"Niemand pfeift aufgrund der Quote willkürlich unqualifizierten Frauen auf der Straße hinterher"

Microsoft-Managerin Annahita Esmailzadeh ist eine der erfolgreichsten Business-Influencerinnen im deutschen Sprachraum. Im August veröffentlicht sie ihr Buch "Von Quotenfrauen und alten, weißen Männern". Was es damit auf sich hat, erklärt sie im LEADERSNET-Interview.

Sie zählt zu den Top 20 reichweitenstärksten, nationalen Accounts auf LinkedIn: Annahita Esmailzadeh. Seit 2021 leitet sie bei Microsoft den Bereich Customer Success Account Management für die Reise- und Transportindustrie sowie für den Energie- und Versorgungssektor. Sie ist zudem als Speakerin tätig, im August erscheint ihr neues Buch "Von Quotenfrauen und alten, weißen Männern" (Verlag: Campus). LEADERSNET sprach mit ihr.

LEADERSNET: "Von Quotenfrauen und alten, weißen Männern" heißt Ihr neues Buch. Wie viele Quotenfrauen braucht es heutzutage noch?

Esmailzadeh: Aktuell sind die Top-Positionen in der Politik und Wirtschaft noch sehr männlich und homogen besetzt, wodurch auch der Blick auf die Welt männlich geprägt ist und auch Nachbesetzungen bevorzugt an Männer vergeben werden. Die Quote hilft dabei, qualifizierten Frauen die Türen zu öffnen, die ihnen sonst aufgrund traditioneller Machtstrukturen und männlich dominierter Buddy-Netzwerke mit hoher Wahrscheinlichkeit verschlossen bleiben würden.

LEADERSNET: Kritiker bemängeln, dass die Quote das Leistungsprinzip aushebelt.

Esmailzadeh: Der Sinn der Quote ist nicht, wahllos Frauen in Positionen zu heben, die sie nicht verdienen. Niemand pfeift aufgrund der Quote willkürlich unqualifizierten Frauen auf der Straße hinterher und fragt sie, ob sie denn zufällig Lust darauf hätten, einen Aufsichtsratsposten zu besetzen. Die Quote ist nüchtern betrachtet nichts anderes als ein Instrument, um einer unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppe einen gleichberechtigteren Partizipationsanteil zu ermöglichen. Sie ist hierbei auch kein Garant für Vielfalt über alle Diversitätsdimensionen, denn auch wenn ein Vorstand paritätisch mit Frauen und Männern besetzt ist, ist er nicht unbedingt divers. Die Quote allein wird allerdings die Herausforderungen nicht lösen, die zum Status quo und zu der existierenden Ungleichheit geführt haben. Sie bleibt wirkungslos, wenn sich an den zugrunde liegenden Denkmustern und Stereotypen sowie an den bestehenden strukturellen Herausforderungen nichts ändert.

LEADERSNET: Das bedeutet?

Esmailzadeh: Um strukturelle Barrieren zu beseitigen und nachhaltige Veränderungen zu erzielen, benötigt die Quote begleitende Maßnahmen. Die Quote ist folglich kein Allheilmittel. Aber sie ist ein notwendiger Anfang.

LEADERSNET: Der alte, weiße Mann ist viel diskutiert – hat er noch eine Berechtigung?

Esmailzadeh: Wir stehen uns in der Gleichberechtigungs- sowie in der kompletten Diversitätsdebatte selbst im Weg, wenn wir einerseits Toleranz und Offenheit erwarten und andererseits Menschen aufgrund von Attributen, die sie nicht beeinflussen können wie ihr Alter, ihre Hautfarbe und ihr Geschlecht, über einen Kamm scheren und unter einen pauschalen Generalverdacht stellen. Menschen bilden keine homogene Masse, nur weil sie zufällig männlich, weiß und nicht mehr unter 45 sind.

LEADERSNET: Anders formuliert: Braucht es die Debatte darüber?

Esmailzadeh: Ja, die Debatte um Chancengerechtigkeit, Gleichberechtigung und längst überfällige Veränderungen ist dringend notwendig. Genauso wie die Reflexion über alte Machtstrukturen, Deutungshoheit und etablierte Privilegien sowie die Diskussion darüber, wie wir den Status quo nachhaltig verändern können. In dem Rahmen ist es essenziell, dass privilegierte Menschen ihre Verantwortung begreifen und ihre Privilegien mit marginalisierten und diskriminierten Gruppen – geschlechterübergreifend – teilen. Diese Debatte darf allerdings nicht in ein Schwarz-Weiß-Denken münden, in dem wir uns das Leben vermeintlich leicht machen und alle "alten weißen Männer" pauschal an den Pranger stellen.

LEADERSNET: Wie schaffen wir es, nicht mehr in Schubladen zu denken?

Esmailzadeh: Wir alle sind nicht vor unbewusster Voreingenommenheit und Schubladendenken gefeit. Nur wenn wir uns dessen bewusst sind, sind wir in der Lage, unsere eigenen Schubladen stetig offen zu halten, zu reflektieren und regelmäßig auszumisten. Der erste Schritt ist also zunächst Akzeptanz sowie Selbstreflektion.

LEADERSNET: Wie gefährlich ist Schubladendenken in der Wirtschaft?

Esmailzadeh: Die deutsche Wirtschaft leidet aktuell bereits unter großem Personalmangel. Eine Erhebung des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt, dass heute schon die Geschäfte jedes zweiten Unternehmens durch fehlende Fachkräfte beeinträchtigt sind. Dieser Fachkräftemangel wird sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen, denn die Babyboomer-Generation geht in Rente. Bis 2036 werden damit knapp 30 Prozent der aktuellen Erwerbstätigen wegfallen. Diese klaffende Lücke der zahlenmäßig stärksten Babyboomer-Jahrgänge können die jüngeren Altersgruppen nicht füllen. In Deutschland scheiden pro Jahr bis zu 400.000 mehr Menschen altersbedingt aus dem Erwerbsleben aus, als neue aus der Schule dazukommen.

Die Konsequenz ist eine zunehmende Überalterung der Gesellschaft bei zugleich steigender Lebenserwartung der deutschen Bevölkerung. Umso paradoxer ist es, dass Unternehmen in Zeiten des sich stetig zuspitzenden Fachkräftemangels und des demografischen Wandels, in dem der Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte immer intensiver wird, dennoch auf qualifizierte Talente verzichten. Vorurteilsbehaftetes Handeln und Denken sowie mangelhafte gelebte Gleichberechtigung und Diversität in der Arbeitswelt setzen die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit des Landes aufs Spiel.

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