"Der Ruf der IT-Branche ist schon lange nicht mehr verstaubt und klassisch männlich"

Im LEADERSNET-Interview spricht IT-Beraterin und Führungskraft Maria Truong unter anderem über die kommenden Digitalisierungstrends, die Rolle der Frau in der IT-Branche sowie den Fachkräftemangel am Arbeitsmarkt und die nötigen Maßnahmen um die Branche wieder ansprechender zu gestalten.

LEADERSNET: Wie würden Sie Ihren Alltag und die Aufgabenbereiche in der Funktion als IT-Consultant beschreiben?

Maria Truong: Abwechslungsreich. Mein Kalender kann Montagmorgens noch überschaubar sein – und Montagabend dann bis Freitag zur Gänze verplant. In der Doppelfunktion als Beraterin und Führungskraft, ist der Tag umso facettenreicher. Man hat Stand-ups oder Check-ins mit Projektmitgliedern, Workshops – online oder auch mal vor Ort bei Kund:innen. Man setzt sich mit den Anforderungen der User:innen auseinander, sucht und analysiert Systeme und die Einstellungen. Das alles sollte zusätzlich auf Augenhöhe mit den Kund:innen geschehen.

LEADERSNET: Welche Anforderungen muss ein IT-Consultant erfüllen?

Maria Truong: Analytisches und "Out-of-the-box"-Denken. Fallweise ist es auch nötig, um die Ecke zu denken und offen für Kompromisse zu sein. Fähigkeiten wie Empathie und Kommunikationsfähigkeit sind für mich persönlich das Um und Auf. Zuhören, aber auch kritisch sein. Kritikfähigkeit zählt mit Sicherheit auch zu nennenswerten Stärken. Eine gewisse Affinität zu IT und prozessualen Abläufen wie auch ein wirtschaftlicher Hintergrund helfen in der SAP-Beratung enorm.

LEADERSNET: Wie wird das Berufsbild des IT-Consultant innerhalb der Gesellschaft Ihrer Meinung nach wahrgenommen?

Maria Truong: Gemischt – eine richtige Antwort gibt es wohl nicht. Einige glauben, dass wir IT-Berater:innen überbezahlt sind und uns mehr auf den Status oder Dienstreisen konzentrieren. Auf der anderen Seite sind unsere Kund:innen sehr dankbar für die Hilfe, die sie in Projekten oder auch im Tagesgeschäft bekommen. IT-Consultants gibt es ja nicht nur von extern. Viele Unternehmen haben auch intern eine große IT-Mannschaft die am Ende das System unterstützt und als Rückgrat der Unternehmen betrachtet werden kann.

LEADERSNET: Welche IT-Trends könnten sich 2023 entwickeln?

Maria Truong: Cloudprodukte – wir sind bereits vernetzt und wir vernetzen uns noch weiter. Darüber hinaus wird das Thema "AI" auch immer stärker in den Vordergrund rücken. Wir hören täglich vom Fachkräftemangel in allen Branchen und Bereichen. Der Mangel könnte durch digitalisierte und automatisierte Prozesse ein Stück weit kompensiert werden. Natürlich trifft das nicht auf alle Bereiche zu – aber irgendwo muss man ja anfangen. Außerdem erhalten auch die Themen Nachhaltigkeit und Sustainability immer mehr Gewichtung im Tagesgeschäft von Unternehmen. Dahingehend werden sich aus IT-Sicht sicherlich auch noch Entwicklungen ergeben.

LEADERSNET: Welche Maßnahmen könnten die Unternehmen in den nächsten Jahren ergreifen, um den digitalen Anforderungen weiterhin gerecht zu werden?

Maria Truong: Einerseits ist es wichtig, die IT intern zu stärken und darüber hinaus, sich ganz klar das Zielbild aufzeichnen. Wo soll die Reise hingehen und wie kann die Roadmap dazu aussehen. Was verkraftet meine Organisation und in welchem Tempo. Eine ordentliche System- , Prozess- und Datenanalyse ist das wichtigste um den Istbestand zu eruieren. Der Trend geht klar Richtung Standarisierung – vor allem, weil damit Projektdurchlaufzeiten verkürzt, Komplexität reduziert und der Unterstützungsaufwand im Haus minimiert und vereinfacht werden können.

LEADERSNET: Waren Sie als Frau in einem IT-Beruf mit geschlechterspezifischen Stereotypen konfrontiert?

