch die Frage, ob weitere Rückstellungen notwendig werden, steht nun im Raum. Branchenbeobachter:innen vermuten, dass das Unternehmen in den kommenden Quartalen mit regulatorischen Sonderkosten rechnen muss.

Pharmaverpackung statt Bierflaschen

Gerresheimer blickt auf eine lange Geschichte zurück: Einst bekannt als Bierflaschenhersteller mit eigener Glashütte im Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim, hat sich das Unternehmen inzwischen zum Spezialisten für Primärverpackungen aus Glas und Kunststoff in der Pharma- und Kosmetikbranche gewandelt. Zu den Produkten zählen Insulinpens, Asthma-Inhalatoren und Verpackungen für Impfstoffe. Weltweit beschäftigt der Konzern rund 13.600 Mitarbeitende, größere Produktionsstandorte befinden sich in Bünde (NRW) und Pfreimd (Bayern). Der Hauptsitz liegt am Düsseldorfer Flughafen. In den vergangenen Jahren hatte sich Gerresheimer zudem stark auf die Digitalisierung seiner Produktionsprozesse konzentriert und in neue Technologien investiert. Die aktuelle Affäre dürfte jedoch auch interne Transformationsprozesse bremsen und neue Fragen an die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens aufwerfen. Gerade mit Blick auf internationale Konkurrenz aus Asien könnten Reputationsverluste schwerer wiegen als kurzfristige Kursverluste.

Kommentar veröffentlichen

* Pflichtfelder.

leadersnet.TV