Deutschland zwischen WM-Euphorie und Katar-Boykott

| Alexander Schöpf 
| 10.11.2022

Die Anzahl der Deutschen, die große Vorfreude auf das anstehende Fußball-Großereignis im Wüstenstaat empfinden, ist ähnlich groß wie jene, die sich überhaupt nicht freuen.

Die Fußball-Weltmeisterschaft geht bald los und wird wieder etwas ganz Besonderes – diesmal allerdings aus anderen Gründen. Nicht nur findet das Turnier erstmals im Winter statt, sondern auch im Wüstenstaat Katar, der traditionell sehr wenig mit Profi-Fußball zu tun hat. Selbst im November und Dezember herrschen dort ungünstige klimatische Bedingungen für den Hochleistungssport.

Doch das Turnier steht aus anderen Gründen in der Kritik – Menschenrechte, Sklaverei und Pressefreiheit sind die wichtigsten Stichworte. Doch hält das die Deutschen davon ab, ihren Lieblingssport zu verfolgen? Und wie viel Wissen zu den Kritikpunkten ist vorhanden? Dazu hat das Marktforschungsinstitut Appinio 1.000 Deutsche in einer repräsentativen Studie – nach Alter und Geschlecht – befragt.

Sofa schlägt Stadion

Mehr als vier von zehn Befragte (42 Prozent) freuen sich auf die anstehende WM. Aber nur etwas weniger Befragte (40 Prozent) freuen sich gar nicht auf das Mega-Event in Katar. Jeder Dritte unter den regelmäßigen Fußballgenießern (35 Prozent) ist sich noch nicht sicher, ob er sich auf die diesjährige WM als Event freuen soll.

Der Flug in den Mittleren Osten nach Doha, der Hauptstadt von Katar, würde aus Deutschland mindestens sechs Stunden dauern. Knapp jeder Siebte (13 Prozent) will diese lange Reise antreten, um WM-Spiele live vor Ort zu erleben. Die klare Mehrheit der Gucker (63 Prozent) verfolgt die Spiele lieber bequem von daheim aus, gerne auch mit Freunden. Public Viewing, wie es bei vergangenen WMs populär war, hat nur jeder Fünfte (21 Prozent) im Sinn. Hier geben auch immer mehr Städte bekannt, keine Public-Viewing-Events austragen zu wollen. Der Großteil der Befragten (71 Prozent) begrüßt diese Entscheidung.

Viel Unterstützung für Boykottaufrufe

Die große Mehrheit (86 Prozent) hatte die WM 2014 in Brasilien oder die WM 2018 in Russland verfolgt. Jeder Fünfte (21 Prozent) darunter will diesmal seltener bis gar nicht einschalten. Doch zwei Drittel der WM-Gucker (62 Prozent) werden das Mega-Event in diesem Jahr boykottieren. Denn dass bei Turnier und Organisation nicht alles sauber läuft, haben die meisten Befragten mitbekommen.

Mehr als zwei Drittel sehen die systematische menschenunwürdige Behandlung von Gastarbeitern als Hauptkritikpunkt (68 Prozent) an der WM. Auch die beschnittene Pressefreiheit sowie Diskriminierung von People of Colour und Menschen aus der LGBTQI+ Community stehen am öffentlichen Pranger. Drei von vier Befragte (77 Prozent) kennen diese Kritikpunkte. Ähnlich viele (73 Prozent) haben auch die Boykottaufrufe aus allen möglichen Richtungen wahrgenommen. Fast die Hälfte (42 Prozent) können diese Aufrufe auch verstehen und unterstützen – bei den Frauen mehr als bei den Männern (44 vs. 40 Prozent).

Kritik ja, Verzicht nein

Doch sind Kritik und Boykottaufrufe valide Gründe, den Fernseher lieber auszulassen? Knapp vier von zehn Befragte (38 Prozent) wollen das Sportturnier trotz aller Skandale aufmerksam verfolgen, mehr als jeder Vierte (27 Prozent) will sporadisch einschalten. Von den wenigen Befragten, die Spiele live vor Ort sehen werden (13 Prozent), ist sich der Großteil der Stadiongänger (82 Prozent) der Katar-Kritik durchaus bewusst. Immerhin will jeder Fünfte (21 Prozent) die Fußball-WM in Katar gar nicht schauen – darunter mehr als doppelt so viele Frauen (29 Prozent) wie Männer (13 Prozent). Auch will mehr als jeder Dritte (38 Prozent) der bisherigen WM-Zuschauer (86 Prozent) die Weltmeisterschaft in Katar bewusst boykottieren.

Beim Thema Kritik üben sieht die Mehrheit (60 Prozent) im Übrigen die teilnehmenden Profisportler in der Verantwortung. Genauso sind die Sponsoren (53 Prozent) gefragt, ihren Einfluss für Kritik zu nutzen – ebenso Medien (51 Prozent), die breite Öffentlichkeit selbst (48 Prozent) sowie politische Führungspersönlichkeiten (45 Prozent).

www.fifa.com

www.appinio.com

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