Julian Reichelt: Ausmaß des mutmaßlichen Machtmissbrauchs wohl größer als bekannt

| Alexander Schöpf 
| 16.02.2023

ARD-Recherche fördert neue Details zu Tage, die kein gutes Licht auf "Bild" und ihren ehemaligen Chefredakteur werfen.

Nach Informationen des NDR hat der mutmaßliche Machtmissbrauch durch den ehemaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt deutlich größere Ausmaße als bislang bekannt. Reporterinnen des ARD-Formats "Reschke Fernsehen" (Ausstrahlung am Donnerstag, 16. Februar um 23.35 Uhr im Ersten) hatten Kontakt zu 13 Frauen, die den Schilderungen zufolge Anmachen, Affären und berufliche Auswirkungen erlebt haben. So beschreibt eine ehemalige Mitarbeiterin, wie Julian Reichelt sie zu einem Treffen gedrängt habe. "Irgendwann habe ich eingewilligt. Es kam zum Sex.". Er habe sie nicht gezwungen, aber sie habe aus Angst vor Konsequenzen im Job nicht "Nein" sagen können. "Die schlimmste Entscheidung meines Lebens", so die damalige Bild-Mitarbeiterin.

Der interne Bericht von Springer, für den der Verlag im Zuge der Aufklärung die Kanzlei Freshfields beauftragt hatte, unterstreicht die Aussagen. So heißt in einem bisher unbekannten Dokument, dass eine Frau "eindrücklich und glaubhaft" von ihrer Beziehung zum Bild-Chefredakteur berichtet habe. Auch berufliche Vorzüge wurden demnach ebenfalls glaubhaft von der Betroffenen geschildert. "Mehrere konkrete und uns bekannte Beispiele zeigen, dass die persönliche Interessen Herrn Reichelts hier gegenüber den unternehmerischen deutlich überwiegen", heißt es in dem Protokoll.

"Subtil aus dem Job befördert"

Andere Frauen berichten in "Reschke Fernsehen", wie sie berufliche Nachteile durch ihre Aussagen im Rahmen der Aufklärung bei Springer erleben mussten. "Ich habe gegen Julian Reichelt ausgesagt und wurde anschließend, als er von seiner Beurlaubung zurückkam, subtil aus meinem Job befördert", schildert eine ehemalige Bild-Mitarbeiterin in "Reschke Fernsehen". Eine andere Frau bestätigt diese Erfahrung. "Auch ich war so naiv zu glauben, ich könne mich vertraulich an interne Ansprechpartner wenden – aber natürlich landete auch das direkt bei ihm. Und ich war wenig später meinen Job los."

Zudem erheben mehrere Betroffene den Vorwurf, im laufenden Verfahren beeinflusst worden zu sein. So berichtet eine Frau davon, wie sie von Vertrauten Julian Reichelts bedrängt worden sei, nicht gegen ihn auszusagen. Mehrere Betroffene schildern, wie vertrauliche Informationen aus dem Compliance Verfahren bei Julian Reichelt landeten. Julian Reichelt äußerte schriftlich über seinen Anwalt, dass alle Vorwürfe "unwahr" seien und "Teil einer Verleumdungskampagne".

Betroffene fordern öffentliche Entschuldigung

Unterdessen fordern Betroffene des mutmaßlichen Machtmissbrauchs durch Julian Reichelt von Springer und Vorstandschef Mathias Döpfner eine öffentliche Entschuldigung. Die bisherigen Äußerungen von Vorstandschef Mathias Döpfner kämen einer "Verhöhnung" gleich, äußert eine Betroffene gegenüber dem NDR, "zutiefst verachtend" und "beleidigend" den Frauen gegenüber.

Rechtsanwalt Christian-Oliver Moser, der eine weitere Betroffene vertritt, fordert eine Entschuldigung für "systematisches Fehlverhalten im Verlag" sowie eine Richtigstellung der öffentlichen Äußerungen. Der Verlag müsse die Aussage korrigieren, dass es sich um einen Einzelfall handelte. Mathias Döpfner hatte in einer Videobotschaft kurz nach dem Rauswurf von Reichelt gesagt, die interne Untersuchung hätte lediglich einen Fall einer "einvernehmlichen Beziehung mit einer Mitarbeiterin" belegt.

Machtmissbrauch, Drogenkonsum und Affären

Die Recherchen von "Reschke Fernsehen" werfen auch Fragen hinsichtlich des Umgangs von Springer mit dem Fehlverhalten des ehemaligen Chefredakteur Julian Reichelt auf. Demnach haben mindestens zwei Mitarbeiterinnen von Bild bereits im Herbst 2019 über Einsendungen in den anonymen Briefkasten bei Bild schwere Vorwürfe gegen Julian Reichelt erhoben. In ihren Schreiben berichten sie von Machtmissbrauch, Drogenkonsum und Affären des damaligen Bild-Chefredakteurs.

So schildert in "Reschke Fernsehen" eine der Einsenderinnen, "dass Frauen unter Druck gesetzt werden, da mitzumachen, weil sie sonst beruflich abgestraft werden. Dass die Frauen sehr unter der Situation leiden". Aus Angst vor persönlichen Konsequenzen möchte sie nicht namentlich genannt werden. Die Einsendungen wurden demnach dem Vorstand vorgelegt. Der Springer-Verlag antwortete auf einen umfassenden Fragenkatalog mit einer generellen Stellungnahme: "Wir haben unsere Lehren aus der Vergangenheit gezogen, was die kulturelle Entwicklung betrifft, bereits viel verändert, und schauen jetzt wieder nach vorne."

Nur eine ehemalige Mitarbeiterin hat bislang rechtliche Schritte gegen Springer eingeleitet. Sie reichte im August 2022 Klage bei einem Gericht in Los Angeles ein. Das Verfahren wurde allerdings noch vor Eröffnung eines etwaigen Prozesses eingestellt. Nach Informationen von "Reschke Fernsehen" erhielt die Frau eine Geldzahlung und schloss eine Vereinbarung mit Springer, nicht mehr über den Fall zu sprechen.

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