Maria Truong: Ja – ganz klar. Vor allem vor 16 bis 17 Jahren, als es ungefähr eine Ration von 20:1 in der IT-Welt gab, musste Frau sich hochgradig mit Stereotypen auseinandersetzen. Oftmals wurde man belächelt und nicht ernst genommen. Aber mit der fachlichen Kompetenz und Intelligenz, einer gesunden Portion Selbstbewusstsein und Humor, wussten die Gesprächspartner:innen relativ schnell, woran sie sind und mit wem sie es zu tun haben. Die genannte Empathie und Kommunikationsfähigkeit helfen Frauen hierbei umso mehr. Zu Anfangszeiten meiner Karriere nannten mich meine Kollegen "industrietauglich"– das war allerdings in einem Maschinenbauunternehmen, wo der Ton und die Umgangssprache damals auch noch ganz anderes war.

Ich denke, wir Frauen haben uns unsere Stellung in der Gesellschaft bis dato gut erarbeitet und dabei gilt sicherlich der Dank den unzähligen Vorreiterinnen. Aber jede einzelne von uns kann nur weiter Frauen in technischen Berufen unterstützen und sie motivieren – das Potential ist sicher noch nicht ausgeschöpft und irgendwann wird es keine Quote mehr sein, die erfüllt werden muss, damit eine Frau in der Geschäftsführung oder im Vorstand großer Firmen und Konzerne sitzt.

LEADERSNET: Worin liegt der Unterschied zwischen der Implementierung von eigenen Softwaresystemen und der Nutzung einer Cloud-Lösung?

Maria Truong: Also es müsste eher heißen, was ist der Unterschied zwischen der Implementierung einer On-Prem Lösung und der Nutzung einer Cloud-Lösung. Auf Cloudlösungen haben Lizenznehmer:innen(in unserem Fall Kund:innen, die SAP-Produkte nutzen) kaum Einfluss in der Individualisierung von Prozessen oder Systemeinstellungen. Updates, Neuerungen und Anpassungen werden den Nutzer:innen zur Verfügung gestellt; somit bleibt man am Standard und vor allem immer am aktuellsten technischen Stand. Unternehmen, die in der Cloud sind, müssen sich nicht darüber sorgen, welche Updates wichtig sind und wann diese implementiert werden müssen. Somit werden keine Neuerungen oder notwendige Bug-fixes verpasst. Zu meinen Anfangszeiten mussten wir Berater:innen noch unzählige Hinweise suchen, die dann eingespielt werden mussten, wenn ein Systemfehler aufgetaucht ist. Vergleichbar ist es wie mit Updates am Rechner oder Handy – diese Updates helfen den User:innen schließlich: Sie bringen Neuerungen und lösen erkannte Probleme.

LEADERSNET: Worauf sollten Unternehmen achten, wenn sie mit einem Cloud Anbieter zusammenarbeiten?

Maria Truong: Unabhängig, ob es eine Cloudlösung oder On-Prem Lösung ist – die Funktionalität und Anwendbarkeit stehen im Vordergrund. Darum ist es so wichtig, dass Unternehmen ihr Zielbild kennen und klar abwägen, was sie denn benötigen. In allen Fällen ist es wichtig, dass die Entscheidungsträger:innen von Unternehmen sich mit den Produkten auseinandersetzen aber auch die Anforderungen der Endnutzer:innen verstehen. Im besten Fall werden diese in die Anbieterauswahl involviert – letztendlich müssen diese ja auch mit dem System arbeiten.

LEADERSNET: Wie kann die Datensicherheit gewährleistet werden?

Maria Truong: Arbeitet man in der Cloud, so tragen der Host und die Cloudanbieter:innen die Risiken. Es werden klare Verträge abgeschlossen und das Unternehmen muss sich nicht selbst um Hosting und damit einhergehenden Sicherheitsthemen beschäftigen. Der Cloud-Host wiederum haftet für Datensicherheit und muss sicherstellen, dass mit den Daten sicher umgegangen wird und kein Zugriff durch Fremde möglich ist.

LEADERSNET: Wie definieren Sie eine gute Customer Experience?

