So geht es der Immobilienbranche in Zeiten der Inflation

| Redaktion 
| 16.04.2023

Nach dem Ende der Niedrigzinsen sind Käufer:innen zuletzt zögerlicher – Ausfallwahrscheinlichkeit der Unternehmen ist gestiegen und liegt über dem branchenübergreifenden Schnitt.

Die Vögel zwitschern, der Rasen riecht frisch gemäht und der Nachbar grüßt aus dem Garten nebenan. Viele Menschen träumen von der Idylle eines eigenen Hauses im Grünen. Doch steigende Preise für Energie, Lebensmittel und Dinge des alltäglichen Bedarfs lassen den Wunsch nach einem Eigenheim für viele immer weiter in die Ferne rücken. Wirkt sich dies nach Jahren des Booms auf den Erfolg der Immobilienbranche aus?

Hatte dieser Wirtschaftssektor doch bisher den Ruf, weitgehend immun gegen Krisen zu sein. Lange galten Eigentumswohnungen und -häuser als stabile und sichere Geldanlage. Nicht umsonst wird sprichwörtlich vom Betongold gesprochen. Aber stimmt das noch in Zeiten der Inflation? Die weltweit meistgenutzte Wirtschaftsauskunftei Creditsafe Deutschland hat die Immobilienbranche genau unter die Lupe genommen und aktuelle Zahlen zur wirtschaftlichen Stabilität analysiert.

Die Inflation zeigt Folgen

Nach zwei Pandemiejahren herrschte Anfang 2022 in vielen Branchen ein vorsichtiger Optimismus. Schließlich folgen auf Krisen häufig Jahre des Aufschwungs. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar änderten sich jedoch abermals die Vorzeichen. 2022 war, wie die vorangegangenen Jahre, gekennzeichnet von vielen Unsicherheiten und wirtschaftlichen Instabilitäten. Passend zu diesem negativen Trend kam es in den vergangenen 12 Monaten zu rund 2000 Geschäftsauflösungen im Immobiliensektor, beispielsweise durch Verschmelzung oder freiwilliger Liquidation. Zudem haben der Analyse nach zwischen 701 und 800 Unternehmen Insolvenz angemeldet, was bei rund 181.000 Immobilienunternehmen in Deutschland eine Insolvenzrate von 0,36 Prozent darstellt. Damit steht der Immobilienbereich jedoch immer noch etwas besser dar als andere Sparten, denn die branchenübergreifende Insolvenzrate von Unternehmen in Deutschland liegt bei 0,59 Prozent.

Darüber hinaus kam es auf der anderen Seite zu 15.000 Neugründungen im Immobilienbereich in Deutschland. Dies ist eine relativ hohe Anzahl, wenn man in Betracht zieht, dass in allen Sektoren zusammen in den vergangenen 12 Monaten rund 103.000 neue Unternehmen gegründet wurden. Der Anteil an Firmen aus dem Immobilienbereich ist damit hoch. Es scheint also, als ob der Optimismus in der Branche noch nicht nachgelassen hat und weiterhin neue Unternehmen aufgebaut werden. Die Branche wächst und was die Zukunft angeht, wird weiterhin hohes Potenzial gesehen.

Die Ampel steht auf Gelb: Risikoindikatoren verschlechtern sich

Die unsichere Gesamtlage zeigt sich dennoch in der gestiegenen Ausfallwahrscheinlichkeit – ein Wert, der das Risiko von Unternehmen abbildet, mit welchem sie in den nächsten 12 Monaten insolvent gehen – die auf 1,4 Prozent steigt. Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch im Vergleich zur branchenübergreifenden Ausfallwahrscheinlichkeit ab. Diese liegt momentan bei 1,26 Prozent und ist damit besser als jene im Immobiliensektor.Hinsichtlich der überschuldeten Unternehmen lässt sich ebenfalls eine negative Bilanz ziehen. So ist der Anteil auf 15,9 Prozent gestiegen und liegt damit deutlich über dem Branchendurchschnitt von 9,4 Prozent.

Ebenso zeigt auch das Risikoniveau eine negative Tendenz: Mit 46,8 Prozent weisen knapp die Hälfte aller Immobilien-Unternehmen ein niedriges Risiko auf und 7 Prozent haben sogar ein sehr niedriges Risiko. 32,1 Prozent weisen ein mittleres Risiko und zusammengenommen 14 Prozent ein hohes (8,3 Prozent) oder sehr hohes Risiko (5,7 Prozent). Das bedeutet, dass fast die Hälfte aller Unternehmen in dem Sektor ein mittleres bis sehr hohes Risiko aufweisen, was gemessen an der Anzahl von Unternehmen als hoch zu werten ist.

