LEADERSNET: Frau Wohlfarth, Sie haben mit RatePay und Banxware zwei Unternehmen gegründet. Sind Sie das perfekte Beispiel dafür, dass Gründen in Deutschland möglich ist?
Miriam Wohlfarth: (lacht) Ich hoffe doch. Banxware, meine zweite Co-Gründung, ist ja noch mittendrin – und entwickelt sich inzwischen sehr gut. Aber der Weg dorthin war alles andere als einfach. Wir hatten richtig harte Jahre, wie übrigens auch schon bei RatePay. Gründen ist selten ein klarer, gerader Pfad – es ist eher eine Lebensentscheidung und die fordert einen komplett.
LEADERSNET: Inwiefern?
Miriam Wohlfarth: Man ist als Gründerin eigentlich nie wirklich "off". Urlaub und abschalten – das funktioniert kaum. Im Kopf läuft das Unternehmen immer mit. Das beeinflusst auch das private Leben. Meine Tochter hat mir früher oft gesagt, dass ich viel weg war – andere Kinder wurden nach der Schule abgeholt, sie musste oft selbst organisieren, mit dem Bus fahren, sich durchschlagen. Heute ist das für uns beide okay, wir verstehen uns sehr gut. Aber es war nicht einfach. Und trotzdem: Ich würde es wieder tun. Denn das, was man zurückbekommt – diese Selbstwirksamkeit, diese Gestaltungskraft – das ist durch nichts zu ersetzen.
LEADERSNET: Sie beschäftigen sich seit Jahren mit Finanzen und Digitalisierung. Was hat sich aus Ihrer Sicht in der Branche am stärksten verändert?
Miriam Wohlfarth: Zwei Entwicklungen haben in den letzten Jahren alles verändert. Erstens: Künstliche Intelligenz. Spätestens seit ChatGPT ist sie im Alltag angekommen – nicht nur bei Tech-Nerds, sondern quer durch die Gesellschaft und Wirtschaft. Bei uns zieht sich KI durch fast alle Prozesse: vom datengestützten Marketing über die automatisierte Kreditprüfung bis hin zur internen Wissensvermittlung – wir arbeiten mit einem eigenen Sprachmodell, in dem das Know-how des Unternehmens gebündelt ist.
Der zweite große Wandel betrifft das Kundenverhalten – ich nenne es die Amazonisierung der Finanzwelt. Menschen erwarten heute passgenaue Angebote, die im richtigen Moment am richtigen Ort auftauchen. Niemand möchte sich mehr durch unübersichtliche Produktwelten klicken. Das verändert auch die Rolle von Banken: Früher waren sie Generalisten für alles. Heute müssen sie sich als Teil eines digitalen Ökosystems verstehen – eingebettet in den Alltag der Nutzer:innen, hochgradig personalisiert und kontextbezogen.
LEADERSNET: Setzt hier Ihre Vision von Banxware an?
Miriam Wohlfarth: Genau. Unsere Vision bei Banxware ist es, den Zugang zu Firmenkrediten radikal zu vereinfachen – und das genau dort, wo der Bedarf entsteht. Das heißt, wir integrieren uns direkt in Marktplätze oder Plattformen, sodass Unternehmen in dem Moment finanziert werden, in dem sie es brauchen. Gerade kleine Unternehmen kämpfen oft mit langen und bürokratischen Prozessen, um eine Finanzierung zu bekommen.
Bei uns geht es um Schnelligkeit, Einfachheit und den gezielten Einsatz von Daten. Ein konkretes Beispiel: Ein Kunde benötigte schnell Liquidität, um 300 iPads zu beschaffen – ein lohnenswerter Auftrag, aber ohne die nötige Finanzierung hätte er ihn nicht erfüllen können. Eine klassische Bank hätte Wochen gebraucht, um den Kredit zu genehmigen. Wir konnten ihm helfen, das Geld war innerhalb von 48 Stunden verfügbar.
LEADERSNET: Kreditvergabe ganz ohne Diskriminierung – ist das auch Teil Ihrer Mission?
