Bäuerchen am Bergsee
Tiroler Streit um Fremdscham-Spot scheint geschlichtet

| Redaktion 
| 04.04.2024

Wie unangenehm ein versehentlich in die Freiheit entlassener Rülpser ist, hängt auch von der Größe des Publikums ab – und wenn der Landesrat deswegen einen Runden Tisch anberaumt, hat die Efflation offensichtlich (zu) weite Kreise gezogen. Eine Geschichte aus Österreich.

Welche Bilder verbinden Sie mit Tirol? Selbst wenn Sie noch nie persönlich vom österreichischen Touristenmagneten angezogen worden sind, stellen Sie sich womöglich malerische Berglandschaften, charmante Städte mit historischem Flair, rülpsende Familien, kulinarische Feinheiten der Region oder aufregende Wintersport-Optionen vor.

Sind Sie nun unter Umständen der Ansicht, dass einer der genannten Punkte völlig deplatziert wirkt? Dann erahnen Sie bereits, was in Österreich seit einigen Tagen Stein des Anstoßes ist: Tirol Werbung, die in Innsbruck ansässige Organisation zur Förderung des Tourismus, hat bereits Ende März ein Image-Video auf den eigene Social-Media-Kanälen veröffentlicht, in dem eine Familie durch lautes Aufstoßen für Wellen auf einer Seeoberfläche und sogar einen kleinen Bergrutsch sorgt. Anschließend verbeugen sich die Beteiligten vor der Natur; der Claim: "Kann man nicht erklären. Muss man erleben."

@patrickhaslwanter Das "Rüpsvideo" der Tirolwerbung ist natürlich auch an mir nicht spurlos vorbeigegangen. Ja, es gibt derzeit viele wichtigere Dinge, aber es sei mir gestattet auch dazu meinen Senf abzugeben 📷 Immerhin haben wir es in die Bildzeitung geschafft: https://www.bild.de/.../mega-panne-schockt-oesterreich... #fürdich #fyp #tirol #werbung #fpö #patrickhaslwanter ♬ Originalton - Patrick Haslwanter

Der Werbespot hat viele Menschen auf den sozialen Netzwerken nicht überzeugt, um nur das Mindeste zu sagen. Im neumodischen Sprachgebrauch umschreibt "Cringe" vermutlich am ehesten, was das Video bei einem beachtlichen Teil der Betrachter auslöst. Infantiler Humor, eine beschämende Repräsentation der Gegend, Geschmacklosigkeit – mit unterschiedlichen Schwerpunkten ging das Feedback meist in die selbe Richtung. In jedem Fall war das negative Echo laut genug, um Karin Seiler, Geschäftsführerin bei Tirol Werbung, gegenüber der Kronen Zeitung zeitnah zurückrudern zu lassen.

So versicherte sie, dass das Video versehentlich und "im Rahmen eines isolierten Werbemitteltestes" auf Facebook gelandet sei. Seiler schaffte weitere Distanz: "Das Video war einer von vielen Vorschlägen der Agentur. Wir haben es aber als ungeeignet für uns abgelehnt. Das entspricht nicht unseren Werten". Im Gespräch mit der Zeitung übernahm sie die Verantwortung, sich für den ungeliebten Upload zu entschuldigen.

Fauxpas fordert Fehleranalyse

Branchenvertreter wie auch das politische Parkett Österreichs konnten von Karin Seilers einsichtiger Erklärung nur bedingt beschwichtigt werden, wie die Kronen Zeitung dokumentiert. "Tirol hat einen exzellenten Ruf und dieser darf nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Ich erwarte mir eine ernsthafte Fehleranalyse, damit so ein Fauxpas nicht nochmals passiert", mahnte VP-Tourismussprecherin LA Katrin Brugger. Gleichzeitig verwies sie darauf, dass Tirol Werbung sonst "hervorragende Arbeit" leiste, was durch den vorliegenden Fall nicht verunglimpft werden solle.

FP-Tourismussprecher LA Alexander Gamper sah dagegen "nicht die erste peinliche Entgleisung in der Markenkommunikation nach außen, die Josef Margreiter in seinen zuständigen Ressorts zu verantworten hat". Gamper stellte auch die Qualifikation von Karin Seiler offen in Frage und forderte von LR Mario Gerber, "die handelnden Personen in der Chefetage gegen Tourismusprofis auszutauschen."

Gegenwind für Josef Margreiter

Besagter Josef Margreiter wiederum war über zwei Jahrzehnte lang Geschäftsführer von Tirol Werbung. Inzwischen ist er Chef der Tirol Holding, die auch das ihm wohlvertraute Tourismusbüro zentral steuert. Mario Gerber hat ihn mit der Aufklärung des Falls beauftragt, was bei Neos-Klubobmann LA Dominik Oberhofer auf Unverständnis stieß: "Für jeden Skandal der vergangenen 15 Jahre, und davon gab es viele, in der Tirol Werbung war einzig Josef Margreiter verantwortlich und mit der Vertuschung erfolgreich. LR Gerber macht den Bock somit zum Gärtner."

Tourismus-Landesrat Mario Gerber und Tirol Werbung-Geschäftsführerin Karin Seiler (Bild: Tirol Werbung / Franz Oss)

Oberhofer rechnete Karin Seiler immerhin an, dass sie Fehlerkultur lebe und sich für das Posting entschuldigt habe. Diese Eigenschaft hat ihr Amtsvorgänger seiner Ansicht nach jedoch immer vermissen lassen. Liste Fritz-Klubobmann LA Markus Sint äußerte sich schon versöhnlicher: "Die Tirol Werbung hat sich entschuldigt, also lassen wir die Kirche im Dorf. Der Tourismus hat wichtigere Probleme."

Auch LA Christian Kovacevic, Tourismussprecher der SP, meinte: "Das Kopfschütteln vieler Touristiker ist berechtigt und die Causa gehört aufgeklärt. Ob es dazu aber die Politik braucht, sei dahingestellt".

Runder Tisch regelt Zukunft

In jedem Fall hat Mario Gerber am vergangenen Mittwoch (03. April) schließlich an den Runden Tisch gebeten. Gefolgt sind der Einladung laut Kronen Zeitung "Obleute der Tiroler Tourismusverbände (VTT), Vertreter der WK, der Lebensraum Tirol Holding sowie der Tirol Werbung."

"Das Zusammenspiel von Tirol Werbung, Regionen und Tourismusbetrieben bildet eine wesentliche Basis für den Erfolg des Tiroler Tourismus. Daher haben wir vereinbart, dass regelmäßige Branchentreffen und regionale Dialogformate wieder verstärkt werden, um das Miteinander innerhalb der Branche zu festigen", wird die weiterhin im Amt bleibende Karin Seiler zum Zusammentreffen zitiert. Die strategische Abstimmung soll intensiviert werden. Und sicherlich nicht minder bedeutend: Werbemittel werden fortan nur noch in kontrollierten Fokusgruppen getestet.

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