Der Weg eines Temu-Kleids
Einmal TikTok, dann weg damit: Wie Ultra-Fast Fashion den Modekonsum beschleunigt

| Natalie Oberhollenzer 
| 24.06.2025

Der Algorithmus schläft nicht. Während Millionen Nutzer:innen durch TikTok scrollen, analysieren KI-gestützte Systeme bei Temu, welche Farben, Schnitte und Hashtags viral gehen. Binnen 72 Stunden ist daraus ein Kleid geworden – verfügbar für 6,99 Euro, versandkostenfrei. Bestellt, geliefert, getragen – zweimal. Vielleicht.

Schritt 1: Der Trend kommt aus dem Netz

Es beginnt mit einem Video: Eine Influencerin tanzt in einem pastellfarbenen Satin-Minikleid. Innerhalb von Stunden erreichen vergleichbare Looks Millionen Klicks. Bei Temu – einer der aggressivsten Plattformen im Ultra-Fast-Fashion-Sektor – genügt das, um die Produktionskette zu starten. Die Designs werden automatisiert nachgebaut oder von viralen Bildern abgeleitet. Rechtliche Grauzonen inklusive.

Schritt 2: Produktion auf Abruf

Genäht wird dort, wo Löhne niedrig, Schutzvorschriften schwach und Kontrollinstanzen kaum vorhanden sind: in Textilfabriken in Südostasien und China. Temu arbeitet mit einem On-Demand-Ansatz – es werden zunächst nur kleinste Chargen gefertigt. Steigt die Nachfrage, folgt der Nachschub in Echtzeit. So werden nicht nur Lagerkosten gespart, sondern auch jedes Mode-Risiko algorithmisch abgesichert.

Schritt 3: Versand statt Verkaufserlebnis

Der Weg vom Warenkorb zur Haustür dauert oft nur wenige Tage – trotz des Versands aus Asien. Möglich wird das durch aggressive Subventionierung, unter anderem gestützt durch das sogenannte "China-Schlupfloch" im internationalen Postverkehr, das Kleinsendungen zollfrei durchlässt.

Schritt 4: Ein Shooting, kein Leben

Getragen wird das Kleid selten zu einer Veranstaltung – sondern vor der Selfie-Kamera. Der Kaufgrund: ein Reels-Dreh, ein Outfit-Post, ein viraler Moment. Die Klamotte wird dafür abgestimmt auf Licht, Farbe und Filter. Danach verliert sie ihren Zweck – sie war nicht für Tragekomfort oder Langlebigkeit gedacht, sondern für ein einziges digitales Bild.

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Schritt 5: Wohin mit dem Müll?

Wird das Kleid zurückgeschickt, wird es meist nicht erneut verkauft. Die Rücknahme ist oft teurer als die Entsorgung. Also landet es auf dem Müll – oder in riesigen Second-Hand-Bergen in Ghana oder Chile. Dort verstopfen tonnenweise nicht recycelbare Billigstoffe die Ökosysteme.

Was Ultra-Fast Fashion wirklich kostet

Der Preis von 6,99 Euro täuscht. Denn die wahren Kosten zahlen andere: etwa die Näherinnen ohne Sozialversicherung und die Meere voller Mikroplastik.

Mode gilt eigentlich als Ausdruck von Stil und Identität. Bei Ultra-Fast Fashion verkommt sie zu einer variablen Größe im Content-Karussell – billig produziert, schnell geliefert, kurz sichtbar, sofort vergessen. So sieht ein Konsumbewusstsein aus, das sich nur noch für Sichtbarkeit und gar nicht mehr für Substanz interessiert.

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