Interview mit dem CEO von IQM
Jan Goetz will "weltweit führende Quantencomputer für das Wohlergehen der Menschheit bauen"

| Bernhard Führer 
| 15.04.2024

Jan Goetz gilt als Europas vielversprechendster Kandidat im Wettbewerb um eine Schlüsseltechnologie der Zukunft, den Quantencomputer. Aber was bewirkt dieser konkret? Der Mitbegründer von IQM gewährt Einblicke in die Chancen der Technologie, die Vision seines Unternehmens und in seine Rolle in dieser revolutionären Branche.

Anders als konventionelle Rechner, die lediglich den Zustand 0 und 1 kennen, können Quantencomputer jeglichen Wert dazwischen (und dies auch parallel) annehmen. Dies lässt die Rechenleistung exponentiell ansteigen und eröffnet so ungeahnte Möglichkeiten in verschiedensten Bereichen unseres Lebens.

IQM strebt danach, den Quantencomputer zur Marktreife zu bringen. Sollte dies gelingen, könnte Europa eine führende Rolle in dieser zukunftsweisenden Technologie einnehmen. Ein Betrag in der Größenordnung von hunderten Millionen dürfte dabei von Nutzen sein: Die Errungenschaften des Startups sind mittlerweile so beeindruckend, dass es in der letzten Finanzierungsrunde 128 Millionen Euro sammeln konnte - mehr als jedes andere Quanten-Startup in der EU.

Unter der Führung von Jan Goetz strebt IQM danach, den Quantencomputer zur Marktreife zu bringen und Europa zu einem führenden Akteur in dieser zukunftsweisenden Technologie zu machen.

LEADERSNET: Erzählen Sie uns von Ihrem Hintergrund. Wie sind Sie aufgewachsen? Wie haben Ihre Kindheit und Ihr Aufwachsen Ihren Weg als Vorstandschef von IQM beeinflusst?

Goetz: Ich bin in Neuss zwischen Köln und Düsseldorf aufgewachsen, zusammen mit meiner älteren Schwester, meinem jüngeren Bruder und meinen Eltern. In meiner Jugend habe ich mich viel mit Sport beschäftigt und war Wettkampfruderer gewesen. Ich gewann mehrere deutsche Meisterschaften und nahm auch an internationalen Regatten teil. Während meiner 11. Klasse verbrachte ich ein Jahr in einem Internat in Connecticut, USA, das sich auf Rudern als Leistungssport konzentrierte.

Anstelle des Wehrdienstes entschied ich mich für ein freiwilliges soziales Jahr und trainierte Kinder und Jugendliche im Rudern und anderen Sportarten. Ich denke, ein Team-Leistungssport ist ein großartiges Training für eine berufliche Laufbahn, weil man dabei lernt, zusammenzuspielen, ein gemeinsames Ziel anzustreben und hart für ein Thema zu arbeiten, für das man brennt.

In der Schule hatte ich schon immer eine Vorliebe für technische Themen und konzentrierte mich auf Mathe und Physik. Daher entschied ich mich für ein Physikstudium, das mich 2006 nach München führte, wo ich später auch promovierte. Meine akademische Ausbildung ist dann die Grundlage für das Unternehmen IQM geworden, das ich später mitgegründet habe. Neben dem technischen Know-how habe ich durch meine Promotion in experimenteller Physik gelernt, wie man komplexe Systeme aufbaut, wie man Lösungen für sehr komplexe Probleme findet und wie man sich richtig artikuliert. Dies sind alles Fähigkeiten, die im Leben eines CEO sehr hilfreich sind.

Während meiner Doktorandenzeit beschloss ich, mir einen Hund namens Kleo anzuschaffen, der die Tage mit mir im Physikinstitut verbracht hat. Unsere Lieblingsveranstaltungen waren die Grillabende, die wir regelmäßig auf der Laderampe des Instituts veranstalteten. Heutzutage verbringe ich meine Freizeit gerne in der Natur, zum Beispiel beim Wandern oder auf einem Boot in den finnischen Schären. Außerdem gehe ich oft mit meiner Frau in die Oper oder ins Ballett, um unserem vollen Terminkalender zu entkommen. Ich bin ein geselliger Mensch und mag die Natur; das sind die Themen, die mir außerhalb der Arbeit Energie geben.

LEADERSNET: Danke schön. Beginnen wir mit etwas Einfachem. Können Sie mir ein wenig erzählen, was Sie tun?

