"Marktplatz und Seismograf der Musikwirtschaft" – Alexander Schulz über sein Reeperbahn Festival

| Bernhard Führer 
| 12.09.2023

Alexander Schulz, der kreative Kopf hinter dem weltberühmten Reeperbahn Festival, gibt uns einen tiefen Einblick in die faszinierende Welt des Musik- und Kulturfestivals, das die Hamburger Reeperbahn alljährlich in einen schillernden Schmelztiegel der Musik, Kunst und Innovation verwandelt.

Als Gründer und Veranstalter des Reeperbahn Festivals hat Alexander Schulz eine Plattform geschaffen, die internationalen Künstlern die Möglichkeit bietet, sich zu präsentieren und neue Horizonte zu erkunden. Als Mitinitiator der EU-Initiative Keychange, die sich für mehr Gendergerechtigkeit in der Musikbranche einsetzt, rief Schulz die „Pledge“ ins Leben, im Rahmen derer unterzeichnende Festivals und Musikorganisationen sich verpflichten, ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis herzustellen. Alexander Schulz war zudem als Dozent tätig, unter anderem der Universität Folkwang und seiner Alma Mater, der Leuphana Universität in Lüneburg.

LEADERSNET: Sie blicken auf eine erfolgreiche berufliche Karriere zurück. Was hat Sie dazu inspiriert, ein Musik- und Kulturfestival auf der Reeperbahn in Hamburg zu gründen?

Schulz: Ich habe Spaß am Ausprobieren und Gestalten von Ereignissen. Das war meine Haupttriebfeder. Die Idee zu diesem konkreten Format entstand nach meinem Besuch der Veranstaltung SXSW in Austin, Texas, im Jahr 2000. Dort werden ebenfalls neue künstlerische und wirtschaftliche Talente präsentiert.

Für einen derartigen programmatischen Ansatz, bei dem das Publikum weitestgehend unbekannte Talente ausprobieren soll, benötigt man eine entsprechende räumliche Infrastruktur. Es muss gewährleistet sein, dass die Besucherinnen und Besucher möglichst schnell von einem Spielort oder einer Präsentationsfläche zur nächsten gelangen können. Die 6th Street in Austin und die Reeperbahn in Hamburg bringen diese Grundvoraussetzungen mit.

LEADERSNET: Das Reeperbahn Festival hat sich über die Jahre zu einem international renommierten Event entwickelt. Welche besonderen Herausforderungen sind Ihnen bei der Expansion begegnet?

Schulz: Eine wesentliche Herausforderung ist und war in all den Jahren, die Strukturen innerhalb der Organisation(en) den äußeren Wachstums-Optionen ökonomisch sinnvoll und zeitlich im Gleichschritt anzupassen.

LEADERSNET: Das Festival präsentiert eine breite Palette von Künstlern und Genres. Welche Faktoren spielen bei der Auswahl der auftretenden Acts eine Rolle?

Schulz: Die Künstlerinnen und Künstler - unabhängig von ihrem Genre - müssen einerseits für den internationalen Markt geeignet sein und andererseits dürfen sie noch keine vertraglichen Bindungen in allen Märkten haben.

LEADERSNET: Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit bei der Planung und Durchführung des Festivals?

Schulz: Eine wichtige Rolle! Denn sowohl Fans als auch Fachbesucher haben die Erwartung, dass der Veranstalter Nachhaltigkeitsaspekte in sein Produkt einbezieht. Unsere Veranstaltungsstruktur ist weitaus komplexer als beispielsweise Einzelkonzerte oder reine Consumer-Festivals auf der grünen Wiese, bei denen der Veranstalter die gesamte Infrastruktur selbst bereitstellt.

Wir integrieren unser sehr heterogenes Programm in bestehende Infrastrukturelemente, die wiederum von vielen Dutzend unterschiedlichen Akteuren verantwortet werden. Dies ist an sich schon extrem nachhaltig, denn von der Anreise über das Programm bis zur Abreise nutzen wir bereits bestehende, teilweise ökologisch nachhaltige Infrastruktur.

Auf der anderen Seite gestaltet sich so die Bewertung und Verbesserung der Infrastruktur, die nicht unter unserer Verantwortung liegt, schwieriger. Dennoch werden wir in diesem Jahr beginnen, die Klimabilanz des Reeperbahn Festivals ermitteln zu lassen.

