LEADERSNET: Frau Kawala, Dirndl und Tracht sind längst mehr als Festtagsmode – sie sind Lifestyle-Produkte. Wie erleben Sie diese Entwicklung?
Sibilla Kawala: Der Markt ist groß, aber es ist ein Verdrängungsmarkt: Je höher der Preis, desto kleiner die Zielgruppe. Gleichzeitig beobachten wir, dass immer mehr junge Frauen Tracht tragen und es ein richtiges Lifestyle-Thema geworden ist. Das hilft uns als Premium-Marke natürlich.
LEADERSNET: Heute ist Limberry eine feste Größe im Premiumsegment. Hätten Sie sich das vor 15 Jahren vorstellen können, als Sie mit nur einem Dirndl gestartet sind?
Sibilla Kawala: Nicht unbedingt. Ich habe BWL studiert, und für mich war eigentlich – und auch für meine Eltern – immer klar: Ich werde die Firma meiner Eltern übernehmen. Meine Eltern waren in der Stahlbranche tätig. Nach meinem Master in Manchester bin ich zurückgekommen und bei meinen Eltern eingestiegen. Aber ich habe schnell gemerkt, dass es mir keinen Spaß bringt. Ich habe dann eher aus Langeweile angefangen zu promovieren, weil ich etwas brauchte, das mich fordert.
LEADERSNET: Und das Thema Ihrer Promotion war schließlich der Auslöser für die Gründung?
Sibilla Kawala: Genau. Ich habe mich dann für das Thema Online-Konfiguratoren interessiert. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie ich darauf gekommen bin – vielleicht war es der Gegensatz zur Stahlbranche, etwas Kreatives, Innovatives. Damals gab es schon Nike ID, aber das war noch kaum verbreitet. Mir wurde schnell klar: Für meine Promotion brauche ich reale Daten, nicht nur Theorie. Ich habe aber niemanden gefunden, der mir diese Daten liefern konnte. Also habe ich gedacht: Dann gründe ich selbst ein Unternehmen, mit dem ich einerseits Daten für meine Doktorarbeit bekomme, andererseits aber auch ein Business aufbaue.
LEADERSNET: Wie haben Sie dieses Unternehmen dann konkret aufgebaut?
Sibilla Kawala: Die Idee war, dass man alles selbst konfigurieren kann. Ich habe dann zwei Freelancer im Netzwerk gefunden, die mir den Online-Shop und den Konfigurator gebaut haben. So habe ich innerhalb von sechs Monaten Limberry gegründet und alles aufgebaut, was dazugehört. In der ersten Kollektion hatte ich Ballerinas, Blazer und Trenchcoats. Und tatsächlich war da auch nur ein einziges Dirndl dabei – weil ich Tracht so mochte und dachte, es könnte gut für die PR sein.
LEADERSNET: Das klingt nach einem mutigen Start. Wie lief das Konzept der Konfiguratoren in der Praxis?
Sibilla Kawala: In der Theorie war das super, in der Praxis hatte ich nur Ärger. Die Leute kannten das Konzept nicht. Manche haben nach zwei Tagen angerufen und gefragt, warum es noch keine Versandbestätigung gibt, und wollten dann stornieren. Aber stornieren ging ja nicht, weil die Stücke extra für sie gefertigt wurden. Dazu kamen längere Lieferzeiten und das fehlende klassische Rückgaberecht. Ich habe wirklich alles versucht – neben Blazern und Ballerinas auch Schmuck. Aber egal, welches Produkt zum Individualisieren ich ausprobierte, es hat nicht funktioniert. Irgendwann musste ich mir eingestehen, dass es so nicht funktioniert, und ich habe mich gefragt: Was muss ich am derzeitigen Konzept ändern, damit es funktioniert?
LEADERSNET: Das war sicher auch eine finanzielle Belastung. Wie haben Sie Ihre erste Gründung gestemmt?
Sibilla Kawala: Ich habe zur Gründung meinen Bausparvertrag verwendet. Den hatten meine Eltern zur Geburt angelegt. Dazu kam ein Gründerzuschuss. Dieses Geld war mein Startkapital – und natürlich auch schnell weg, wenn man einen Online-Shop aufbaut, Muster produziert und vieles ausprobiert.