Goetz: Ich bin einer der Gründer und Co-CEO von IQM Quantum Computers, einem Unternehmen mit Hauptsitz in Finnland und mehreren Niederlassungen in Europa, Singapur und den USA. Als Unternehmen entwickeln, verkaufen und liefern wir Quantencomputer. Wir sind also in der Hardware- und Produktionsbranche tätig, die der Halbleiterindustrie in ihren Anfängen sehr ähnlich ist. Meine Hauptaufgabe ist es, das Unternehmen weiterzuentwickeln und ich vertrete das Unternehmen nach außen. Wie bei vielen Startups haben wir mit einem kleinen Team angefangen, in dem Entscheidungen am Küchentisch getroffen wurden.

Heute ist das anders – wir haben fast 300 Mitarbeiter, haben rund 200 Millionen Euro an Kapital eingeworben und produzieren und liefern Quantencomputer in die ganze Welt. Um das Unternehmen zu leiten, haben wir erfahrene Fachleute für die verschiedenen Bereiche eingestellt. Um die Teams zu unterstützen und zu leiten, arbeite ich an strategischen Themen, an größeren Geschäften und an der Interaktion mit Regierungen und Investoren. Wenn ich Zeit habe, versuche ich immer noch, unsere Technologie- und Produkt-Roadmap mit zu steuern und eine Vision zu vermitteln.

Generell ist meine Motivation, einen großen Quantencomputer zu bauen und ich sehe meine Rolle als Wegbereiter dafür. Das heißt, ich möchte sicherstellen, dass wir über einen starken und ehrgeizigen Wachstumsplan sowie über die finanziellen Mittel und das richtige Team verfügen, um unsere Pläne umzusetzen.

LEADERSNET: Wie behalten Sie den Überblick? Wie sieht Ihr typischer Tag aus?

Goetz: Ich verwalte meinen Kalender sehr diszipliniert und versuche, mich selbst zu organisieren, indem ich Sitzungen im Voraus plane und Zeiten für andere Dinge wie E-Mails, aber auch Sport freihalte, also im Kalender einplane. Auch mit meinem E-Mail-Eingang bin ich sehr diszipliniert. Ich versuche, ihn jeden Tag zu leeren, um zu vermeiden, dass ich mehr als zehn bis 20 E-Mails in meinem Posteingang habe. Das heißt, ich bin sehr gut darin geworden, bestimmte Themen zu löschen, weiterzuleiten und zu beantworten.

Außerdem bin ich viel unterwegs, was bedeutet, dass ich die meiste Zeit außerhalb des Büros arbeite. Das bedeutet, dass ich keinen typischen Arbeitstag und nicht so viele Arbeitsroutinen habe. Um dennoch eine gewisse Struktur zu schaffen, habe ich bestimmte Gewohnheiten, wenn ich unterwegs bin. Ich versuche immer noch, in den Fitnessstudios der Hotels Sport zu treiben. Ich frühstücke nicht, abgesehen von einem Kaffee oder grünem Tee, aber ich versuche immer, ein ordentliches Mittag- und Abendessen einzunehmen, auch wenn ich allein bin.

Die Mittag- und Abendessenpausen geben mir Zeit zum Nachdenken und zum Sammeln neuer Ideen. Ich sammle diese Ideen auf meinem Smartphone und versuche dann, sie später, wenn ich Zeit dafür habe, in die Tat umzusetzen. Manche Ideen erweisen sich im Nachhinein als nicht so gut, aber einige dieser Ideen haben sich auch als sehr wertvoll erwiesen.

LEADERSNET: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Unternehmen im Bereich Quantencomputing zu gründen?

Goetz: IQM Quantum Computers hat seinen Ursprung an der Aalto-Universität, wo Mikko Möttönen 2007 die Forschungsgruppe für Quantencomputer und -geräte (QCD) gründete. Im Jahr 2017 übernahm die Gruppe die Leitung des Future Makers Projekt Quantum Computer, mit Kuan Yen Tan und mir unter den Forschungsstipendiaten. Die akademische Konstruktion von Quantencomputern durch das Projekt gab nicht nur der Qubit-Technologie einen bemerkenswerten Schub, sondern auch dem Interesse der Öffentlichkeit und der Risikokapitalgeber. Nach Besuchen renommierter Geschäftsleute wie Risto Siilasmaa und Ilyas Khan in den QCD Labs beschloss Mikko im Februar 2018, eine Quantencomputerfirma zu gründen.