Maria Truong: Anwender:innen hätten gerne ein "Rundumsorglospaket" und das auch noch komplett auf jeden individuell zugeschnitten. Und darin liegt auch der Vorteil der Cloudlösungen wie beispielsweise SAP CX. Jahrelange Erfahrung und Erkenntnisse der Pioniere und Vorreiter wurden gesammelt und in einem ganzheitlichen Produkt verpackt. Aber die Reise ist ja noch nicht zu Ende – Vielmehr wird das Portfolio sukzessive erweitert und auf die Wünsche der User:innen eingegangen. Endnutzer:innen brauchen eine intuitive und leicht bedienbare Oberfläche. Die Antwortgeschwindigkeit des Systems muss schnell sein und je weniger Klicks und Systembrüche desto besser. Darüber hinaus sollten benötigte Daten und Informationen auf Mausklick verfügbar, nutzbar und auswertbar sein – das ganze in Echtzeit und ohne sich in unterschiedlichen Systemen anmelden zu müssen.

LEADERSNET: Welche grundsätzlichen Tipps würden Sie weitergeben, um die Customer Experience zu verbessern?

Maria Truong: Fragen Sie ihre Kund:innen, was sie benötigen und was ihnen hilft. Und fragen Sie ihre Mitarbeiter:innen, die mit dem System arbeiten – denn Customer Experience betrifft nicht nur Endkund:innen– auch die Mitarbeitenden haben ihre Ansprüche und Anforderungen. Das Ziel muss sein, dass sich alle gerne anmelden, ihren eigenen persönlichen Mehrwert haben und somit eine Unternehmensbindung entsteht. Bilden Sie sich ihre eigene USP – und die fängt im Marketplace an.

LEADERSNET: Welche Methoden würden Sie empfehlen, um Feedback einzuholen und die Customer Experience zu verbessern?

Maria Truong: Die klassische Survey ist ein gutes Hilfsmittel – aber wenn wir uns ehrlich sind: Wie viele Umfragen bekommen wir mittlerweile tagtäglich und wie viele empfinden wir eher als lästig? Das persönliche Gespräch und der Erfahrungsaustausch sind immer noch der Schlüssel. "Lessons learned"- Veranstaltungen können hierbei sehr helfen. Ebenso hilft eine Nachbetreuung im 1:1 Austausch, um die Stimmung aber auch Feedback einzuholen.

Eine gute Möglichkeit wäre auch "make a wish" – wenn User:innen sich eine Sache dazu wünschen und eine Sache wegwünschen könnten; was wäre das? In einem aufgelockerten Workshop kommen dabei sehr wertvolle Ideen und Rückmeldungen. Diese können wiederum verarbeitet werden und in die Weiterentwicklung der Software einfließen.

Und nicht zuletzt – zuhören! Eine Systemimplementierung oder ein Onboarding der Kund:innen passiert ja nicht von heute auf morgen – dabei werden auch zwischenmenschliche Beziehungen entwickelt. Im regelmäßigen Austausch kann man bereits sehr viel Kundenfeedback heraushören und dieses auch einsetzen.

LEADERSNET: Thema Personalmangel: Worin bestehen im Bereich IT derzeit die wesentlichen Herausforderungen?

Maria Truong: Das ist derzeit nicht nur ein IT-Problem, aber ein erheblicher Wandel am bisher bekannten Arbeitsmarkt ist deutlich erkennbar. Eine Vielzahl neuer Berufsbilder wurden geschaffen – Social Media, Life-Work-Balance und der Ruf nach Individualität und Freiheit dominieren und beeinflussen die Arbeitswelt. In der IT – und ich spreche momentan hauptsächlich von der SAP-Beratung – haben wir das Problem, dass gerade jetzt jeder die Digitialisierungsreise startet. Diese wurde lange verschlafen oder hinausgezögert und nun versuchen viele auf einmal aus den Startlöchern zu kommen. Den schnellen Neuerungen und Innovationen geschuldet, fehlt es oft an fachlicher Kompetenz – vor allem in unternehmensinternen IT-Abteilungen. Dort gilt es in erster Linie das Tagesgeschäft sicherzustellen und einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Sich nebenbei auch noch mit modernen Softwarelösungen und Möglichkeiten auseinanderzusetzen; dafür bleibt oft keine Zeit. Oft gelten die internen IT-Strukturen auch als veraltet und verstaubt und die Attraktivität des Jobs nimmt somit ab. Veränderungsideen oder auch kreative Köpfe werden oft nicht beachtet oder ernst genommen.

