Die Folgen der Lage in Israel auf Deutschlands Wirtschaft

Experten erwarten nur begrenzten unmittelbaren Einfluss, sehen aber Risiken bei weiterer Eskalation. In Israel selbst droht schon länger eine Abwanderungswelle in der Gründer-Szene.

Wenn Krisen die Börsenwelt treffen, zeigen sich stets dieselben Muster: Aktienwerte stürzen ab, während Investoren sich zu den sicheren Häfen wie Anleihen oder Gold hinwenden. Auch der jüngste Angriff der palästinensischen Hamas auf Israel hinterlässt Spuren an den Finanzmärkten. Insbesondere an der Börse in London und in den USA erleiden israelische Unternehmen, beispielhaft der Chiphersteller Tower Semiconductor, signifikante Verluste. Auch Unternehmen, die stark in der betroffenen Region vertreten sind, sind betroffen.

Auch im Deutschen Aktienindex manifestieren sich die Auswirkungen des Großangriffs der Hamas. Doch Chris-Oliver Schickentanz von Capitell Vermögensmanagement relativiert in der Tagesschau der ARD: "Zwar bestehen Handelsbeziehungen, doch die Umsatzanteile liegen im Nachkommabereich", merkt Schickentanz an. "Für Großunternehmen heißt das, keine unmittelbaren finanziellen Rückschläge zu erwarten."

Israel auf Platz 45 unter den wichtigsten Handelspartnern Deutschlands

Obwohl Deutschland für Israel zu den Haupt-Handelspartnern zählt, steht Israel im Handelsranking für Deutschland lediglich auf Platz 45. Eine indirekte wirtschaftliche Eskalation zeigt sich jedoch im steigenden Ölpreis, der Produktions- und Transportkosten in die Höhe treibt – ein Effekt, der auch bei den Aktienwerten der Fluggesellschaften sichtbar wird.

"Der Ölmarkt hat alarmiert reagiert", betont Moritz Krämer, ein Ölexperte der LBBW. "Ein Großteil der Spekulationen dreht sich darum, ob Israel Vergeltung gegen den Iran – hinter dem der Hamas-Angriff vermutet wird – planen könnte."

Eine solche Eskalation könnte weitreichende Folgen für den Nahen und Mittleren Osten haben. Mögliche Seeblockaden in der Straße von Hormus könnten den globalen Öltransport erheblich beeinträchtigen. Auch weitere Handelsbarrieren könnten die Wirtschaft in Israels Nachbarländern destabilisieren – ein möglicher Grund für den jüngsten Einbruch der Staatsanleihen Jordaniens und Ägyptens nach dem Wochenende.

Investoren bewerten die Lage neu

Lars Feld, der vormalige Chef des Sachverständigenrats, und Ifo-Chef Clemens Fuest haben indes in einem Interview mit der F.A.Z. ihre Einschätzungen zum Konflikt und seine Auswirkungen auf die Wirtschaft Deutschlands gegeben.

Fuest betont: "Diese geopolitischen Spannungen werden unweigerlich für weitere Unsicherheiten in der Weltwirtschaft sorgen, was sich auch auf Deutschland auswirken kann. Aber der Einfluss dürfte eher begrenzt sein." Lars Feld, nunmehr Leiter des Eucken-Instituts, teilt diese Sicht, warnt aber zugleich vor einer Zunahme globaler Unsicherheiten. "Obwohl ich keine direkten wirtschaftlichen Auswirkungen des aktuellen Konflikts sehe, besteht durchaus das Risiko einer Eskalation, insbesondere an den Grenzen zu Libanon und Syrien", sagt Feld. "In einem solchen Szenario könnten Investoren zurückhaltender agieren, was negative Auswirkungen auf den erwarteten wirtschaftlichen Aufschwung haben könnte."

Droht Ölpreis-Schock wie vor 50 Jahren?

Für viele Marktteilnehmer weckt die aktuelle Lage Erinnerungen an den Jom Kippur-Krieg vor einem halben Jahrhundert. Damals reagierten die OPEC-Staaten auf die Unterstützung Israels durch die USA mit einem Ölembargo, das die Weltwirtschaft in eine schwere Rezession stürzte. Doch wie wahrscheinlich wäre heute ein ähnliches Szenario? Moritz Krämer bremst die Befürchtungen: "Ein solches Embargo würde letztlich die ölfördernden Länder selbst stärker belasten, da die Abnehmerländer ihre Anstrengungen intensivieren würden, um sich von der Ölabhängigkeit zu lösen."

Hinzu kommt, dass das heutige Energiemarktgefüge nicht mehr so stark von der OPEC dominiert wird. Nationen wie Norwegen, Großbritannien oder die USA treten heute als ernstzunehmende Konkurrenten auf dem Weltmarkt auf. Zudem treten die OPEC-Staaten selbst politisch weit weniger einig auf als damals.

Start-Ups in Israel: Droht ein Exodus?

Große Ungewissheit herrscht auch in der israelischen Start-Up-Szene. International haben die Gründer aus dem Land mit ihrer einzigartige "Israeliness" beeindruckt: Die Kombination aus traditionellen jüdischen Werten, der Militärkultur und den Erfahrungen aus den Anfangsjahren des Staates zeigt sich insbesondere in ihrer Fähigkeit zur ständigen Improvisation. Die Branche lockte verlässlich Scharen an Wirtschaftsdelegationen ins Land, die sich von den Gründer:innen einiges abschauen wollten. So sollte es auch am für 15. Und 16. Oktober geplanten KI-Gipfel sein, den Nvidia, der weltweit größte Hersteller von Chips für künstliche Intelligenz (KI) und Computergrafik ausrichten wollte. Aufgrund der unsicheren Lage wurde der Summit abgesagt.

Schon seit Jahresbeginn bahnt sich ob der umstrittenen Justizreform in Israel ein Exodus von jungen Tech-Firmen an. Seit diese im Sommer beschlossen wurde stellen die meisten dieser Unternehmen rechtliche und finanzielle Erwägungen an, inwieweit sie sich vom Standort Israel lösen können. Sie prüfen Verlegungen ihres Hauptsitzes ins Ausland, planen Personalabbau und ziehen Bargeldreserven aus dem Land ab, berichtet das Handelsblatt. Zahlen der Nichtregierungsorganisation „Start-up Nation Central“ zufolge seien die Finanzierungen von Start-Ups in Israel bereits im ersten Quartal dieses Jahres um 70 Prozent eingebrochen.

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