Drei Gründe für die angespannte Lage

Doch warum ist die Lage in der Immobilienbranche nach vielen erfolgreichen Jahren aktuell so angespannt? Die folgenden drei Faktoren erschweren derzeit die Bedingungen im Sektor:

  1. Hohe Preise: Im letzten Jahr hatte die Baubranche vermehrt mit stark gestiegenen Materialkosten zu kämpfen, welche mit mehreren Faktoren zusammenhängen: Durch Lieferkettenprobleme wurden Baumaterialien und -ausrüstungen zur Mangelware. Außerdem bewirkten die erhöhten Energiepreise ebenfalls einen Preisanstieg von Baumaterialien wie z. B. Stahl und Glas, die in der Herstellung energieintensiv produziert werden. Ferner wachsen auch die Personalkosten. Die Baubranche sucht akribisch nach Fachkräften – fehlende Expert:innen z. B. für die Installation von Wärmepumpen sind ein weiterer Faktor, der den Bau erschwert und verzögert.

  2. Hohe Nachfrage, keine Käufer:innen: Die Nachfrage nach Immobilien ist in den vergangenen Jahren zunehmend gestiegen. Zum einen, weil ein Nachholbedarf am Bau von Wohneinheiten besteht und damit ein Mangel an Wohnungen vorliegt. Zum anderen, da die Zahl der Interessent:nnen – bspw. durch Zuwanderung – weiter steigt. Eine Studie des Pestel-Instituts und des Bauforschungsinstituts ARGE kommt hierbei zu dem Ergebnis, dass 2023 ein Rekord-Wohnungsmangel droht – es fehlen 700.000 Wohnungen in Deutschland. Demzufolge bewirkt die erhöhte Nachfrage eine Preissteigerung von Immobilien. Viele Menschen haben jedoch Schwierigkeiten, eine Finanzierung zu bekommen, insbesondere wenn sie keine ausreichende Anzahlung aufbringen können oder eine schlechte Bonität besitzen. Auch die Inflation reduziert die monetären Mittel zum Immobilienkauf enorm. ebenso wie der erhöhte Leitzins bei Baufinanzierungen.

  3. Geschäft wird unattraktiv: Wie in vielen Branchen kommt es auch bei Baustellen und Immobilienprojekten seit 2020 häufig zu Verzögerungen. Dies kann zu Verzögerungen bei der Fertigstellung von Immobilienprojekten und damit zu Beeinträchtigungen bei Vermietung und Verkauf führen. Dadurch entstehen höhere Kosten und geringere Gewinne für die beteiligten Unternehmen. Laut Erzeugerpreisindex beträgt die Preisentwicklung von Beton im letzten Jahr +15,5 Prozent, Baustahl +23,5 Prozent und Dämmstoffe sogar +31,7 Prozent. Insbesondere bei langlaufenden Bauprojekten ohne Preisgleitklausel bleiben die Bauunternehmen auf den steigenden Kosten sitzen, da sie diese nicht unmittelbar an Ihre Kunden weitergeben können. Die Folge: Bauvorhaben werden storniert. Der Anteil von Stornierungen von Wohnungsbauprojekten Ende 2022 schwankt laut IFO Institut auf einem Rekordniveau zwischen 10 und über 16 Prozent.

Fazit: Graue Wolken über dem einstigen Mustersektor

Die Immobilienbranche war viele Jahre auf dem Höhenflug. Dank einer florierenden Wirtschaft und niedriger Zinsen hatten lange Zeit verhältnismäßig viele Menschen die Möglichkeit, in Immobilien zu investieren. Diese hohe Nachfrage hat zu einem Anstieg der Preise und einem stetigen Immobilienboom geführt. Durch die aufeinanderfolgenden Krisen seit der Pandemie 2020 und besonders der Kriegsbeginn 2022 sind viele Menschen jedoch vorsichtiger, was Investitionen in Wohneigentum betrifft. Gestiegene Zinsen und Preise für Immobilien durch wachsende Baukosten und knappe Rohstoffe sind ein weiterer Hemmfaktor.

All dies schlägt sich auch auf den Zustand der Immobilienbranche und deren Zahlungsfähigkeit nieder. Die Zukunft wird zeigen, inwiefern die Zurückhaltung der Kaufinteressent:innen wieder fallen wird und ob sie sich an Konditionen jenseits der Niedrigzinsen gewöhnen können.

www.creditsafe.com

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