Miriam Wohlfarth: Ja, auf jeden Fall. Das war uns von Anfang an wichtig. Es wird bei Kreditentscheidungen ja oft unbewusst diskriminiert – sei es wegen des Geschlechts oder auch einfach, weil ein Name nicht deutsch klingt. Das passiert nicht absichtlich, aber wenn Menschen Entscheidungen treffen, spielen Vorurteile eben oft doch eine Rolle. Deshalb setzen wir stark auf Daten.
Wir schauen zum Beispiel: Wie ist die Performance des Unternehmens in den letzten sechs Monaten? Was passiert gerade auf dem Konto? Wie entwickelt sich das Geschäft aktuell? Und wenn man das hochrechnet – wie könnte es in den nächsten Monaten weitergehen? Das ist für uns entscheidender als drei Jahre alte Bilanzen, die gerade bei jungen Unternehmen oft gar nichts aussagen.
LEADERSNET: Und wie steht es um den Standort Deutschland? Unterstützt er Innovation – oder bremst er eher?
Miriam Wohlfarth: Die Bürokratie ist definitiv ein Bremsklotz. Das zieht sich durch viele Bereiche – sei es bei Genehmigungen, im Finanzierungsumfeld oder bei regulatorischen Anforderungen. Das nervt und kostet Zeit und Energie. Aber: Sie hat uns nicht aufgehalten. Deutschland ist mein Heimatmarkt, hier spreche ich die Sprache, hier kenne ich mich aus – das gibt mir Sicherheit. Was mir wirklich fehlt, ist eine funktionierende europäische Kapitalmarktunion. Sie würde vieles vereinfachen – gerade für junge, innovative Unternehmen, die international skalieren wollen.
Momentan ist es so: Wer in Europa wachsen will, muss für jedes einzelne Land eigene Lösungen, Produkte oder Prozesse aufbauen – weil die regulatorischen Anforderungen so unterschiedlich sind. Das macht es unnötig kompliziert und teuer. In den USA ist das ganz anders: Dort reicht es oft, ein Produkt zu entwickeln – und man hat direkt Zugang zu einem riesigen, einheitlich regulierten Markt. Diese Fragmentierung in Europa ist ein echter Wettbewerbsnachteil, gerade im Tech- und Finanzbereich. Deshalb wünsche ich mir hier mehr politischen Mut, Hürden abzubauen und Wachstum gezielt zu ermöglichen.
LEADERSNET: Und trotzdem sehen Sie auch Chancen hier?
Miriam Wohlfarth: Absolut. Der deutsche Markt ist groß, etabliert und sehr professionell – das ist eine echte Chance. Und wir stehen ja noch ganz am Anfang. Es gibt hier unglaublich gute Universitäten, einen starken Bildungsstandort, und entsprechend viele Talente, die nachrücken. Auch das gesellschaftliche und wirtschaftliche Umfeld ist sehr stabil. Ich lebe gerne in Deutschland. Natürlich ärgere ich mich manchmal – über Bürokratie, über langwierige Prozesse. Aber wenn man eine Zeitlang woanders ist oder mit anderen Systemen arbeitet, merkt man sehr schnell, was wir hier auch für einen hohen Standard haben. Viele Dinge funktionieren einfach – und diese Verlässlichkeit ist gerade als Gründerin oder Unternehmerin nicht zu unterschätzen.
LEADERSNET: Wie sind Sie eigentlich zum Thema Tech gekommen?
Miriam Wohlfarth: Technik war bei uns zu Hause allgegenwärtig. Mein Vater war Ingenieur, ein echter Tüftler – immer mit neuen Ideen, immer an irgendetwas dran. Mein Bruder ist heute Softwareentwickler. Ich bin mit Computern aufgewachsen, das war ganz selbstverständlich. Ganz so tief eingestiegen wie die beiden bin ich nie – ich hatte eher eine vertriebliche Ader. Aber das Interesse war immer da. Als das Internet aufkam, war ich sofort fasziniert. Da habe ich gemerkt: Das ist meine Welt. Ich wollte verstehen, wie das funktioniert. Nicht, weil ich in Mathe besonders gut war, sondern weil ich neugierig war. Ich habe ausprobiert, gelernt, mir vieles selbst beigebracht – einfach, weil es mich gepackt hat.
LEADERSNET: Gab es Schlüsselmomente in Ihrer beruflichen Laufbahn?
