Ob Netflix, Prime Video, Disney+, WOW oder Apple TV+: Streaming ist fester Bestandteil des Alltags geworden – sowohl im privaten als auch im gesellschaftlichen Kontext. Dabei hat sich das Binge Watching, also das exzessive Schauen mehrerer Folgen hintereinander, zum Massenphänomen entwickelt. Eine neue wissenschaftliche Untersuchung liefert nun Hinweise darauf, dass Serienmarathons weit mehr sind als reine Ablenkung: Sie könnten das psychische Wohlbefinden fördern und als moderne Form der Erholung fungieren. Wie das Online-Magazin t3n berichtet, nimmt die Forschung diesen Trend nun genauer unter die Lupe.
Streaming als Erholungsritual
Die in Acta Psychologica veröffentlichte Studie der University of Georgia kommt zu dem Schluss, dass Binge Watching gezielt zur Stressreduktion beitragen kann. Zuschauer:innen beschäftigen sich laut der Forschung oft auch nach dem Schauen aktiv mit der Handlung – in Form von Tagträumen, inneren Dialogen oder intensiver Reflexion. "Menschen, die die Gewohnheit haben, Serien zu bingen, tun das oft nicht passiv, sondern denken danach aktiv darüber nach", sagt Studienautor Joshua Baldwin. Diese gedankliche Weiterverarbeitung kann laut den Forschenden eine Art psychische Nachsorge darstellen – ähnlich wie das Nachhallen eines Buches oder Films.
Darüber hinaus konnte beobachtet werden, dass das gezielte Konsumieren bestimmter Seriengenres – etwa Dramen, Thriller oder komplexe Fantasy-Universen – das Eintauchen in fiktive Welten erleichtert. Diese immersive Erfahrung wirkt beruhigend, strukturiert den Abend und schafft ein emotionales Gegengewicht zum stressigen Alltag. Besonders nach belastenden Tagen greifen viele Menschen bewusst zum Streamingangebot, um in vertraute Serienwelten einzutauchen.
Serienkonsum mit positiver Nebenwirkung
Rund ein Drittel ihrer Freizeit verbringen die Deutschen mit TV- oder Streaming-Inhalten – das entspricht laut Statistischem Bundesamt etwa 2 Stunden und 7 Minuten täglich. Binge Watching ist dabei längst fester Bestandteil der Mediennutzung: Laut Netflix haben 90 Prozent der Nutzer:innen schon einmal Serien am Stück konsumiert. Besonders gefragt sind laut einer Studie der TH Köln Formate wie Comedy, Crime und Fantasy, die sowohl emotionale Identifikation als auch narrative Tiefe bieten.
Ein entscheidender Punkt dabei: Viele Nutzer:innen empfinden Binge Watching nicht als unproduktive Zeit, sondern als bewusste Selbstfürsorge. Der Moment des Abschaltens, des gezielten Eskapismus, kann helfen, emotionale Ressourcen wieder aufzuladen. Die Forschung spricht hier von einem "regenerativen Medienkonsum", der – ähnlich wie Lesen oder Musikhören – zur mentalen Stabilisierung beitragen kann.
Welche positiven Effekte hat Binge Watching?
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Binge Watching unter bestimmten Umständen mehr kann als nur unterhalten. Hier sind die wichtigsten positiven Effekte im Überblick:
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Stressabbau: Serienkonsum kann helfen, akuten Alltagsstress abzubauen und emotionale Balance wiederherzustellen.
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Mentale Erholung: Die Auseinandersetzung mit Serieninhalten bietet eine Form innerer Reflexion und Entspannung.
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Förderung des Wohlbefindens: Serien bieten emotionale Befriedigung und stärken das psychische Gleichgewicht.
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Immersion in fiktive Welten: Das Eintauchen in Geschichten schafft Abstand vom Alltag.
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Regenerative Mediennutzung: Binge Watching wird von vielen als bewusster Rückzug und Selbstfürsorge verstanden.
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Erfüllung emotionaler Bedürfnisse: Figuren und Geschichten befriedigen Bedürfnisse nach Nähe, Sicherheit und Zugehörigkeit.
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Kulturelle Ersatzfunktion: Serien übernehmen Rollen klassischer sozialer Rituale und bieten neue Formen von Gemeinschaft.
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Stärkung der Vorstellungskraft: Tagträume und Fantasien regen die Kreativität an und fördern emotionale Verarbeitung.
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Soziale Integration: Serien dienen als gemeinsames Gesprächsthema und fördern soziale Bindungen.
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Emotionale Stabilisierung: Vertraute Serienformate geben Halt – besonders in belastenden Lebensphasen.
Emotionale Bindung als Schlüssel
"Wir haben herausgefunden, dass vor allem jüngere Menschen bingewatchen, die einem hedonistischen oder eskapistischen Lebensstil zugeneigt sind", erklärt Christian Zabel vom Schmalenbach Institut der TH Köln. Doch auch in der älteren Zielgruppe findet das Serienmarathon-Format zunehmend Anklang – besonders wenn es um dialogreiche, charismatisch besetzte Formate geht. Durch die Identifikation mit Charakteren oder Erzählstrukturen können laut Studien psychologische Bedürfnisse wie Zugehörigkeit, Geborgenheit oder Kontrolle indirekt erfüllt werden.
Zudem übernehmen Serien zunehmend Funktionen, die früher anderen sozialen oder kulturellen Ritualen vorbehalten waren – etwa dem abendlichen Gespräch, dem Kinobesuch oder dem Buchclub. Joshua Baldwin erklärt: "Geschichten haben Charaktere, die diese Rollen erfüllen, und wir können unsere Bedürfnisse durch sie befriedigen." Serien werden dadurch zu emotionalen Ankerpunkten im Alltag – und in manchen Fällen sogar zu konstanten Begleitern im Leben ihrer Zuschauer:innen.
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