"Kaum eine Branche steht vor so vielen Herausforderungen wie die Energiewirtschaft"

Stromee-Gründer Mario Weißensteiner erklärt im Interview, warum die jüngste Energiekrise eine Zäsur darstellt, welche Chancen und Risiken der Einsatz von KI birgt und wie er mit seinem Unternehmen die Branche verändern möchte.

Der Strukturwandel der Energiebranche in Deutschland ist in vollem Gange. Neben der Energiewende ist die digitale Transformation eine große Herausforderung, vor der vor allem Energieversorger stehen. Mario Weißensteiner hat sich mit der Gründung des Clean-Energy-Start-ups Stromee dieser Aufgabe gestellt.

Für den Unternehmer sieht die Zukunft der Energiebeschaffung grün, digital und sektorübergreifend aus. Im Interview spricht er über aktuelle Herausforderungen, Chancen und Lösungsansätze wie das nachhaltige Marktplatz-Konzept von Stromee, grüne Energieprodukte und Prozesssteuerung durch Künstliche Intelligenz.

LEADERSNET: Herr Weißensteiner, Sie sind seit vielen Jahren in der Energiewirtschaft tätig. Wie hat sich die Branche verändert?

Weißensteiner: Ich habe 1998 meine Ausbildung in der Energiewirtschaft begonnen und es war für mich noch nie so spannend wie heute in dieser Branche zu arbeiten. Die jüngste Energiekrise hat gezeigt, dass ein deutlicher Umbruch bzw. Übergang zu einer unabhängigen und kohlenstofffreien Energieversorgung stattfinden muss. Die Kosten für erneuerbare Energien sind in den letzten Jahren deutlich gesunken und auch Gesellschaft und Politik haben erkannt, dass klare Signale gesetzt werden müssen. Aber es hilft wenig, sich auf der Straße festzukleben. Vielmehr ist es wichtig, gesamtheitliche Lösungen zu finden.

LEADERSNET: Wie könnte so eine gesamtheitliche Lösung aussehen?

Weißensteiner: Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird weiter zunehmen und die Energiewirtschaft dezentraler werden. Immer mehr Haushalte und Unternehmen erzeugen ihren eigenen Strom durch Solaranlagen oder andere erneuerbare Energiequellen. Gleichzeitig ist ein starker Trend zur Elektrifizierung zu beobachten. Elektromobilität wird immer populärer und damit steigt auch die Nachfrage nach Strom als Treibstoff. Dies eröffnet neue Geschäftsfelder für die Energiewirtschaft, stellt aber auch Herausforderungen an die Ladeinfrastruktur und die Netzstabilität. Inzwischen hat auch die Digitalisierung in der Energiewirtschaft Einzug gehalten. Smart-Metering-Systeme ermöglichen eine digitale Übertragung der Verbrauchsdaten und Steuerung des Energieverbrauchs.

LEADERSNET: Mit Stromee sind Sie angetreten, um die Energiewirtschaft digital und nachhaltig zu verändern. Wie wird Ihnen das gelingen?

Weißensteiner: Uns ist es wichtig, dass Ökostrom möglichst regional erzeugt und genutzt wird. Wir kooperieren mit Anlagenbetreibern erneuerbarer Energien und ermöglichen diesen, sich auf unserer Plattform zu präsentieren und ihren Strom anzubieten. Nachhaltigkeit bedeutet für uns in diesem Zusammenhang aber auch, digitale Prozesse zu nutzen, um den Papierverbrauch zu vermeiden. Gleichzeitig wollen wir als digitaler Anbieter über Datenanalyse und Verbrauchstrends Kunden ein tieferes Verständnis für den eigenen Energieverbrauch ermöglichen und so die Steigerung der Energieeffizienz erleichtern.

LEADERSNET: Wie schwierig ist es, in einer so tradierten Branche überhaupt Änderungen voranzutreiben?

Weißensteiner: Die Branche benötigt dringend Unternehmen, die neue Impulse schaffen. Diese müssen jedoch auch im Einklang mit den regulatorischen Rahmenbedingungen stehen. Die Energiewirtschaft ist sehr von tradierten Denkweisen und etablierten Geschäftsmodellen großer Energiekonzerne geprägt, die über starke Interessenvertretungen verfügen. Insbesondere im Bereich der Digitalisierung ist eine klar durchdachte Strategie häufig nicht aufzufinden. Aber da tut sich Deutschland generell noch schwer und hat gegenüber anderen Ländern viel Nachholbedarf.

LEADERSNET: Sie haben sich bei Stromee das Ziel gesetzt, bis 2030 eine Million Menschen in Deutschland mit echtem Ökostrom und eigenen Smart-Home-Produkten zu versorgen. Wie wollen Sie dies erreichen?

Weißensteiner: Wir sind ein komplett digital ausgerichtetes Unternehmen und aktuell eines der wenigen Unternehmen am Markt, welches die Stromversorgung von der Erzeugung bis hin zum effizienten Energieverbrauch im Haushalt abdeckt. Durch unsere eigenentwickelten Produkte und Lösungen können wir alle Funktionen durchgängig aufeinander abstimmen. Schrittweise werden wir auf den Markt gehen, aktuell setzen wir den vollen Fokus auf den Ausbau von erneuerbarer Energie und der regionalen Energienutzung. Der nächste Schritt ist bereits in der Pipeline und wird mit einem eigenentwickelten Stromzählerablesegerät ein noch nie dagewesenes Energieverbrauchsmonitoring ermöglichen. Es ist faszinierend, welche Informationen aus einem Energieverbrauchsmuster gewonnen werden können. Wenn der Markt dann bereit ist, werden wir mit unserer hauseigenen Smart-Home-Lösung Endkunden mit automatisierten Energiemanagementfunktionen beim Energiesparen unterstützen. Aus unserer Sicht ein zukunftsträchtiges und zu 100 Prozent aufeinander abgestimmtes System, das uns einzigartig macht.

