Rekordsumme für KI-Start-up aus Düsseldorf
Nice kauft Cognigy für 955 Millionen Dollar

Mit dem Kauf des deutschen KI-Start-ups Cognigy durch den US-Konzern Nice für 955 Millionen Dollar kommt es zur bisher größten bekannten KI-Übernahme Europas. Die Transaktion unterstreicht nicht nur das enorme Potenzial deutscher Tech-Innovationen, sondern wirft auch kritische Fragen zur strategischen Industriepolitik in Deutschland auf.

Cognigy, ein auf AI-Agenten spezialisiertes Unternehmen aus Düsseldorf, wird für die Rekordsumme von 955 Millionen US-Dollar vom US-Konzern Nice übernommen. Die Akquisition gilt als Meilenstein für die europäische KI-Szene und markiert einen der größten Exits eines deutschen Start-ups im Tech-Bereich. Doch während Nice die Vorteile für seine globale Plattformstrategie betont, sorgen sich deutsche Innovationsförderer um den zunehmenden Abfluss technologischer Wertschöpfung. Der Fall Cognigy steht somit exemplarisch für die aktuelle Dynamik auf dem europäischen Tech-Markt – und für die Herausforderungen, denen sich der Standort Deutschland gegenübersieht.

Größter KI-Exit Europas

Gegründet 2016 in Düsseldorf von Philipp Heltewig, Benjamin Mayr und Sascha Poggemann, hat sich Cognigy als führender Anbieter von AI-Agenten für den Kundenservice etabliert. Die eigens entwickelte Plattform ermöglicht es Unternehmen, mehrsprachige, kanalübergreifende Sprach- und Textdialoge zu automatisieren – inklusive Integration in bestehende IT-Systeme. Anders als viele Konkurrenten setzt Cognigy dabei nicht vorrangig auf generative KI, sondern auf strukturierte und kontrollierte Agentensysteme, was besonders für regulierte Branchen wie Versicherungen, Energie oder Banken ein entscheidender Vorteil ist.

Konzerne wie Mercedes-Benz, Lufthansa, DHL und Allianz nutzen Cognigys Technologie bereits intensiv. Für die Allianz etwa verarbeitet die Plattform laut Unternehmensangaben bis zu 25 Millionen Anfragen pro Tag. Auch die Lufthansa nutzt Cognigy seit der Pandemie, um bei Flugausfällen automatisiert Kundenanfragen zu beantworten – allein 2023 wurden mehr als zehn Millionen solcher Anfragen automatisiert abgewickelt.

Der US-Konzern Nice, der mit seiner CX-Plattform "CXone Mpower" weltweit aktiv ist, will Cognigys Technologie künftig tief in sein Portfolio integrieren. Unternehmen wie Disney, Sony und Toyota zählen bereits zu seinen Kunden. Durch den Zukauf verspricht sich Nice nicht nur einen Innovationsschub, sondern auch eine strategische Ausweitung seiner Marktposition in Europa und Asien.

Deutsche Industrie verliert erneut ein Tech-Juwel

Mit der Übernahme erhält Nice nicht nur technologische Exzellenz, sondern auch ein wachstumsstarkes Unternehmen mit etablierten Kundenbeziehungen in mehreren Weltregionen. Für Rafael Laguna de la Vera, Chef der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND), verdeutlicht der Fall die strukturellen Schwächen deutscher Industriepolitik. "Größere Übernahmen durch deutsche Unternehmen lassen sich an wenigen Fingern abzählen", warnte er auf LinkedIn.

In einem ausführlichen LEADERSNET-Interview betonte Laguna zudem die Notwendigkeit radikalerer Innovationsansätze in Deutschland – eine Sprunginnovation müsse, so Laguna, "das Leben spürbar verändern". Der Verkauf von Cognigy reiht sich damit ein in eine Serie hochkarätiger Exits deutscher Start-ups an ausländische Investoren, wie zuletzt auch beim finnischen KI-Unternehmen SiloAI.

Der Mangel an strategischen Investitionen durch deutsche Konzerne gefährde langfristig die technologische Souveränität Europas, so Laguna weiter. Wenn Deutschland weiterhin auf risikoscheue Innovationsstrategien setze, drohe eine zunehmende Abhängigkeit von US-amerikanischen Tech-Giganten. Sein Appell: Industrie-Großunternehmen müssten stärker in zukunftsfähige Start-ups investieren, um ihre globale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

KI-Expertise bleibt, Ownership geht

Trotz des Verkaufs bleibt Cognigy laut Unternehmensangaben operativ eigenständig. Die Plattform soll weiterhin offen für Integrationen mit Systemen wie Amazon Connect, Genesys oder Avaya bleiben – ein strategischer Vorteil für Kunden, die hybride IT-Infrastrukturen nutzen. CEO Philipp Heltewig betont: "Die Übernahme ist ein großer Schritt für uns, unsere Kunden und Partner." Man gewinne Zugriff auf neue Ressourcen, technische Infrastruktur und internationale Skalierungsmöglichkeiten.

Cognigy soll zudem weiterhin in Düsseldorf ansässig bleiben. Das Unternehmen, das bislang rund 170 Millionen Dollar Wagniskapital eingesammelt hat, erwartet für 2026 ein Umsatzwachstum von 80 Prozent im Bereich wiederkehrender Einnahmen (ARR). Vom Kaufpreis in Höhe von 955 Millionen Dollar sind rund 50 Millionen an Meilensteine geknüpft und sollen teils in bar, teils in Aktien fließen. Die Zustimmung der Aufsichtsbehörden zur Transaktion steht noch aus.

Die Finanzierung des Deals erfolgt vollständig durch Eigenmittel von Nice. Die Käuferseite wurde von der US-Investmentbank Jefferies beraten, während die Verkäufer – darunter die Kapitalgeber Eurazeo, Insight Partners, DTCP und DN Capital – von Qatalyst Partners begleitet wurden. Laut eines Berichts des Handelsblatts ist die Übernahme die bisher größte im europäischen KI-Sektor.

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