Miriam Wohlfarth: Damals habe ich etwas getan, das viele nicht nachvollziehen konnten: Ich bin von Hapag-Lloyd – einem etablierten, renommierten Unternehmen – zu einer kleinen Firma in den Niederlanden gewechselt, die sich mit Online-Zahlungsverkehr beschäftigte. Sie hieß Bibit Global Payment Services, hatte ca. 15 Mitarbeitende – und war praktisch unbekannt. Die Reaktionen waren oft ungläubig: "Wie kann man einen sicheren Job für so etwas aufgeben?" Aber für mich war klar: Das ist die Zukunft. Der Gründer sagte damals: "Die Menschen werden online einkaufen. Zahlungen im Internet werden völlig normal sein." Und er hatte recht. Ich fand das so spannend, dass ich den Schritt gewagt habe – und rückblickend war es eine der besten Entscheidungen meines Lebens.
Vielleicht war ich auch deshalb bereit für diesen Neuanfang, weil ich mich davor lange orientierungslos gefühlt hatte. Ich hatte mein Studium abgebrochen, war eine Zeit lang in der Reisebranche, aber so richtig angekommen habe ich mich dort nicht. Mein Lebenslauf war zerrupft, und ich wusste nicht, wohin mit mir. Der Einstieg in die Digitalbranche war mein Wendepunkt – ich konnte etwas ganz Neues lernen, mit Menschen arbeiten, die mich inspiriert haben. Und ich habe gemerkt: Hier bin ich richtig.
LEADERSNET: Heute arbeiten in Ihrem Unternehmen rund 50 Mitarbeitende – welche Führungskultur leben Sie?
Miriam Wohlfarth: Meinen Mit-Gründern und mir ist ein Klima wichtig, in dem sich Menschen sicher fühlen. Psychologische Sicherheit war bei uns von Anfang an ein großes Thema. Ich möchte, dass man auch mal sagen kann: "Ich weiß es gerade nicht" oder "Heute geht’s mir nicht gut" – ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Solche Offenheit schafft Vertrauen und Zusammenhalt. Ich bin überzeugt: Wirklich starke Teams entstehen nicht durch perfekte Prozesse, sondern durch echte Beziehungen.
LEADERSNET: Sie sind viel unterwegs, geben Interviews, bekommen Preise. Was bedeuten Ihnen diese Auszeichnungen?
Miriam Wohlfarth: Sie rühren mich wirklich. Ich freue mich sehr über die Anerkennung. Und ich sehe, dass es andere inspiriert. In meinem Umfeld gibt es inzwischen sieben Menschen, die nach der Zeit bei Ratepay oder Banxware selbst gegründet haben. Das ist das Beste, was passieren kann.
LEADERSNET: Sind Sie gern ein Role Model?
Miriam Wohlfarth: Ja, das bin ich gern. Nicht, weil ich alles besser kann – sondern, weil ich zeigen will: Es geht. Gründen ist eine Option. Und man kann diesen Weg auch später im Leben noch einschlagen. Ich engagiere mich zum Beispiel bei Startup Teens und habe mich auch bei der Hacker School eingebracht, weil ich es großartig finde, wenn junge Menschen Lust auf Technik und Unternehmertum entwickeln.
Einer hat mir neulich erzählt, dass er einen KI-Teddybär gebaut hat, der mit Kindern redet – weil er es so traurig findet, dass viele beim Essen nur noch aufs Tablet starren. Solche Geschichten begeistern mich. Sie zeigen, wie viel Kreativität und Verantwortungsgefühl in der nächsten Generation steckt – und wie wichtig es ist, diese Talente zu fördern.
LEADERSNET: Wenn Sie in die Glaskugel schauen: Wo sehen Sie Banxware – und wo sich selbst – in zehn Jahren?
Miriam Wohlfarth: Ich möchte keine Spekulationen lostreten, aber es sind einige Szenarien denkbar: Vielleicht gehört Banxware dann zu einem starken Partner oder ist börsennotiert. Vielleicht sind wir auch einfach international erfolgreich gewachsen und profitabel. Und wenn es nach meiner Tochter geht, wohnen wir dann in einer WG. Sie hat das neulich (aber wohl eher im Spaß) gesagt, dass sie das toll finden würde – und das war, ehrlich gesagt, das schönste Kompliment, das ich je bekommen habe.
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