LEADERSNET: Sie setzen jetzt schon bei Stromee auf Künstliche Intelligenz (KI), um den Kundenservice zu automatisieren. Welche Vorteile sehen Sie darin und welche Nachteile?

Weißensteiner: Ohne Künstliche Intelligenz könnten wir unseren aktuellen Wachstumskurs nicht umsetzen. Bei Stromee arbeiten wir in diesem Bereich mit einem darauf spezialisierten Startup zusammen. Damit möchten wir auf der einen Seite Entlastung für unsere Mitarbeiter schaffen und Ressourcen für komplexere Aufgaben freigeben. Auf der anderen Seite möchten wir per KI neue Möglichkeiten und Technologien integrieren, um das Thema Strom und Energieversorgung für unsere Kunden so angenehm und unkompliziert wie möglich zu gestalten.

LEADERSNET: Aktuell befindet sich Stromee in einer recht umfangreichen Wachstumsphase. Wie gestalten Sie diesen Change-Prozess intern?

Weißensteiner: Ich freue mich, dass wir uns diesen Herausforderungen stellen. Wir wollen einen entscheidenden Beitrag zur Energiewende leisten, deshalb ist es unser Anspruch, deutlich an Marktanteilen zu gewinnen. Als Unternehmen befinden wir uns derzeit in einer sehr spannenden Phase, in der meine früheren langjährigen Erfahrungen als externer Berater und Manager im Konzernumfeld sehr hilfreich sind. Wir wollen von Anfang an in Netzwerkstrukturen denken und entsprechend wachsen. Ich habe viele große Unternehmen gesehen, deren Change Projekte scheitern, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oft keine Chance haben, in neue und effizientere Organisationsformen hineinzuwachsen.

LEADERSNET: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen, vor denen die Energiebranche in den nächsten fünf Jahren stehen wird?

Weißensteiner: Kaum eine Branche steht vor so vielen Herausforderungen wie die Energiewirtschaft. Zum einen ist da die Erhöhung der Gas- bzw. Energieunabhängigkeit aus dem Ausland, um die Preisdynamiken am Energiemarkt einzudämmen und der Gesellschaft leistbare Energie anbieten zu können. Dann haben wir das Thema Dekarbonisierung, heißt die Reduzierung von CO₂-Emissionen. Obwohl wir in Deutschland nur einen kleinen Anteil am weltweiten CO₂-Ausstoß haben, müssen wir hier eine entscheidende Vorreiterrolle einnehmen. Weitere Themen sind die Speicherung von Energie, Digitalisierung und Technologieintegration sowie der Aufbau einer guten Netzinfrastruktur vor allem auch in Bezug auf Elektromobilität. Und zu guter Letzt günstige politische Rahmenbedingungen.

LEADERSNET: Welche Unterstützung wünschen Sie sich dabei von der Politik oder anderen Beteiligten?

Weißensteiner: Ein klares Bekenntnis, eine durchdachte und gemeinsame Energiestrategie der regierenden Parteien und viel Mut, diese dann auch durchzusetzen sowie langfristig zu tragen. Und natürlich, dass regionale Energieerzeugung und deren regionaler Verbrauch gefördert werden, um die Netze zu entlasten. Ein großer Wunsch wäre zudem, dass der rechtliche Rahmen für Energy Communities geregelt und deutliche Anreize geschaffen werden – ähnlich wie in anderen europäischen Ländern.

LEADERSNET: Was waren in den vergangenen Monaten die größten Herausforderungen für Sie persönlich als Gründer?

Weißensteiner: Als Gründer und Geschäftsführer kämpft man täglich mit vielen Herausforderungen. Mein Schwerpunkt lag in den vergangenen Monaten besonders auf der strategischen Fokussierung von Stromee. Auch der Prozess, neue Mitarbeiter zu finden, die unternehmerisch denken können und an unsere Vision glauben, sie leben und weiterentwickeln wollen. Ein weiterer wichtiger Punkt auf der Agenda ist das Stakeholdermanagement - insbesondere bei den aktuell unsicheren Rahmenbedingungen. Hier die Bedürfnisse der Stakeholder zu identifizieren und zu berücksichtigen, war sicher bis hierhin auch eine toughe Aufgabe.

LEADERSNET: Was wünschen Sie sich zukünftig im Allgemeinen für die Energiebranche?

Weißensteiner: Ich erhoffe uns allen natürlich wieder mehr Planbarkeit und dass wir komplett unabhängig in Bezug auf Gaslieferungen von Russland werden. Die Atomkraft wird uns in Europa gezwungenermaßen noch einige Zeit lang begleiten, hier hoffe ich, dass Frankreich die technischen Probleme ihrer Kernkraftwerke rasch in den Griff bekommt. Ein weiterer Meilenstein wäre sicherlich die Erreichung der neuen Ausbauziele für erneuerbare Energie. Jeder Energieversorger sollte verpflichtet werden, einen gewissen Anteil am Ausbau für erneuerbare Energie zu tragen. Bedeutet für die Branche auch: weniger ausschließlich gewinnorientierte Energiediscounter mit wahnwitzigen Lockangeboten.

www.stromee.de

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