Kurzweil-These: Werden wir wirklich bald unsterblich?

In einer Interview-Reihe setzen sich Wissenschaftler mit der steilen These des US-Zukunftsforschers auseinander.

Unlängst versah die Bild Zeitung eine ihrer Geschichten in gewohnt reißerischer Manier „Zukunftsforscher Ray Kurzweil: Menschen werden ab 2030 unsterblich sein“. Tatsächlich lautet die frohe Botschaft des Futuristen, dass die Unsterblichkeit der Menschheit in greifbare Nähe rückt. Sein Nachname ließe anderes vermuten. Doch der ehemalige Google-Mitarbeiter untermauert seine Behauptung mit wissenschaftlichen Aussagen.

In dem Buch „Werden wir ewig leben, einer Interviewreihe von Tobias Hülswitt und Roman Brinzanik gibt der Zukunftsforscher in einem zentralen Gespräch genauere Einblicke in seine These. Er identifiziert drei Brücken, die uns Menschen zur Unsterblichkeit führen können: Zunächst optimieren wir unseren Stoffwechsel durch Nahrungsergänzungsmittel und einen aktiven Lebensstil. Dadurch erreichen wir den Punkt, an dem die Genetik auf der zweiten Brücke altersbedingte Krankheiten heilen und uns für die dritte Brücke fit machen kann. Auf dieser letzten Stufe kommen dann Nanoroboter zum Einsatz, die unseren Körper reparieren und unzuverlässige Organe ersetzen können.

Kurzweil präsentiert diese Brückenmythologie ernsthaft und auf solider naturwissenschaftlicher Grundlage und behauptet, dass sie bereits an Fahrt aufnehmen würde. Der ehemalige Google-Mitarbeiter selbst hofft bereits auf der ersten Brücke zu stehen, indem er sich mit Nahrungsergänzungspillen vollpumpt.

Die beiden Interviewer des Buches "Werden wir ewig leben?", Tobias Hülswitt und Roman Brinzanik, stellten die zunächst übertrieben erscheinenden Thesen des Erfinders der optischen Texterkennung und des Synthesizers den führenden Wissenschaftlern auf den jeweiligen Fachgebieten gegenüber, die Kurzweils Vision der Unsterblichkeit unterstützen. Interessant ist zu beobachten, wie distanziert sich die Befragten, angefangen beim Chemie-Nobelpreisträger Jean-Marie Lehn über den Stammzellenforscher Hans Schöler bis hin zum Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, Peter Gruss, zu Kurzweils kalifornischen Prognosen über die schrittweise Abschaffung des Todes äußern.

Drastisch verlängerte Lebensspanne

Doch sobald die Wissenschaftler aus dem Nähkästchen ihrer Fachgebiete plaudern, wird deutlich, dass sie bereits in Kurzweils Sinne forschen, wenn auch mit leiseren Tönen und messbaren Erfolgen. Der Biogerontologe David Gems betrachtet das Altern beispielsweise nicht mehr als einen sinnvollen Prozess, sondern als eine Krankheit, die geheilt werden muss. Auf die Frage nach der Verlängerung der Lebensspanne sagt Gems:

"Bei Würmern können wir die Lebensspanne drastisch um das Zehnfache verlängern. Bei höheren Tieren sind die Effekte geringer. Bei Fliegen liegt es bei etwa 80 bis 100 Prozent und bei Mäusen eher bei 20 bis 40 Prozent. Die Flexibilität der maximalen Lebensspanne ist vorhanden, und die Gene und zellulären molekularen Netzwerke, die dabei eine Rolle spielen, werden derzeit erforscht. Es gibt viele mögliche Ansatzpunkte für Medikamente. Grundsätzlich können wir uns also Medikamente vorstellen, die das Altern verlangsamen und die Gesundheit älterer Menschen verbessern."

Den Tod hinauszögern

James Vaupel, ein Demograf, liefert eine weitgehend unverbrauchte Perspektive, indem er größere Zeiträume in seine Betrachtungen einbezieht. In den letzten zehntausend Jahren lag die Lebenserwartung des Menschen fast durchweg zwischen 20 und 30. Erst ab 1800 begannen die Menschen kontinuierlich älter zu werden. Wenn man die Entwicklung der letzten 200 Jahre extrapoliert, wird geschätzt, dass die Hälfte der ab 2000 in Europa Geborenen ihren 100. Geburtstag erleben werden. Derzeit steigt die Lebenserwartung um drei Monate pro Jahr oder sechs Stunden pro Tag. Demografische Untersuchungen von Vaupel deuten darauf hin, dass der Tod, zumindest in der sogenannten Ersten Welt, tatsächlich hinausgezögert wird.

Die Fähigkeit uns selbst zu verändern

Noch beeindruckender als die Lebenserwartung ist jedoch das Niveau des technischen Fortschritts, wie der Ethik-Professor Bert Gordijn aus Irland verdeutlicht. Würde man ein Diagramm erstellen, würde eine Linie über zweieinhalb Millionen Jahre nahezu bei Null verlaufen, von dem Moment an, als unsere Vorfahren den Faustkeil erfanden, und dann nach etwa 99 Prozent dieser Zeit nahezu senkrecht in die Höhe schießen.

"Wir erleben derzeit eine immense und sehr schnelle technologische Entwicklung, die geradezu atemberaubend ist. Ich glaube, dass wir mit unserer Fähigkeit, sowohl die materielle Welt um uns herum als auch uns selbst zu verändern, neue Horizonte und Gebiete erreichen werden."

Skepsis kommt indes vonseiten der Hirnforschung. Der renommierte Hirnforscher Wolf Singer erläutert eindrücklich die komplexe Struktur der neuronalen Netzwerke. Unsere binäre Rechnerarchitektur ermöglicht zwar die Steuerung von Raumschiffen und den Sieg über Schachweltmeister, aber um die Aktivität einer einzigen Hirnzelle grob zu simulieren, ist ein leistungsstarker Großrechner erforderlich. In einem Kubikmillimeter Gehirn befinden sich jedoch 100.000 solcher Zellen, und das eigentliche Funktionsgeheimnis des Gehirns liegt in deren Vernetzungen. Kurzweils Traum, Gedächtnisinhalte oder sogar Bewusstsein auf einer Festplatte zu speichern, ist uns daher nicht viel näher als es den Neandertalern war, so sein Befund.

Lesetipp:

Tobias Hülswitt und Roman Brinzanik: "Werden wir ewig leben? Gespräche über die Zukunft von Mensch und Technologie" (edition unseld), Suhrkamp Verlag, 307 Seiten.

Ich frage mich immer wieder, wer ernsthaft danach strebt, ewig zu leben. Für mich persönlich wäre das die Höchststrafe.

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Lesetipp:

Tobias Hülswitt und Roman Brinzanik: "Werden wir ewig leben? Gespräche über die Zukunft von Mensch und Technologie" (edition unseld), Suhrkamp Verlag, 307 Seiten.

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