Nexperia warnt vor Chip-Engpässen
VW muss Golf-Produktion in Wolfsburg stoppen

Volkswagen zieht die Konsequenzen aus der angespannten Versorgungslage mit Nexperia-Halbleitern: Wie aus einem aktuellen Medienbericht hervorgeht, wird die Fertigung des Golf-Modells im Stammwerk Wolfsburg vorübergehend eingestellt. Hintergrund ist der sich zuspitzende Handelskonflikt zwischen den USA und China, der den Zugang zu essenziellen Bauteilen behindert.

Update, Mittwochnachmittag:

Die Warnung wurde bereits ausgesprochen, nun folgt die erste konkrete Maßnahme: Laut "Bild"-Zeitung stoppt VW ab Mittwoch kommender Woche die Produktion des Golf in Wolfsburg. Ursache sind fehlende Steuerungskomponenten des niederländischen Halbleiterherstellers Nexperia, der im chinesischen Besitz ist und zunehmend unter Exportbeschränkungen leidet.

Produktionsunterbrechung wird Realität

Die aktuelle Entwicklung markiert eine neue Eskalationsstufe in der Halbleiterkrise: Laut dem Bericht beruht der Produktionsstopp auf Lieferschwierigkeiten von Chips, die Nexperia in China fertigt – und die aufgrund geopolitischer Spannungen zwischen den USA und China zunehmend blockiert werden. VW selbst äußerte sich offiziell nicht zur konkreten Produktionsunterbrechung, stellte aber klar: "Vor dem Hintergrund der dynamischen Lage können Auswirkungen auf die Produktion kurzfristig jedoch nicht ausgeschlossen werden."

Kurzarbeit im Gespräch

Interne Kreise bestätigen laut dem Bericht, dass VW bereits Gespräche mit der Bundesagentur für Arbeit führt, um im Bedarfsfall Kurzarbeit anmelden zu können. Betroffen sein könnten zehntausende Beschäftigte. Bereits am Freitag dieser Woche sollen die Bänder für Golf und Tiguan im Rahmen einer Inventur stillstehen, ein Neustart kommende Woche sei jedoch fraglich.

Beim niederländischen Halbleiterhersteller Nexperia erreicht der Konflikt eine neue Stufe. Der frisch eingesetzte Interims-CEO Stefan Tilger hat am vergangenen Freitag Kunden schriftlich davor gewarnt, Nexperia-Bauteile aus dem chinesischen Werk in Dongguan (ATGD) zu verbauen. Die Botschaft ist drastisch: Für Produkte aus dieser Fabrik könne Nexperia derzeit keine Garantie übernehmen – weder für den Schutz des geistigen Eigentums noch für verwendete Technologien sowie Authentizitäts- und Qualitätsstandards. Die Empfehlung des Managements: Lieferungen nicht annehmen und Teile nicht nutzen, berichtet das manager magazin.

Tilger schließt in dem Schreiben nicht aus, dass Spezifikationen verändert oder andere Materialien eingesetzt wurden. Man betrachte diese Ware deshalb nicht länger als "authentische Nexperia-Teile". Parallel rät das Unternehmen "dringend", alle geschäftlichen Verhandlungen mit chinesischen Nexperia-Töchtern auszusetzen und Zahlungsaufforderungen von dort nicht zu bedienen. Zugleich versichert Tilger, Nexperia arbeite aktiv daran, die Kontrolle über den Standort wiederherzustellen. Eine Stellungnahme des Unternehmens auf Nachfrage blieb zunächst aus.

Der politische Hintergrund

Auslöser der Eskalation ist die staatliche Übernahme Nexperias durch die niederländische Regierung Ende September. Nexperia gehört seit 2018 zum chinesischen Wingtech-Konzern. Die US-Regierung hatte das Unternehmen jüngst auf eine Sanktionsliste gesetzt und laut niederländischen Gerichtsdokumenten mit weiteren Maßnahmen gedroht, sollte der chinesische CEO nicht ersetzt werden.

Ein Amsterdamer Gericht entzog Wingtech-Chef Zhang Xuezheng daraufhin den Posten an der Nexperia-Spitze; interimistisch führt nun CFO Tilger. Dem niederländischen Wirtschaftsministerium zufolge gab es "schwerwiegende Mängel in der Unternehmensführung". In den Akten findet sich zudem der Verdacht, Nexperia habe beim Wingtech-Zulieferer WSS über 200 Mio. US-Dollar bestellt – bei einem tatsächlichen Bedarf von 70 bis 80 Mio. Dollar. Beschäftigte berichteten gegenüber der Justiz, viele Teile seien "für den Müll" beschafft worden.

Die chinesische Seite reagierte mit Gegenmaßnahmen: Ab 4. Oktober wurden Ausfuhren aus dem Nexperia-Werk in China untersagt bzw. mit langen Genehmigungsverfahren belegt, nachdem Wingtech Peking um Unterstützung gebeten hatte. Die chinesische Regierung sprach von übermäßiger Einmischung und geopolitischer Voreingenommenheit. Parallel kündigte Nexperias chinesische Tochter laut Medien an, künftig unabhängig von der Zentrale agieren zu wollen – was Tilger im Kundenbrief ausdrücklich zurückweist.

Autoindustrie in Alarmbereitschaft

Die Warnung trifft eine Branche, die Nexperia-Bauteile in zahlreichen Anwendungen nutzt – von LED-Leuchtmitteln bis zur Airbag-Elektronik. Entsprechend groß ist die Nervosität: Bereits in wenigen Tagen könnten Produktionsausfälle drohen, falls Lieferketten reißen. In Deutschland haben Hersteller, Zulieferer und der VDA Krisenstäbe eingerichtet.

Auch auf europäischer Ebene ist die Lage brisant. Der Herstellerverband Acea schlug am Donnerstag Alarm: Das Nexperia-Problem betreffe "praktisch alle" Mitglieder, so Generaldirektorin Sigrid de Vries. Man brauche "schnelle, pragmatische Lösungen". Aus der US-Autoindustrie kommen ähnliche Warnungen.

Nach Informationen des manager magazin will sich die deutsche Branche kurzfristig an Bundeskanzler Friedrich Merz und Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche wenden – mit der Bitte um politische Unterstützung.

Warum Ersatz schwierig ist

Obwohl es sich bei vielen Nexperia-Komponenten nicht um High-End-Chips handelt, ist ein rascher Lieferantenwechsel kaum möglich. Vorlaufzeiten in der Chipfertigung betragen oft Monate. Theoretisch könnten Zulieferer auf ältere Nexperia-Bestände oder Lagerware anderer Anbieter ausweichen. Doch jede neue Komponente muss getestet und behördlich freigegeben werden – ein Prozess, der Zeit und Geld kostet.

Hinzu kommt die Komplexität moderner Fahrzeuge: Trotz Trends zur Zentralisierung der Elektronik sind in Neuwagen 60 bis 90 Steuergeräte üblich. "In jedem davon könnte ein Nexperia-Bauteil stecken – fehlt es, steht schnell die halbe Produktion", warnt ein Branchenkenner.

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