Kurz darauf traf er seinen alten Freund Juha Vartiainen bei einem Floorball-Spiel und erzählte ihm von seinen Plänen, ein Unternehmen zu gründen, das die Zukunft des Quantencomputings verändern würde. Juha mit seiner positiven und energiegeladenen Art wollte sich sofort beteiligen. Kuan und ich zögerten auch nicht lange, und Ende 2018 waren das Gründungsteam und die ersten 20 Mitarbeiter bereit, mit der Arbeit zu beginnen. Im Juli 2029 gaben wir unsere 11,45 Millionen Euro Seed-Finanzierungsrunde bekannt, die von MIG Ventures angeführt wurde. Im August 2019 führte das Unternehmen bereits Messungen an Quantenchips in seinem eigenen Labor durch. Ein neuer Stern ging am Quantenhimmel auf.

LEADERSNET: Was sind die Hauptziele und Visionen von IQM im Bereich Quantencomputing? Wie plant IQM, die Quantencomputer-Technologie für den Durchschnittsbürger zugänglich zu machen?

Goetz: Wir sind ein Komplettanbieter. Wir entwickeln, bauen, verkaufen und warten universelle Quantencomputer mit supraleitenden Mikrowellenschaltungen und bieten sie Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Universitäten, HPCs usw. an. Unser Ziel ist es, weltweit führende Quantencomputer für das Wohlergehen der Menschheit zu bauen. Es ist unser Ziel, unsere Systeme für Menschen, Algorithmen-Entwickler, Universitäten, Unternehmen und HPC-Zentren zugänglich zu machen. Aktuell umfasst unser Angebot an innovativen Produkten und Services u.a. IQM Radiance, IQM Spark und IQM Resonance. Wir konzentrieren uns darauf, unsere Produkt-Roadmap schnell umzusetzen und unser kommerzielles Momentum zu steigern.

LEADERSNET: Wie beurteilen Sie die aktuelle Wettbewerbssituation im Bereich der Quantencomputertechnologie? Sie verglichen das Unternehmen einmal mit Airbus und sagten, dass die Bündelung des Know-hows in Europa vonnöten ist, um dem Wettbewerb aus den USA und China Paroli zu bieten….

Goetz: Bei der Entwicklung von Quantencomputern wurden erhebliche Fortschritte erzielt und es herrscht ein intensiver globaler Wettbewerb zwischen Akteuren in Europa, den USA und APAC. Europas Stärken sind öffentlich finanzierte Forschung und Hochschulen, Talente, ein dynamisches industrielles Ökosystem und eine führende Rolle in der Basistechnologie. In unserem kürzlich erschienenen Bericht "State of Quantum 2024“ haben wir einen positiven Ausblick für die europäische Quantentechnologie gegeben.

Die Studie hebt auch hervor, dass Europa erhebliche Investitionen in Quantentechnologien getätigt hat, was zu einem starken Wachstum des Sektors geführt hat. Ich bin der Meinung, dass die Akteure des Ökosystems mehr zusammenarbeiten sollten, um ein starkes Quanten-Ökosystem in Europa zu schaffen. Unter diesem Gesichtspunkt bin ich davon überzeugt, dass Europa einen "Quanten-Airbus“ braucht, um die unterschiedlichen Stärken der einzelnen Mitgliedstaaten zu bündeln und die notwendige Finanzierung sicherzustellen, damit es mit den Tech-Giganten auf der ganzen Welt konkurrieren kann.

LEADERSNET: Welche Rolle spielen Quantencomputer Ihrer Meinung nach in der Zukunft der Technologie und was unterscheidet die Technologie von IQM von anderen Ansätzen zum Quantencomputing?

Goetz: Im Quantencomputing konzentrieren sich einige Akteure auf Komplettlösungen, während sich viele andere auf einzelne Komponenten konzentrieren. Wir bieten Quantencomputer vor Ort für Supercomputing-Zentren und Forschungslabors an und bieten vollen Zugang zu unserer Hardware. Darüber hinaus haben wir gerade ein Cloud-Angebot namens IQM Resonance auf den Markt gebracht. Auf der Technologieseite legen wir großen Wert auf die Qualität und Geschwindigkeit unserer Prozessoren sowie auf die hardwareeffiziente Implementierung von Algorithmen.

Für Industriekunden bietet IQM einen Quantenvorteil durch einen einzigartigen anwendungsspezifischen Co-Design-Ansatz. Ich glaube, dass Quantencomputer in der Zukunft eine enorme Rolle spielen werden. Wir sehen das Potenzial des Quantencomputings in praktischen Anwendungen in Bereichen wie maschinellem Lernen, Cybersicherheit, Routenoptimierung, Quantensensor-Simulation, chemischer Forschung und der Entwicklung neuer Arzneimittel.

