Aisha Washington: "Seitdem ich Kinder habe, bin ich eine bessere Führungskraft"

| Patricia Konarzewski 
| 01.11.2023

Aisha Washington, Business Development Director im Marketing bei L'Oréal und alleinerziehende Mutter zweier Kinder, setzt sich seit jeher für die Themen Vereinbarkeit und Female Empowerment ein. In ihrem Podcast "The Leading Moms" führt sie Gespräche mit anderen Frauen in Führungspositionen über Mutterschaft und beruflichen Erfolg. Beim HR Inside Summit in Wien wurde Aisha Washington von LEADERSNET befragt, wie Arbeitgeber Eltern effektiv unterstützen können und warum es immer wichtiger wird, sich als familienfreundlicher Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt zu positionieren.

LEADERSNET: Sehr geehrte Frau Washington, Sie sind seit über einem Jahrzehnt bei L’Oréal und sind dort schon mehrfach in Führungspositionen aufgestiegen. Waren Sie jemals mit dieser Frage "Kind oder Karriere" konfrontiert?

Aisha Washington:  Bei L’Oréal nicht, weil ich ganz viele Beispiele von Frauen hatte, die nach den Schwangerschaften wieder in den Job zurückgekommen sind. In meiner L’Oréal Bubble war das für mich ganz normal, deswegen war das nie eine Frage, ob das eine oder das andere, sondern darum, wie ich beides gut miteinander kombiniere.

LEADERSNET: Wie funktioniert das bei L’Oréal, einem doch sehr stark mit Frauen besetzten Konzern? Welche Vorteile ergeben sich dadurch und welche Einrichtungen gibt es für Mütter?

Washington: Es ist tatsächlich so, dass ich nach beiden Elternzeiten in höhere Positionen befördert wurde und größere Marken übernommen habe. Es gibt ein Vertrauen, wenn die Mitarbeiter:innen schon eine Weile da sind und sich auch weiterentwickeln wollen. Für mich war das Allerwichtigste – vor allem in der ersten Schwangerschaft – dass ich bei L’Oréal für meinen Sohn einen Platz in dem betriebseigenen Kindergarten erhalten habe, einen Ganztages-Kitaplatz. Und das ist natürlich schön, wenn man nicht diesen Stress hat, ob man einen Platz kriegt, oder nicht und weiß, die Kids sind gut aufgehoben und man ist auch zeitlich flexibel. Und das war für mich der größte Bonuspunkt und auch das Einfachste für den Wiedereinstieg. 

LEADERSNET:  Das heißt, nach dem ersten Kind war es für Sie einfach, wieder einzusteigen. Wie war es dann mit dem zweiten Kind?

Washington: Ja, mit dem Zweiten war es tatsächlich ein bisschen schwieriger. Ich habe mir länger Zeit genommen – mit dem ersten Kind sechs Monate, mit dem zweiten dann neun. Man muss sich anders organisieren, aber letztendlich vom Einstieg her war es dann so, dass ich sogar die Division gewechselt habe, also einen ganz neuen Bereich übernommen habe, was sehr spannend war.

LEADERSNET: Das heißt, ein neuer Arbeitsbereich und dann noch die ganze Organisationsarbeit mit zwei kleinen Kindern. Das klingt nach sehr viel Stress. Der Begriff 'Vereinbarkeit' von Kind und Familie ist ein sehr stressbehafteter. Wie könnte man das positiver besetzen? Was sind ihre positiven Botschaften an alle, die mit dem Gedanken spielen, Eltern zu werden?

Washington: Mutter zu sein ist das Schönste auf der Welt und man sollte sich niemals die Frage stellen, ob oder wie, weil man Angst um seine Karriere hat. Ich glaube, es gibt nie den perfekten Zeitpunkt, aber man kann irgendwann den Zeitpunkt verpassen. Davor hieß es bei mir: "Job, Job, Job" und ich war voll in meinem Karrierewahn. Ich finde, Vereinbarkeit bedeutet, auch mal auf sich selbst hören und neue Wege finden, seine Zeit zu priorisieren. Für mich war es mehr eine Bereicherung als ein Stressfaktor. Natürlich bedarf es einer anderen Organisation dahinter, so ist beispielsweise Sonntag mein Planungstag. Aber die Kinder haben mir einen ganz anderen Ausgleich gegeben, und das ist es auch das, was ich allen, die mit dem Gedanken spielen, an die Hand geben will. 

