Zwischen Freiheitsdrang und Fußpilzangst
Barfuß im Büro – geht das?

| Redaktion 
| 29.06.2025

Der Sommer nimmt uns das Korsett – auch das soziale. Wenn im Großraumbüro obendrauf die Klimaanlage streikt und die Schuhe langsam zum Folterinstrument werden, beginnt ein stiller Kampf um Körperfreiheit, Etikette und die Würde in der Hitze. Ein Vor-Ort-Bericht aus einem Büro in München geht der Titelfrage näher auf den Grund.

Um 15:38 Uhr legt Lisa vorsichtig ihre Sandalen unter den Schreibtisch. Ein prüfender Blick nach links, einer nach rechts. Dann streckt sie die Zehen aus – Richtung Teppichboden. Der Moment dauert nur eine Sekunde, fühlt sich aber an wie ein kleiner Tabubruch. "Ich mach das sonst nie", sagt sie und schmunzelt verlegen. Neben ihr surrt ein Tischventilator. Drei Tische weiter hat der Kollege längst barfuß die Füße auf einen Pappkarton gelegt. Der Sommer ist im Büro angekommen.

Was bei 36 Grad draußen fast selbstverständlich scheint – kurze Kleidung, viel Haut, nackte Füße –, fühlt sich drinnen plötzlich seltsam unpassend an. Denn das Büro, dieser Ort der Leistung, der Professionalität, der kontrollierten Körpersprache, verwandelt sich in einen Schmelztiegel. Im wahrsten Sinne.

Der Dresscode schmilzt – aber nicht überall gleich

"Der Sommer stellt das Büro auf die Probe", sagt die Personalchefin des Unternehmens, dessen Mitarbeiter wir befragt haben. Beide möchten lieber anonym bleiben. Die Grenzen zwischen Berufs- und Privatperson würden im Hochsommer besonders weich – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. "Wenn jemand barfuß über den Gang läuft, hat das plötzlich etwas sehr Intimes."

Nicht jeder empfindet das gleich. Während die einen den stillen Bruch mit den Konventionen als mutig oder menschlich empfinden, rollen andere im Stillen die Augen, empfinden vielleicht sogar Ekel – oder flüchten in klimatisierte Meetingräume.

"Man kann doch einfach Sandalen tragen", sagt ein junger Kollege im akkurat gebügeltem Hemd. Die Vorstellung, dass jemand neben ihm mit bloßen Füßen tippt, findet er unangenehm. "Ich will einfach nicht so nah an die Körperlichkeit anderer Leute ran."

Dabei ist es nicht die Barfüßigkeit an sich, die so polarisiert – sondern das, was sie symbolisiert: Ein kurzer Kontrollverlust, ein stiller Rückzug ins Private mitten im öffentlichen Raum.

"Das Arroganz-Gesicht kann man sich sparen"

Im Pausenräumen riecht es nach Sonnencreme, Melone und dem gegrillten Halloumi vom Vortag. Die Luft steht. Gespräche werden kürzer, der Smalltalk weicher. "Ich glaube, man wird im Sommer netter", sagt eine Assistentin. "Wir alle sehen fertig aus. Da kann man sich das Arroganz-Gesicht auch sparen."

Der Sommer nimmt uns das Korsett – auch das soziale. Wer barfuß durch den Büroflur läuft, überschreitet nicht nur textile, sondern auch mentale Grenzen. Es ist ein kleines Ausbrechen aus der Selbstinszenierung. Ein Signal: Ich bin hier, ich schwitze, und ich habe keinen Nerv mehr für Konventionen.

Körper, Klima und Kultur

Während die einen ihre Füße verstecken, stellen andere Ventilatoren auf und machen Siesta-ähnliche Pausen. Teams weichen ins Homeoffice aus, wenn das Büro zu stickig wird. Und immer häufiger stellt sich die Frage: Wie viel Körperlichkeit verträgt die neue Arbeitswelt?

Denn barfuß zu sein, das ist mehr als eine Haltungsfrage. Es ist auch eine soziale Aussage. Zwischen Fußpilzangst und Freiheitsdrang entsteht ein Raum, der nicht ganz geregelt ist – und vielleicht genau deshalb so faszinierend.

Am nächsten Tag, meint Lisa, will sie wieder mit geschlossenen Schuhen ins Büro. "Aber am frühen Nachmittag ist dann wieder Schluss mit Disziplin. Dann ziehe ich sie wieder aus."

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