Staatsakt in Berlin
Steinmeier würdigt 75 Jahre Grundgesetz: "Rückzug von der Wirklichkeit ist keine Lösung“

| Redaktion 
| 23.05.2024

Ein Kompass, ein Auftrag, ein Meisterwerk: Zum Jahrestag der Grundgesetz-Verkündung fand Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier große Worte für die Verfassung, warnte aber auch vor Spannungen und "rauen, härteren Jahren“.

Herzlichen Glückwunsch, liebes Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Am 24. Mai 1949 ist die Verfassung offiziell in Kraft getreten, nachdem sie einen Tag vorher erlassen worden ist. Dem wiederum gingen knapp neunmonatige Tagungen des Parlamentarischen Rates in Bonn zuvor, der das Grundgesetz auf Geheiß der westlichen Besatzungsmächte ausgearbeitet hat.

Zum Anlass trat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag für einen Staatsakt vor das Publikum in Berlin. "Dieses Grundgesetz war nie für die Ewigkeit geschaffen und hat doch überdauert, hat uns getragen durch die Zeit. Auch nach einem Dreivierteljahrhundert ist es überhaupt nicht alt, erst recht nicht veraltet, wenn auch inzwischen eine der ältesten Verfassungen der Welt und zum Vorbild geworden für viele Verfassungen weltweit“, fasste er zusammen.

Historischer Zufall, glückliche Fügung

Steinmeier nannte das Grundgesetz ein "Meisterwerk“, das "zum Besten, was Deutschland hervorgebracht hat“ gehöre. Er erinnerte außerdem an den historischen Zufall, dass die Bundesrepublik in diesem Jahr nicht nur 75 Jahre Grundgesetz, sondern auch 35 Jahre Friedliche Revolution und Mauerfall feiern darf und verband diese "glückliche Fügung“ mit der Präambel des Grundgesetzes, die sich ausdrücklich an "das gesamte Deutsche Volk“ richtet.

Der Bundespräsident dazu: "Die Mütter und Väter des Grundgesetzes ahnten bereits, dass ein vereintes Deutschland in fast unerreichbarer Ferne lag. Umso mehr berührt uns die Hoffnung, die aus dieser ersten Präambel spricht. Es sollte vierzig Jahre dauern, bis sich das Freiheitsversprechen des Grundgesetzes für alle Deutschen erfüllen konnte, vierzig Jahre, in denen viele Frauen und Männer in der DDR von Freiheitsrechten träumten, wie sie das Grundgesetz garantiert.“

Kompass statt Ziel

Auch auf aktuelle Konfliktherde ging Steinmeier ein; etwa darauf, dass sich "viele Menschen feindlich und immer unversöhnlicher gegenüberstehen“. Antisemitismus, Hass auf Andersdenkende, Falschinformation und Angriffe auf Journalisten und Online-Diskriminierung gegen Frauen stehen in seinen Augen für die "Spannung zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit“.

"Aber folgen muss daraus nicht ein kritischer Blick auf unsere Verfassung, sondern auf die Wirklichkeit!“, mahnte Steinmeier und erklärte: "Denn das Grundgesetz ist keine Bilanz, sondern ein Auftrag. Nicht Ziel, sondern Kompass. Unser Grundgesetz sagt nicht, was wir sind. Es zeigt uns, was wir sein können. Darin steckt eine Aufforderung für uns, für unsere Zukunft. Das verlangt Mut, Tatkraft und den offenen Blick für die Realität.“

"Ich schaue mir keine Nachrichten mehr an"

In diesem Zusammenhang erwähnte er auch den Verdruss vieler Menschen, was das derzeitige Weltgeschehen betrifft. "Sie alle hören vermutlich öfters, dass Nachbarn oder Freunde Ihnen sagen: `Ich schaue mir keine Nachrichten mehr an.‘ Menschlich mag das verständlich sein. Aber ein Rückzug von der Wirklichkeit ist keine Lösung“, sprach Steinmeier entschlossen und stimmte seine Zuhörer ein, dass "raue, härtere Jahre auf uns“ zukommen.

Darauf dürfe nicht mit Kleinmut oder Selbstzweifel geantwortet werden; zudem wäre es "ganz falsch, den Kopf in den Sand zu stecken oder von einer bequemeren Vergangenheit zu träumen.“ Die komplette Rede von Frank-Walter Steinmeier zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes kann in voller Länge auf der Homepage des Bundespräsidenten nachgelesen werden.

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