LEADERSNET:  Apropos Bereicherung. Beim HR Inside Summit lautet Ihr Appell an Recruiter:innen: "Stellt mehr Mütter ein und profitiert davon!". Wie profitieren Unternehmen von Eltern?

Washington: Ich war schon Führungskraft, bevor ich Mutter geworden bin und habe danach auch Führungsrollen übernommen. Seitdem ich Kinder habe, bin ich eine bessere Führungskraft geworden, weil ich mich besser organisiere. Ich bin viel strukturierter und ich habe eine ganz andere Empathie entwickelt. Als Leader merke ich, dass Leute offener mit mir über gewisse Themen sprechen, weil ich diese Empathie entgegenbringe und weil ich auch in meinem Team und auch für mich sehr klar priorisieren kann. Gerade heute, wo man im Marketing nicht nur Online, Offline, Retail Marketing etc. hat, muss man auch wirklich in der Lage sein, zu sagen: Was sind die Prioritäten für die kommende Woche? Und deswegen glaube ich, dass Arbeitgeber davon extrem profitieren können, wenn sie Mütter in Führungsrollen setzen, weil sie gut organisiert sind, weil sie sehr empathisch sind, aber auch, weil sie sehr stressresilient sind. Wenn man zu Hause zwei kleine Kinder hat, mit denen man jeden Abend diskutiert, wann Schlafenszeit ist, dann wird einen die nächste Verhandlung mit einem großen Retailer auch nicht aus den Fugen werfen.

LEADERSNET:  Wir erleben jetzt auch gerade eine Trendwende am Arbeitsmarkt, wo Arbeitgeber sich zunehmend als familienfreundlich positionieren. Warum ist das für Unternehmen so wichtig?

Washington: Ich glaube, es sind zwei Punkte. Auf der einen Seite werden wir künftig mit einer Generation konfrontiert sein, der Familie wichtiger ist. Wenn wir die junge Generation für uns begeistern wollen als Arbeitgeber, müssen wir in der Lage sein, klar zu kommunizieren, dass wir diesen Teil des Lebens wahrnehmen und miteinbeziehen. Aber man sieht es auch in den Studien zum Thema Väter, dass auch immer mehr Männer diese Interessen verfolgen und Elternzeit nehmen wollen, Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen etc. Vereinbarkeit beginnt eigentlich auch damit, dass man die Männer miteinbezieht, dass man auch ihnen mehr Freiheiten gibt und dass man ihnen die Chance gibt, auch Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Denn nur so entlasten wir die Frauen und geben ihnen die Möglichkeit, auch wieder zurück in den Job einzusteigen. Ich glaube, die Kombination aus diesen beiden Themen führt einfach dazu, dass, wenn ein Arbeitgeber da nicht mitgehen, sie irgendwann ein Problem haben werden.

LEADERSNET: Was wären konkrete Beispiele, die Arbeitgeber Müttern und Vätern bieten sollten? Gibt es Punkte, die leicht umsetzbar sind?

Washington: Es kommt immer darauf an, um was für ein Unternehmen es sich handelt. Ein Riesenunternehmen wie L’Oréal kann sich das leisten, einen Betriebskindergarten zu haben. Für eine:n Mittelständler:in ist es schwieriger, aber es gibt inzwischen auch Subunternehmen wie 'Heynanny', die sich darauf fokussiert haben, Unternehmen dabei unter die Arme zu greifen, Kinderbetreuung sicherzustellen. Ich glaube, Kinderbetreuung ist ein Riesenthema, wo sich jedes Unternehmen auf irgendeine Art und Weise Gedanken darüber machen muss. Zweitens ist Flexibilität, wenn es um die Arbeitszeiten geht, ein extrem wichtiger Faktor. Hier kommt mir L’Oréal mit flexiblen ways of working sehr entgegen. Zudem brauchen wir ein Umdenken, was Jobmodelle angeht. Ich bin eine Mutter, die kein Problem damit hat, in Vollzeit zu arbeiten, aber es gibt auch viele Mütter, die Teilzeit arbeiten wollen. Und ich glaube, da gibt es inzwischen wirklich auch tolle Möglichkeiten mit Jobsharing, wo man sich Gedanken darüber machen kann, wie man den Job oder eine Führungsrolle aufteilen kann und wie sich diese Job-Paare finden. Wir bieten bei L’Oréal auch etwas für Co-Parents an. Gerade wenn wir über das Thema Väter oder auch same-sex relationships denken, stellt man sich die Frage, wie sie unterstützt werden können. Wir haben bei L'Oréal jetzt eine Policy, dass wir für zwei Monate lang das Gehalt voll aufstocken, sodass Co-Parents Elternteile auch zu Hause sein können. Das sind kleine Hebel, die aber viel bedeuten, wenn es letztendlich darum geht, sich als familienfreundlicher Arbeitgeber zu positionieren.