LEADERSNET: Und dann zeigte sich, dass gerade das Dirndl am besten funktionierte?
Sibilla Kawala: Genau. Das Dirndl – obwohl teuer und nischig – bekam immer wieder Aufmerksamkeit. Vor allem die Presse berichtete darüber, weil es diesen Twist hatte: Tracht im Online-Konfigurator. Da habe ich gemerkt: Hier liegt eigentlich meine Chance.
LEADERSNET: Wie haben Sie aus dieser Erkenntnis das heutige Limberry entwickelt?
Sibilla Kawala: Ich habe mir dann den Trachtenmarkt analytisch angeschaut. Ich habe gesehen: Online gibt es im Premium-Preissegment kaum etwas, das modern aussieht. Vieles war kitschig, mit Herzchen und Holz. Das Problem war: Ich hatte kein Geld mehr. Also habe ich überlegt, wie ich dem Konzept einen Twist geben kann, ohne neues Kapital. Meine Idee: Im Premium-Trachtenbereich gibt es viele tolle Marken, aber die waren alle nur stationär. Ich habe gesagt: Ich bringe die online. So habe ich das über ein Dropshipping-Modell gelöst. Die Marken gaben mir die Daten und Bilder, ich habe die Ware online gestellt und pro Verkauf eine Provision bekommen, während sie direkt an die Kund:innen verschickt haben. Das war anfangs sehr schwierig. Aber als ich den ersten Partner hatte und gute Zahlen zeigen konnte, wurde es einfacher. Schritt für Schritt sind weitere Marken dazugekommen. So ist Limberry 2.0 entstanden.
LEADERSNET: Parallel dazu traten Sie bei "Die Höhle der Löwen" auf. Haben Sie Investoren gesucht?
Sibilla Kawala: Wer wirklich Investoren sucht, kann das auch auf anderem Weg machen. Für mich war die Reichweite das Wichtigste. Ich wollte nicht ausschließen, dass ich einen Investor finde – aber ich habe gesagt: Mir geht es in erster Linie um die Sichtbarkeit. Und die Sendung lief besser, als ich es mir je vorgestellt hatte. Carsten Maschmeyer und Judith Williams sind eingestiegen, und es begann eine wahnsinnig spannende Zeit.
LEADERSNET: Wie hat sich Ihr Unternehmen nach der Sendung verändert?
Sibilla Kawala: Vor der Sendung hatte ich mein Office zu Hause – Wohnzimmer und Gästezimmer dienten als Lager. Nach der Sendung wurde es professioneller: Wir hatten ein Büro, mehr Mitarbeiter, die Kollektion wurde erweitert. In der Show hatte ich 20 Prozent Anteile für 250.000 Euro abgegeben. Das Geld war natürlich schnell weg – für Personal, Büro, Kollektionen. Viel wichtiger war für mich aber das Mentoring. Carsten Maschmeyer hat mir versprochen, mein Gründervater und Mentor zu sein. Und das hat er gehalten. Wenn ich ihn angerufen habe, hat er sich die Zeit immer genommen.
LEADERSNET: Wie erreichen Sie Ihre Kund:innen heute – über welche Kanäle läuft Ihr Marketing?
Sibilla Kawala: Das ist ein Mix. Wir machen klassische SEO und Google Ads, auch wenn das immer teurer wird. Sehr wichtig sind Social Media, vor allem Instagram und inzwischen auch TikTok. Viele Kund:innen kommen direkt über diese Kanäle zu uns. Wir fragen in unserem Pop-up-Store an der Kasse immer nach, wie sie auf uns aufmerksam geworden sind – und da hören wir sehr oft Social Media. Dazu kommen Events, die ich persönlich sehr schätze, wie Netzwerktreffen oder eigene Kundenevents. Auch der Newsletter spielt eine Rolle, genauso wie klassische Pressearbeit – das machen wir alles inhouse. Für mich ist es am schönsten, wenn ich die Menschen direkt treffe und in den Austausch gehe.
LEADERSNET: Wie hat sich E-Commerce insgesamt in den vergangenen Jahren verändert?