Am Ende soll ein Werkzeugkasten stehen, der es auch anderen Veranstaltungen – unabhängig von ihrem Genre, aber mit einer vergleichbar komplexen Struktur – ermöglicht, ihre Klimabilanz zu bewerten. Die Ergebnisse werden wir beim Reeperbahn Festival 2024 präsentieren.

LEADERSNET: Wie wichtig ist es Ihnen, eine Plattform für neue Talente zu bieten, und wie unterstützen Sie diese bei ihrer Karriere?

Schulz: Es ist die DNA des Reeperbahn Festivals, Talente, die noch nicht in allen Märkten vertraglich gebunden sind, vor Fans und Fachpublikum zu präsentieren. Für die meisten Talente gilt ein Auftritt beim Reeperbahn Festival als Gütesiegel, das sich in ihren Pressemitteilungen wiederfindet.

Darüber hinaus bieten wir zusätzliche Talentprogramme wie "Wunderkinder - German Music Talent" und unseren internationalen Talentwettbewerb ANCHOR an.

LEADERSNET: Welche Trends und Entwicklungen sehen Sie für die Zukunft des Reeperbahn Festivals und der Musikindustrie insgesamt?

Schulz: Das Reeperbahn Festival versteht sich als Marktplatz und Seismograf der Musikwirtschaft. Veränderungen in unserer Branche spiegeln sich daher immer auch in unserer Veranstaltung wider. Die Bereiche Recorded Music und Music Publishing sehen sich mit Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz (AI) konfrontiert und müssen gleichzeitig sicherstellen, dass die Vergütungsmodelle für die Nutzung ihrer Produkte in Video-Social-Media-Plattformen fair und gerecht, sowohl für sie als auch für ihre Künstlerinnen und Künstler, gestaltet werden.

Denn hier wird zukünftig der Schwerpunkt der Nutzung von aufgenommener Musik liegen. Das einzigartige, individuelle, soziale und emotionale Live-Erlebnis ist von diesen Faktoren nicht betroffen. Allerdings hat die Live-Branche erheblich unter den Auswirkungen von COVID-19 gelitten.

LEADERSNET: Welche aktuellen Entwicklungen beobachten Sie in der Veranstaltungsbranche?

Schulz: Im Live-Teilmarkt der Musikwirtschaft beobachten wir nach der Pandemie ein Auseinanderdriften der Nachfrage zwischen den wenigen international sehr bekannten Künstlerinnen und Künstlern einerseits und den vielen nationalen Künstlerinnen und Künstlern andererseits. Hier hat sich die Lage noch nicht vollständig normalisiert und es ist fraglich, ob sie je wieder vollständig normalisiert wird.

Möglicherweise hat sich das Freizeit- und Kulturkonsumverhalten der Menschen verändert. Darüber hinaus leiden viele Veranstaltungsorte unter dem neuen Kostendruck, der von den Veranstaltern und Acts getragen werden muss und am Ende so hoch ist, dass er sich im Ticketpreis für weniger bekannte Künstlerinnen und Künstler nicht abbilden lässt. Gleichzeitig akzeptieren die Menschen dynamische Preisgestaltungen bei Tickets für Stars wie Beyoncé, Springsteen oder Swift problemlos.

LEADERSNET: Was würden Sie sagen, ist eine Eigenschaft, die es Ihnen ermöglicht hat, dieses Geschäft aufzubauen? 

Schulz: Ich verfüge über die Fähigkeit, Menschen um neue Ideen zu versammeln und sie von diesen zu überzeugen.

LEADERSNET: Was ist der beste Ratschlag, den Sie für ihre berufliche Laufbahn und Ihr Leben je erhalten haben?

Schulz: Dicke Bretter bohren und auch bei einem ersten Rückschlag nicht verzagen.

LEADERSNET: Was ist die wichtigste Lektion, die Sie aus all dem gelernt haben?

Schulz: Dass der Ratschlag ein brauchbarer ist.

LEADERSNET: Was wissen Sie heute über das Leben oder Ihre Branche, was Sie gern schon vor 30 Jahren gewusst hätten?

Schulz: Manchmal lohnt es sich zu erkennen, dass nichts im Beruflichen so furchtbar wichtig sein kann wie das richtige Gleichgewicht im Privatleben. Und der sich daraus ergebende Effekt ist: Wenn man diese Ausgewogenheit respektiert, läuft es beruflich umso geschmeidiger.

www.reeperbahnfestival.com

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