"Das Wort Dienstleistung ist schrecklich, wir verstehen uns als Partnerinnen auf Augenhöhe"

Die Unternehmensgründerinnen Stephanie Renz und Tania Hernández sprechen im LEADERSNET-Interview über die Gründung ihres Designstudios, die Enttabuisierung von Frauenthemen innerhalb der Gesellschaft und ihre Pläne für die Zukunft.


Bereits vor der Gründung ihres eigenes Designstudios waren die Unternehmerinnen als Branding-Expertinnen tätig. Gemeinsam bringen sie Gründerinnen-Kow How sowie branchenspezifisches Fachwissen in ihr Unternehmen ein. Mit ihrem eigenen "Oh Woman"-Spiel, ein Aufklärungs-Brettspiel über die Periode, möchten sie auch ein Umdenken innerhalb der Gesellschaft ermöglichen.

LEADERSNET: Vor drei Jahren haben Sie sich dazu entschlossen, Ihr eigenes multidisziplinäres Designstudio zu gründen. Welche Motivation steckte hinter dieser Entscheidung?

Renz und Hernández: Tatsächlich war Auslöser unser damaliger Creative Direktor. Wir waren angestellt und arbeiteten beide in einer Münchner Werbeagentur. Im Gespräch kam die Frage: Habt ihr nicht Lust, dass wir uns gemeinsam selbstständig machen?

Renz: Meine Reaktion war: Klar, warum nicht. Masterstudium kann ich auch noch später machen.

Hernández: Und ich sagte: "Klar, next Challenge accepted."

Renz und Hernández: Runtergebrochen ist jedoch die größte Motivation, die uns noch heute antreibt, vor allem eine: Freiheit.

LEADERSNET: Wie sahen die ersten Schritte der Unternehmensgründung aus?

Hernández: Steffi war drei Monate vor offizieller Gründung schon als Freelancerin aktiv und hat alle rechtlichen Geschichten in die Wege geleitet & sich noch für den Gründerzuschuss der Agentur für Arbeit beworben. Dann haben wir uns erstmal einen Co-Working-Space angemietet, um die Flexibilität beizubehalten. Am 3. Januar .2019 war dann unser erster offizieller Arbeitstag – und die Achterbahnfahrt ging erst richtig los.

LEADERSNET: Wie lange hat es gedauert, bis sich aus der eigentlichen Idee ein tatsächliches Geschäftsmodell entwickelt hat?

Renz und Hernández: Wir sind zu dritt als klassische Full-Service-Werbeagentur gestartet. Schnell war klar, alles können und wollen wir vielleicht gar nicht abbilden.

Dann kam ein kurzer Schock: Unser Mitgründer ist ausgestiegen nach nur zehn Monaten. Wir haben uns dazu entschieden weiterzumachen, uns aber klarer zu positionieren: Wir konzentrieren uns auf Brand Identity für Start-ups und Unternehmen. Anfang 2022 wurde unsere Positionierung noch spitzer: Wir machen Diverses Design uns setzen uns aktiv für Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft ein – mit Kund*innen-Projekten und aber auch mit eigenen. Diese Entwicklung kam vor allem durch unser Lockdown-Projekt und Herzens-Initiative – das Aufklärungsspiel "Oh Woman", welches uns gezeigt hat, das Design Tabu- und sozial-gesellschaftliche Themen nicht nur sichtbarer sondern auch greifbarer macht und somit in die Mitte der Gesellschaft gelangen kann.

LEADERSNET: Was macht Ihr Geschäftsmodell einzigartig?

Renz und Hernández: Wir sind Pionierinnen des Diverses-Design-Ansatzes, mit dem Dreiklang aus Ästhetik, Wirtschaft & Gesellschaft. Wir gestalten und begleiten Marken und Produkte, die verantwortungsvoll agieren und sozial-gesellschaftlich relevant sind und dabei am Markt nachhaltig funktionieren.

LEADERSNET: Welche Zielgruppen möchten Sie mit Ihrem Unternehmen ansprechen?

Renz und Hernández: Offene, tolerante Menschen & Marken, die Bock haben die Welt zu bewegen.

LEADERSNET: Auf welche Marketingmaßnahmen setzen Sie, um die Bekanntheit und Reichweite Ihres Unternehmens zu steigern?

Renz und Hernández: Unser Sprachrohr sind Instagram und LinkedIn. Letzteres nutzen wir beide jeweils sehr stark mit unserem persönlichen Profil. Dort teilen wir unsere Gedanken und gehen proaktiv in den Dialog mit unseren Follower:innen. Außerdem geben wir regelmäßig mit unseren Events relevanten Menschen und Themen die Bühne. Daneben helfen uns aber eigene Projekte Awareness für unsere Themen zu schaffen, so wie das Aufklärungsspiel "Oh Woman" für sexuelle Bildung mit Spiel und Spaß.