Sibilla Kawala: In Corona sind viele, die eigentlich nur stationär waren, online gegangen. Selbst kleine Läden, die früher ausschließlich davon gelebt haben, stationär zu verkaufen, machen inzwischen einen sehr guten Job online. Für uns heißt das: Die Konkurrenz ist härter geworden. Die Werbung über Google, um Leute überhaupt in den Shop zu bekommen, lohnt sich kaum noch. Und es ist schwieriger geworden, E-Commerce profitabel zu betreiben.
LEADERSNET: Retouren sind gerade in der Mode ein großes Thema. Wie erleben Sie das?
Sibilla Kawala: Retouren muss man einkalkulieren. Von drei Dirndln, die bestellt werden, kommen meist zwei zurück.
LEADERSNET: Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit für Limberry?
Sibilla Kawala: Wir produzieren in Europa, viele Stoffe stammen zudem aus traditionellen Webereien, etwa in Österreich. Kunden wollen oft nachhaltige Mode, aber wenn man es wirklich umsetzt, ist die Zahlungsbereitschaft oft nicht da. Das ist eine Herausforderung.
LEADERSNET: Sie setzen neben dem Online-Shop auch auf Pop-up-Stores, beispielsweise aktuell in der Münchner Innenstadt. Warum?
Sibilla Kawala: Online eine Marke aufzubauen ist sehr schwierig und sehr teuer. Der Pop-up-Store zahlt auf mehrere Dinge ein. Einerseits bekomme ich direkt Input für die Kollektion, weil Kund:innen und ihre Begleitungen im Laden ungefiltert sagen, was sie denken – die meisten wissen gar nicht, wer ich bin, wenn ich sie berate. Andererseits erreichen wir so auch Menschen, die nicht gerne online einkaufen. Und natürlich ist es Umsatz. Das nimmt dem Online-Shop nichts weg, sondern kommt zusätzlich. Gerade zur Wiesn ist München ein Muss – das ist das Epizentrum. Wir hatten auch schon Pop-ups in Wien, aber das war nicht vergleichbar. Hier in München passt es perfekt, wir sind aber auch für andere Standorte offen.
LEADERSNET: Wie lange im Voraus arbeiten Sie eigentlich an Ihren Kollektionen?
Sibilla Kawala: Wir sind jetzt in den letzten Zügen der nächsten Herbst/Winter-Kollektion. Das heißt: Das, was im Juli nächsten Jahres rauskommt, entwerfen wir jetzt. Wenn wir fertig sind, gehen die Entwürfe an die Fabriken, die Muster erstellen. Parallel wird geshootet – für E-Commerce und für die Kampagnenbilder. Ab März wird produziert, damit die Teile im Juli fertig sind. Wir arbeiten also ungefähr ein Jahr im Voraus.
LEADERSNET: Wie entstehen die Trends für die kommende Saison?
Sibilla Kawala: Das ist ein Mix. Einerseits schauen wir, was in der normalen Fashion läuft – Farben, Muster, Materialien. Andererseits nehmen wir mit, was in der aktuellen Saison gut funktioniert hat. Wir haben auch sogenannte NOS-Produkte, also Stücke, die mehrere Jahre laufen. Tracht ist nicht ganz so schnelllebig wie Fashion. Ein Modell, das sich dieses Jahr nicht verkauft, können wir auch in den nächsten zwei Jahren noch abverkaufen. Wir haben kein klassisches Designteam, sondern ein tolles Team mit sehr modeaffinen Mädels. Alle bringen ihre Leidenschaft ein und so entwickeln wir die Kollektionen.
LEADERSNET: Wie groß ist Ihr Team?
Sibilla Kawala: Wir sind 20 feste Mitarbeiter:innen und jetzt zur Wiesn-Saison über 30, weil wir in der Hauptsaison sowohl für die Logistik als auch in unserem Pop-up-Store mit Aushilfen arbeiten.
LEADERSNET: Sie haben Limberry vor 15 Jahren als Start-up gegründet. Start-ups gelten als schnell und agil – heute braucht Ihr Unternehmen aber auch feste Strukturen und Workflows. Wie bringen Sie beides zusammen?