LEADERSNET: Welche Branchen oder Anwendungsfälle könnten am meisten von der Entwicklung der Quantencomputer-Technologie profitieren? Welche Anwendungsbereiche sehen Sie für Quantencomputer und wie können sie die Industrie revolutionieren?

Goetz: Wir sehen das Potenzial des Quantencomputings für praktische Anwendungen in Bereichen wie maschinellem Lernen, Cybersicherheit, Routenoptimierung, Quantensimulation, chemischer Forschung und der Entwicklung neuer Arzneimittel. Allerdings können wir in diesen Anwendungsbereichen derzeit noch nicht die Leistung großer Supercomputer übertreffen. Aber wir können bereits vielversprechende Proof-of-Concepts durchführen. Darüber hinaus entsteht ein Markt im Bildungssektor, und wir haben eine starke Online-Plattform namens IQM Academy, um diese Bedürfnisse in Verbindung mit unserem Quantencomputer IQM Spark zu erfüllen.

LEADERSNET: Wie sieht die Roadmap von IQM für die kommenden Jahre aus? Sie planen eine neue Finanzierungsrunde? In jüngster Vergangenheit kam es zu Kostensenkungen und einer Reduktion von Arbeitsstellen im Unternehmen.

Goetz: Wir konzentrieren uns darauf, unsere Produkt-Roadmap schnell umzusetzen und unser kommerzielles Momentum zu steigern. In unserer letzten Serie-A2-Runde haben wir 128 Millionen Euro von Tech-Investoren erhalten, darunter institutionelle Anleger und Pensionsfonds. Im März 2024 haben wir unser Restrukturierungsprogramm abgeschlossen und uns auf die strategischen Schlüsselbereiche unserer nächsten Wachstumsphase konzentriert.

Diese Umstrukturierung und Neuausrichtung hat sich auch auf einige unserer Mitarbeiter ausgewirkt, aber jetzt stellen wir wieder Mitarbeiter in Schlüsselbereichen ein. Das bedeutet, dass wir uns auf eine globale Expansion konzentrieren und auf den Märkten in den USA und APAC aktiv werden. Wir haben gerade unser Cloud-Angebot auf den Markt gebracht, das wir in Zukunft ebenfalls ausbauen werden. Und dann werden wir weiter in unsere Technologie investieren. All das muss natürlich finanziert werden und deshalb erwarten wir, dass wir noch in diesem Jahr wieder Geld einwerben werden.

LEADERSNET: Sie sind bisher weit gekommen, weiter als viele andere… was würden Sie Ihrem jüngeren Ich raten?

Goetz: Ein Ratschlag, der mir sehr gut gefallen hat, ist einfach "keine Egos“. Bei IQM ist Teamwork einer unserer Grundwerte. Das bedeutet, dass wir Probleme als Team lösen wollen und dass die Mitarbeiter sich gegenseitig unterstützen, unabhängig von Jobtiteln oder anderen Hierarchien. Dieser Ansatz passt gut zu den flachen Hierarchien, die man typischerweise in den nordischen Ländern und in der nordischen Kultur findet. Er passt auch zur Arbeitsweise in wissenschaftlichen Organisationen, in denen die Menschen bescheiden sind und an ihrer tatsächlichen Leistung gemessen werden.

Ich denke, dass es besonders als Führungskraft wichtig ist, bescheiden zu bleiben und mit seinen Teams in Verbindung zu bleiben, weil man nur dann erfolgreich sein kann, wenn alle an einem Strang ziehen und ein größeres Ziel verfolgen. Die wichtigste Lektion für mich ist die Bedeutung von Menschen, Kultur und einfühlsamer Führung.

In einem innovativen Bereich wie dem Quantencomputing muss man die richtigen Leute mit der richtigen Denkweise zusammenbringen, um neue Ideen für ehrgeizige Pläne zu entwickeln, die dann auch umgesetzt werden. Das bedeutet, dass man Experten aus verschiedenen Bereichen, wie Technologie, Marketing, Finanzen usw. zur Zusammenarbeit motivieren muss. Dabei ist es wichtig, dass diese Menschen die gleichen Werte teilen und sich dieselbe Kultur zu eigen machen. Der Aufbau eines Unternehmens mit einer großartigen Unternehmenskultur lag mir schon immer sehr am Herzen.

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