Versorgungssicherheit in Gefahr
Cannabisgesetz gefährdet Milliardenmarkt und Arbeitsplätze

| Redaktion 
| 05.08.2025

Die geplante Verschärfung beim medizinischen Cannabis sorgt für Aufruhr in einer Branche, die seit der Teillegalisierung boomt. Führende Unternehmen warnen vor einem massiven Markteinbruch, Experten sprechen von drohenden Versorgungslücken – und die Politik steht unter Zugzwang.

Seit der Teillegalisierung von Cannabis im Jahr 2024 verzeichnet der Markt ein starkes Wachstum. Doch die geplante Gesetzesänderung könnte diese Dynamik abrupt stoppen: Künftig sollen Erstverschreibungen nur noch nach einem persönlichen Arztbesuch möglich sein, der Versandhandel soll verboten werden. Branchenvertreter, Ärzt:innen und Marktanalyst:innen schlagen Alarm.

Vom Aufschwung zur Unsicherheit

Seit April 2024 dürfen auch Allgemeinmediziner:innen Cannabisblüten verschreiben, sogar über Videosprechstunden. Parallel ermöglichte der Gesetzgeber den Onlineversand – mit durchschlagendem Effekt: Die Zahl der Selbstzahler-Rezepte schoss in die Höhe, Importe legten um 211 Prozent zu. Der Markt florierte. Firmen wie Cantourage oder Demecan meldeten zweistellige Wachstumsraten. Cantourage verzeichnete im ersten Halbjahr 2025 einen Umsatz von 54 Millionen Euro – mehr als im gesamten Vorjahr.

Auch Demecan, das als einziger Hersteller medizinischen Cannabis in Deutschland anbaut, konnte seinen Umsatz im ersten Halbjahr verdoppeln. Der Markt entwickelte sich in kürzester Zeit von einer Nische zu einem zentralen Standbein für zahlreiche Akteure in der Gesundheitswirtschaft. Für viele Unternehmen war die gesetzliche Öffnung ein Innovationsschub – und zugleich ein Signal an Investoren.

Doch mit dem neuen Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums droht die Rolle rückwärts: Persönliche Arztgespräche sollen künftig Pflicht für eine Erstverordnung sein, Onlineversand verboten werden. Adrian Fischer, CEO von Demecan, warnt: "Einer der wenigen wachsenden Märkte in Deutschland wird dann rückabgewickelt."

Adrian Fischer, CEO von Demecan, sieht im neuen Gesetzesentwurf eine ernsthafte Gefahr für den gesamten medizinischen Cannabismarkt. (Bild: Demecan)
Adrian Fischer, CEO von Demecan, sieht im neuen Gesetzesentwurf eine ernsthafte Gefahr für den gesamten medizinischen Cannabismarkt. (Bild: Demecan)

Massive Folgen für Markt und Beschäftigung

Branchenkenner erwarten drastische Folgen. Patrick Hoffmann, Vorstand von Cantourage, rechnet mit einem Rückgang des Marktes um bis zu 60 Prozent: "Tausende Arbeitsplätze und Hunderte Millionen Euro an Steuereinnahmen würden aufs Spiel gesetzt." Auch die Patientenversorgung könnte leiden, besonders im ländlichen Raum, wo spezialisierte Apotheken rar sind.

Laut Insight Health liegt der durch gesetzliche Krankenkassen erstattete Markt derzeit bei etwa 250 Millionen Euro. Den weitaus größeren Anteil machen jedoch Selbstzahler aus – mit geschätzten 500.000 bis 800.000 Personen. Der Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen (BPC) erwartet für das Gesamtjahr einen Branchenumsatz von rund einer Milliarde Euro.

Ein Großteil dieser Umsätze entfällt auf Blütenprodukte, die auf Privatrezept ausgestellt werden. Diese Blüten werden meist aus dem Ausland importiert – vor allem aus Kanada, den Niederlanden und Portugal. Seit der Lockerung der Vorgaben im April 2024 sind die Einfuhren sprunghaft angestiegen. Die Unternehmen sehen darin ein Indiz für gestiegene Nachfrage, die Gesundheitsbehörden jedoch für einen potenziellen Missbrauch.

Laut eines Berichts des Handelsblatts verweist das BMG auf auffällige Diskrepanzen zwischen Importmengen und GKV-Verordnungen. Die Ministeriumsexpert:innen vermuten Missbrauch durch Onlineplattformen. Albert Schwarzmeier, CEO des Telemedizinanbieters Enua, hält dagegen: "Eine seriöse Telemedizin zu leisten, ist möglich. Dafür braucht es kein neues Gesetz."

Grauzone oder Versorgungslücke?

Die Kritik am Entwurf kommt nicht nur von Unternehmen, sondern auch aus medizinischen Kreisen. Simon Lisicki, Cannabis-Analyst bei Insight Health, sieht durch das drohende Versandverbot massive Probleme für mobilitätseingeschränkte Patient:innen: "Gerade schwerkranke Menschen profitieren von einer Lieferung per Versand." Fischer von Demecan ergänzt: "Nur weil die Importe steigen, ist das kein Beleg für Missbrauch. Es fehlen fundierte Erhebungen zu Selbstzahlern."

Auch Ärzteverbände äußern sich zunehmend kritisch. Die Möglichkeit, Cannabis per Videoverordnung zu verschreiben, habe vielen Menschen mit chronischen Schmerzen, Multipler Sklerose oder posttraumatischen Belastungsstörungen eine niedrigschwellige und flexible Therapieoption eröffnet. Gerade in unterversorgten Regionen habe Telemedizin Versorgungslücken geschlossen.

Dass einzelne Anbieter ihre Plattformen zur Freizeitbeschaffung missbrauchen, bestreitet in der Branche niemand. Dennoch plädieren viele für gezielte Regulierung statt flächendeckender Einschränkungen. Hoffmann bringt es pointiert auf den Punkt: "Wegen Schwarzfahrern wird auch nicht gleich der gesamte Nahverkehr eingestellt."

Branchenverbände beobachten Bundesregierung genau

Branchenverbände fordern nun Nachbesserungen am Gesetzentwurf. Eine differenzierte Regelung, die zwischen etablierten Anbietern mit qualitätsgesicherten Plattformen und unseriösen Geschäftsmodellen unterscheidet, wäre aus Sicht vieler Beteiligter zielführender. Auch ein verpflichtender Datenabgleich mit den Krankenkassen oder regelmäßige Audits für Anbieter telemedizinischer Leistungen stehen zur Diskussion.

Politisch könnte der Streit um das Cannabisgesetz zum Testfall für die Digitalisierungsstrategie der Bundesregierung werden. Zwischen Bürokratieabbau, Versorgungssicherheit und Missbrauchsprävention gilt es, eine rechtliche Balance zu finden, die medizinisch sinnvolle Innovationen nicht erstickt.

Auch aus anderen Teilen des Gesundheitswesens wird zunehmend Kritik laut, insbesondere wenn der Gesetzgeber bereits mühsam ausgehandelte Fortschritte wieder infrage stellt – eine Entwicklung, die schon vor der Bundestagswahl auf Skepsis stieß. Zwischen Bürokratieabbau, Versorgungssicherheit und Missbrauchsprävention gilt es, eine rechtliche Balance zu finden, die medizinisch sinnvolle Innovationen nicht erstickt.

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