Ein Geschäftsmann, spät dran, Aktenkoffer in der Hand, telefonierend, mit Kopfhörern in den Ohren, eilt eine Rolltreppe hinauf zu einem Meeting. Welches Outfit trägt dieser Herr vor ihrem inneren Auge? Höchstwahrscheinlich einen Anzug. Warum ist dieses Kleidungsstück so zeitlos?
Warum, wenn es doch nicht besonders bequem ist, hält es sich über mehr als hundert Jahre hinweg in der Geschäftswelt? Dieser Frage ist die österreichische Tageszeitung "Der Standard" nachgegangen. Der Befund: Wer einen dunklen Herrenanzug trägt, ist Teil des Clans der Einflussreichen. Das Outfit ist Ausdruck von Selbstregierung und Selbstdisziplin.
Büro-Uniform lässt Persönlichkeit verschwinden
Folgende Attribute werden einem Anzugträger automatisch attestiert: Er ist stark, pragmatisch, emotionslos und setzt sich durch. Weiters ist er männlich, mächtig, seriös, professionell und glaubwürdig. Und er „entindividualisiert“, er lässt die Persönlichkeit hinter der Büro-Uniform verschwinden. Fest steht, dass sich der Anzug überall dort hartnäckig hält, wo Geld und Macht im Spiel sind.
Das Absurde daran: Trägt eine Frau einen Hosenanzug werden ihr andere Merkmale zugeschrieben: Sie wirkt darin entweder sexy, langweilig oder zu streng, so Eva Flicker vom Institut für Soziologie der Universität Wien im Standard. Teil des oben genannten Clans, der in der Masse verschwindet, wird sie dadurch nicht. Sie gehört dort optisch nie ganz dazu.
"Erfunden" wurde der Anzug in England in der Zeit der industriellen Revolution im 18. Und 19. Jahrhundert. Damals ersetzten Unternehmer die Adeligen als die neuen Mächtigen. Sie definierten sich über den Kleidungsstil als Gemeinschaft, dem dunkeln Anzug mit weißem Hemd (das Hemd symbolisierte, dass sie nicht körperlich arbeiten mussten). Eine rasante Verbreitung des Outfits fand statt, als es in amerikanischen Fabriken erstmals maschinell hergestellt wurde und entsprechend billiger wurde.
Silicon Valley: Hoodie statt feiner Zwirn
Heute pfeift vor allem die Start-up- und Tech-Szene auf den Mächtigen-Dresscode. Giganten wie Mark Zuckerberg symbolisieren mit ihren verwaschenen Hoodies T-Shirts, dass sie es nicht nötig haben, sich in Schale zu werfen. Sie haben auch so genug zu sagen.
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