LEADERSNET:  Sie haben einen Podcast, "The Leading Moms", in dem sie mit Müttern in Führungsrollen sprechen. Warum ist Ihnen das Thema so ein wichtiges Anliegen?

Washington: Weil ich einfach der Meinung bin, dass man ganz viel verändern muss. Ich war in meiner L’Oréal Bubble und habe davon gar nicht so viel mitbekommen, bis ich in meinen zweiten Kindergarten gewechselt bin, der kein Betriebskindergarten ist, wo viele Mütter zu Hause waren und ich extrem dafür verurteilt wurde, dass ich als Mutter arbeite und dass ich in der Führungsrolle bin und dass mir das Thema Karriere wichtig ist. Jede:r, der eine Meinung hat und etwas verändern möchte, ist heutzutage auch in der Lage, – über soziale Medien, Podcasts etc.–, diese kundzutun. Wir müssen alle gemeinschaftlich umdenken und da etwas bewegen.

LEADERSNET:  Sie sagen es, Sie wurden mit Vorwürfen konfrontiert. In welcher Form hat sich das dargestellt?

Washington: Meistens sind es tatsächlich andere Eltern. Ich verurteile keinen für das Familienmodell, für das er sich entschieden hat – ob man sich dafür entscheidet, drei Jahre lang mit seinem Kind zu Hause zu bleiben, oder ob man nach zwei Monaten wieder arbeitet. Ich glaube, jede:r trifft diese Entscheidung für seine Familie richtig. Meine Jungs waren relativ klein, als sie in den Kindergarten gekommen sind, und dann kommen auch Kommentare wie "Rabenmutter" oder "Wie kann sie das ihren Kindern antun?". Ich stehe hinter meinem Familienbild und vertrete die Meinung, dass man kein anderes Familienbild verurteilen sollte.

LEADERSNET: Sie haben in Ihrem Podcast sehr viele Frauen interviewt. Was sind die häufigsten Herausforderungen und Missverständnisse, mit denen Mütter in Führungsrollen zu kämpfen haben?

Washington: Ich glaube, dass letztendlich in Führungspositionen die größte Herausforderung ist, sich erst mal beweisen zu müssen. Bei einem Mann ist es tendenziell egal, ob der Kinder hat oder nicht, weil man in erster Linie nicht an die Kinderbetreuung denkt. Bei der Mutter denkt man automatisch: das Kind wird krank, es muss abgeholt werden etc. Sie muss sich diese Vertrauensbasis im Gegensatz zu Männern erst erarbeiten. Ich glaube, es gibt zwei Typen Frau: die eine, die gar nicht darüber spricht, dass sie Kinder hat, weil sie im Vorstand sitzt und es irgendwie nicht dazugehört. Oder Frauen wie ich, die sagen: "Ich habe Kids, sie sind Teil meines Lebens und entweder du nimmst mich für meine Skills, die ich mitbringe, oder du lässt es einfach". Dieses Selbstbewusstsein zu haben, darüber zu sprechen und zu sagen "Ich kann!", ist ein Thema, wo Frauen öfter über ihren Schatten springen müssen.

LEADERSNET:  In ihren Gesprächen mit Müttern in Führungspositionen, was waren die besten Ratschläge in Bezug auf die Vereinbarkeit?

Washington: Dass Frauen, die Kinder haben, nach Hilfe fragen sollen und dass sie Hilfe annehmen sollen. Als Mütter wollen wir häufig alles alleine organisieren: Kind, Haushalt, Geschenke für die Oma, Kindergeburtstag etc. Durch die Bank haben alle Frauen – egal ob sie alleinerziehend oder in Partnerschaften lebend –, gesagt: "Wenn du Hilfe brauchst, fragt nach Hilfe!". Ob das der Ehemann ist, ob das ein Netzwerk ist oder Großeltern, man kann nicht alles alleine meistern und man sollte auch nicht das Bild vermitteln, dass alles alleine geht. Aber man sollte sich sein Konstrukt bauen, das funktioniert.

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