LEADERSNET: Wie könnte ein Job innerhalb der IT-Branche auch für weibliche Bewerberinnen attraktiv werden?

Maria Truong: Der Ruf der IT-Branche ist schon lange nicht mehr so verstaubt und klassisch männlich. Man findet immer mehr Frauen und vor allem in der IT-Beratung ist das Berufsbild schon viel diverser als noch vor 10 Jahren. Es müssen wie in allen anderen Branchen die Chancen und Rahmenbedingungen für alle gleich sein. Einerseits helfen Politik und Unternehmen dabei schon mit und bieten mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, gefördert und finanzielle gestützte Elternzeit für Frau und Mann eine solide Basis. Vor allem in der IT ist flexibles Arbeiten oder Teleworking nahezu zu 100 Prozent möglich. Corona hat uns gezeigt, dass alle – vom Topmanagement bis zum Praktikanten von nahezu überall arbeiten können. Wir haben auch gelernt, dass es gar nicht schlimm ist, wenn das Töchterchen oder der kleine Sohnemann plötzlich im Video-Workshop auftauchen und in die Kamera winken. Gerade in der IT-Branche ist der Salary Gap nicht mehr so groß wie in anderen Branchen oder Bereichen und im Rahmen des aktiven Recruitings oder aber auch innerhalb von Kundenprojekten erkennen wir immer wieder Talente, die wir dann auch für den Beraterjob motivieren können. 

LEADERSNET: Welche Maßnahmen müssten einerseits aus unternehmerischer und andererseits aus politischer Sicht ergriffen werden, um dem Fachkräftemangel innerhalb der IT-Branche entgegenzuwirken?

Maria Truong: Hier benötigt es ein Umdenken im Management. Die Fachkräfte sollen gefördert werden – nicht nur gefordert. Eine übertarifliche Bezahlung unterstützt auch die Unternehmensloyalität. Mitarbeiter:innen sollen nicht das Gefühl haben, einen Job machen zu müssen – vielmehr sollten sie ihre Chance erkennen und wahrnehmen, etwas verändern und mitgestalten zu können. Aus allen Projekten treten immer sehr kreative und talentierte IT-Fachkräfte hervor, die dann auch einen Karrieresprung im Unternehmen erfahren. Dies ist nur möglich, wenn Unternehmen dies auch zulassen und diese Talente fördern und auch halten. Auch Umschulungen und Förderungen von IT-Jobs sollten unterstützt werden. Wieso ist Digitalisierung in Schulen noch nicht zum Standard geworden? Das gleiche gilt für öffentliche Einrichtungen. Die Vielzahl von Beamt:innen, die täglich Daten und Informationen abtippen, ausdrucken und abheften könnten durch Digitalisierung und Umschulung neue Strukturen schaffen und somit auch wieder die besprochene Customer Experience erhöhen. Der Schlüssel hier heißt "Learning by doing". Nur müssen Unternehmen und auch die Politik dies ermöglichen und zulassen.

Derzeit liegt es in der Privatwirtschaft, IT-Jobs attraktiv zu gestalten und diese als solches zu bewerben. Jobmessen, Kooperationsveranstaltung von Softwareanbietern und Beratungshäusern bis hin zu Partnerschaften im People Management. Viele IT-Unternehmen bilden ihre Fachkräfte nun "von der Pieke aus" – sprich, es wird an Hochschulen aktives Sourcing und Recruiting betrieben, um innerhalb des Unternehmens die Fachkräfte entsprechend auszubilden. Die CNT führt jährlich zwei Traineeprogramme durch, wobei im Schnitt zwanzig oder mehr junge Talente in zwölf Monaten zu Berater:innen ausgebildet werden. Dieses Erfolgsprogramm diente auch unseren Kund:innen bereits als Vorbild, wodurch in den Unternehmen viele Mitarbeiter:innen erfolgreich an die neue Software herangeführt werden konnten.

LEADERSNET: Welche Maßnahmen müssten ergriffen werden, um bereits an der Schule Mädchen für MINT-Fächer zu begeistern?

Maria Truong: Aktiv IT-Trainings und Kurse anbieten. Das Thema IT für alle zugänglich machen und spielerisch gestalten. IT-Fachexpert:innen einladen, die von ihrem Job erzählen und gegebenenfalls dieses erwähnte "Learning-by-doing" initiieren.

www.cnt-online.com

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