ChatGPT analysiert Gesundheitsdaten
Digitale Patientenakte: Wie KI medizinische Daten schneller auswertet als Ärzt:innen

| Redaktion 
| 04.08.2025

Die elektronische Patientenakte bleibt hinter den Erwartungen zurück – zu komplex, zu umständlich, zu wenig Nutzen im Alltag. Gleichzeitig setzen immer mehr Patient:innen auf Künstliche Intelligenz: ChatGPT erklärt Fachbegriffe, erkennt Muster und bewertet medizinische Zusammenhänge oft schneller und verständlicher als Ärzt:innen. Wächst da ein digitales System heran, das menschliche Diagnosen ergänzt – oder ersetzt?

Seit Anfang 2025 erhalten alle gesetzlich Versicherten in Deutschland automatisch eine elektronische Patientenakte – sofern sie nicht widersprechen. Doch die große Digitalisierungsinitiative der gematik wird durch technische Hürden, komplexe Benutzeroberflächen und mangelnde Integration in den Praxisalltag ausgebremst. Gleichzeitig zeigt sich: KI-gestützte Systeme wie ChatGPT können bereits heute das leisten, was die ePA erst verspricht – und das mit einer Tiefe des Verständnisses, die Ärzt:innen unter Alltagsbedingungen kaum leisten können.

Strukturierte Analyse statt PDF-Chaos

Hausärztin Dr. Kristina Spöhrer beschreibt die ePA als "digitales Ablagesystem ohne klare Struktur". Wichtige Informationen liegen in unstrukturierten PDFs vor, Suchfunktionen fehlen, das Durchklicken gleicht dem analogen Blättern. Entscheidende Parameter wie Vorerkrankungen oder Medikamentenverordnungen sind oft nicht auf einen Blick ersichtlich. Ein Patient von Dr. Alexandra Widmer hingegen kam mit einem umfassend durch ChatGPT aufbereiteten Datensatz in ihre Praxis. "Ich war sprachlos. Diese strukturierte Übersicht hatte ich selbst nicht vorliegen", so Widmer. Die KI hatte Laborwerte, Arztbriefe und Diagnosen zusammengefasst, Warnungen generiert und Therapieoptionen vorgeschlagen.

Im Unterschied zu menschlichen Ärzt:innen kann ChatGPT große Mengen an Textdaten innerhalb von Sekunden analysieren, auf Muster prüfen und kontextualisieren. Dabei ist es nicht nur schneller, sondern auch in der Lage, versteckte Zusammenhänge sichtbar zu machen – etwas, das gerade in der hausärztlichen Versorgung zeitlich kaum leistbar ist. Die KI übernimmt somit nicht nur Datenverarbeitung, sondern auch eine Form des „Verstehens“, die über das bloße Erfassen hinausgeht.

Patienten nutzen KI trotz Datenschutzrisiken

Die Gesundheitsunternehmerin Inga Bergen nutzt ChatGPT bereits zur Interpretation ihrer Befunde. "Ich lade meine Arztbriefe rein – auch wenn das datenschutzrechtlich nicht optimal ist." Der Mehrwert für Patient:innen liegt auf der Hand: Verständnis, Orientierung, Vorbereitung. Gerade in emotional aufgeladenen Situationen wie einer Krebsdiagnose oder chronischen Erkrankung kann eine klare KI-gestützte Erklärung entlastend wirken. Auch Prof. Dr. Sylvia Thun von der Charité erkennt das Potenzial, mahnt aber zur Vorsicht: "Nicht alle Tools basieren auf verlässlichen medizinischen Standards. Es besteht die Gefahr von Fehldeutungen."

Dennoch überwiegt bei vielen der Wunsch nach schneller Verfügbarkeit medizinischer Information gegenüber Sicherheitsbedenken – insbesondere wenn Ärzt:innen im Alltag kaum Zeit für ausführliche Erklärungen haben. ChatGPT bietet vielen erstmals Zugang zu einer eigenen Gesundheitskompetenz, die sonst nur Fachleuten vorbehalten bleibt. Gleichzeitig wächst die Diskussion um Zertifizierungen und Qualitätsprüfungen für medizinische KI-Tools. Wie können Patient:innen zwischen verlässlichen und spekulativen Anwendungen unterscheiden? Hier braucht es Transparenz, unabhängige Prüfstellen und klare Kennzeichnungen.

Pflicht zur ePA trifft auf digitale Realität

Ab Oktober 2025 sind Ärzt:innen verpflichtet, relevante Dokumente in der ePA zu speichern. Doch solange das System hinter dem technischen Stand von frei verfügbaren KI-Anwendungen zurückbleibt, wird es schwer, Vertrauen zu schaffen. Viele Praxen berichten über fehlende Schnittstellen, lange Ladezeiten und eine fehlende Schulung des Personals. Auch auf Patientenseite gibt es Unsicherheiten: Was genau ist gespeichert, wer hat Zugriff, und wie können Daten wieder gelöscht werden?

Wie BILD berichtet, werden zwar mittlerweile über 1,5 Millionen Dokumente pro Woche in der ePA hochgeladen, doch ohne intelligente Auswertung bleibt der Nutzen begrenzt. Expert:innen fordern deshalb eine ePA 2.0: mit semantischer Suchfunktion, KI-gestützter Datenstrukturierung und Echtzeit-Zugriff auch im Notfall. Ergänzend könnten digitale Assistenten integriert werden, die Nutzer:innen durch ihre Akte führen, Inhalte erläutern und Rückfragen automatisiert beantworten.

Der Fall von Dr. Widmers Patient zeigt deutlich: ChatGPT kann nicht ersetzen, was menschliche Empathie leistet – aber sie versteht die Patientenakte oft besser, schneller und umfassender. Wenn die ePA mit den richtigen Technologien und politischem Willen weiterentwickelt wird, könnte sie zu einer der wichtigsten Plattformen der digitalen Gesundheitsversorgung in Europa werden. Dann wäre sie mehr als ein Dokumentenspeicher – sie wäre ein intelligenter Begleiter im medizinischen Alltag.

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