LEADERSNET: Inwiefern spielt Ihre langjährige Erfahrung im Branding-Bereich in der Unternehmensführung mit?

Renz und Hernández: Wir sind zwar aktiv in der "Dienstleistungsbranche" – an dieser Stelle: Das Wort Dienstleistung ist schrecklich, wir verstehen uns als Partner:innen auf Augenhöhe – aber uns war es immer wichtig selbst eine Marke zu sein, eine Vision zu haben. Dabei hilft es natürlich Branding-Expertinnen zu sein.

LEADERSNET: Welchen Einfluss hatte die Auszeichnung mit dem "Reddot-Award 2021" auf Sie?

Renz und Hernández: Es hat unserem Designstudio mehr Glanz und Seriosität verliehen: "Die sind zwar ein kleines Studio, aber die können es wirklich!"

LEADERSNET: Was bedeutet es für Sie persönlich, so plötzlich im Mittelpunkt der Öffentlichkeit zu stehen?

Renz und Hernández: Das ist verrückt und es bedeutet, dass die Themen, für die wir stehen und über die wir sprechen, nicht nur für uns relevant sind! Das bestärkt und motiviert uns weiterzumachen.

LEADERSNET: Welchen Einfluss hatte der Erfolg des "Oh Woman"-Spiels auf Ihr Unternehmen und wie haben Sie die darauffolgende mediale Diskussion wahrgenommen?

Renz und Hernández: Das Spiel hatte einen großen Einfluss, da wir auf einmal überall in der Presse waren und somit auch im Munde vieler Menschen. Gleichzeitig hat uns das Spiel unsere Positionierung sehr stark geschärft.

Die medialen Diskussionen waren groß und so zahlreich. Wir waren zu Beginn wirklich überfordert bzw. eher überrascht, weil wir damit nicht gerechnet haben. Das Aufklärungsspiel war eine Idee, die im Lockdown April 2020 entstanden ist, die wir zu lange nur zu zweit weiterentwickelt haben, bis wir wirklich von außen Hilfe zur Realisierung des Prototypen brauchten. Wenige wussten von unserem "Projekt" bis wir mit unserer Crowdfunding Kampagne live gegangen sind und direkt in der ersten Woche in der Süddeutschen, Bild und RTL waren. Unsere Reaktion: Wow, es geht wohl vielen Menschen wie uns: Wir wollen sexuelle Bildung mit mehr Spiel und Spaß erleben. Wir wollen uns nicht mehr als Erwachsene fragen, ob Vulva und Vagina dasselbe sind. Das tat gut!

LEADERSNET: Oft wird von einer Benachteiligung von Frauen bei der Finanzierung von Unternehmen und Start-ups gesprochen. Waren Sie als Unternehmerin ebenfalls mit Problemen bei der Aufstellung der finanziellen Mittel konfrontiert?

Renz und Hernández: Nein, da haben wir zum Glück keine Negativ-Erlebnisse gemacht. Allerdings hören wir immer wieder echt schockierende und frustrierende Geschichten aus unserem Gründer:innen-Netzwerk.

LEADERSNET: Wie konnten Sie Investor:innen von Ihrer Geschäftsidee überzeugen?

Renz und Hernández: Wir haben keine Investor:innen. Wir (re-)finanzieren alles selbst. Finanzspritze für das Aufklärungsspiel "Oh Woman" war allerdings eine Crowdfunding-Kampagne auf Startnext.

LEADERSNET: Welche weiteren Pläne verfolgen Sie für Ihr Unternehmen und was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Renz und Hernández: Unser Fokus für nächstes Jahr ist, dass wir unser Team aufbauen wollen. Bisher wollten wir immer zu zweit bleiben und mit unserem Freelancer:innen-Netzwerk arbeiten. Doch dieses Jahr hat sich das verändert und wir haben beschlossen aktiv unser Team aufzubauen. Im Dezember startet bereits unsere erste feste Mitarbeiterin. Denn als Team lässt sich unsere Vision mit noch mehr Power da draußen in die Welt bringen – und das braucht es! Außerdem wünschen wir uns, dass das Thema Diverses Design mehr in den Fokus rückt, damit wir eine Gesellschaft auf Augenhöhe bilden können.

LEADERSNET: Welche Ratschläge würden Sie an andere Gründer:innen weitergeben?

Renz und Hernández: Ihr habt schon lange eine Idee und wollt unbedingt gründen, die Idee ist aber noch nicht perfekt? Glaubt uns, das wird sie auch nie sein. Sie wird erst "perfekter", wenn sie mit der Zielgruppe agiert und ihr Feedback bekommt. Also raus mit euren Ideen und rein ins machen!

www.ohwoman.de

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