Sibilla Kawala: Ich weiß eigentlich immer, was ich will, aber ich lasse meine Meinung immer gerne von meinem Team challengen. Wenn jemand bessere Argumente hat, gebe ich sofort nach. Wenn jemand mein Vertrauen hat, vertraue ich blind – ich kontrolliere nicht alles, sondern bin froh, wenn es läuft. Wir haben einmal im Monat ein Team-Meeting, bei dem jede Abteilung offen sagt, was gut und was schlecht gelaufen ist. Alle kennen die Zahlen und Ziele. Dadurch haben wir kleine Mitunternehmer:innen im Team. Und wenn wir überzeugt sind, dass eine Idee richtig ist, wird sie sofort umgesetzt. Trotzdem sind wir sehr familiär – wir nennen uns die Limberry-Family. Meine Mutter ist dabei, manchmal bringe ich auch meine Kleine mit ins Büro. Dieses Miteinander ist mir sehr wichtig.
LEADERSNET: Was sind die wichtigsten Trends auf der Wiesn 2025?
Sibilla Kawala: Ganz klar Puffärmel – entweder am Dirndl oder an der Bluse. Dann ausgefallenere Farben: Neben dem "butter yellow" aus der Fashion auch kräftiges Orange oder andere, ungewohnte Töne. Und transparente, fein bestickte Blusen.
LEADERSNET: Was bedeutet Ihnen die Wiesn persönlich?
Sibilla Kawala: Das Schönste ist für mich die Oide Wiesn mit meiner Tochter. Letztes Jahr war sie schon ein paar Mal dabei, und dieses Jahr freue ich mich besonders auf den Biergarten mit meinem Mann und meinen Eltern. Und natürlich unsere Events wie die Madlwiesn. Dort tragen über 100 Frauen Limberry. Das erste Mal hatte ich Tränen in den Augen, als ich das gesehen habe, und ich habe meine Mama per Facetime angerufen und gesagt: ‚Das sind alles Designs, die wir entwickelt haben.‘ Das war ein echter Gänsehautmoment.
LEADERSNET: Welche Rolle spielt Ihre Familie für Ihren Erfolg?
Sibilla Kawala: Eine sehr große. Ohne meinen Partner und meine Eltern wäre das alles nicht möglich. Mein Partner unterstützt mich. Ich kann nur jeder Frau raten: Augen auf bei der Partnerwahl! Meine Eltern haben mir von klein auf immer gesagt: Egal was du willst, wenn du es wirklich willst, kannst du es erreichen. Mit diesem Glaubenssatz bin ich groß geworden. Meine Mutter war meine erste Mitarbeiterin, meine Oma hat mich als Schneiderin beraten. Heute ist es so, dass meine Tochter in der Familie von allen getragen wird. Beide Großelternpaare sind präsent, spielen mit ihr, kümmern sich. Das ist ein großes Glück.
LEADERSNET: Woran messen Sie, ob es mit Limberry gut läuft?
Sibilla Kawala: Natürlich muss es wirtschaftlich stimmen – ich muss Rechnungen und Gehälter zahlen. Für mich ist aber vor allem wichtig, dass es mir Spaß bringt. Ich mache das, weil ich ein tolles Team habe. Ich liebe es, wenn im Office gelacht wird und die Leute nach Feierabend auch mal zusammen was trinken gehen.
LEADERSNET: Welche Visionen haben Sie für die nächsten Jahre?
Sibilla Kawala: Wir haben während Corona eine Bridal-Kollektion gelauncht – Standesamt-Mode im Mix-and-Match-Prinzip. Die kommt sehr gut an, auch wenn wir noch einiges optimieren müssen. Das wollen wir weiter ausbauen. Auch die Herrentracht hat Potenzial. Letztes Jahr haben wir unsere erste eigene Kollektion herausgebracht, dieses Jahr haben wir sie erweitert. Aber: Da geht noch mehr. Alles in allem möchte ich ein stabiles Unternehmen haben, das mir Spaß macht, wirtschaftlich gesund ist und mir gleichzeitig ermöglicht, meine Tochter von der Kita abzuholen. Jahrelang war Limberry mein einziges Baby – jetzt habe ich mit meiner Tochter ein zweites ‚Baby‘.
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