Der Direktor der Sprind GmbH im Interview
Rafael Laguna de la Vera: "Eine Sprunginnovation muss das Leben der Menschen zum Besseren verändern"

| Redaktion 
| 14.07.2025

Kaum jemand verkörpert das Prinzip der Sprunginnovation so konsequent wie Rafael Laguna de la Vera. In der DDR geboren, als Kind westlich der Systemgrenze angekommen, gründete er mit 16 sein erstes Softwareunternehmen – und machte seitdem selten halt. Laguna hat den Aufstieg des Internets miterlebt, Open Source in Europa vorangetrieben, Firmen aufgebaut, verkauft und gerettet.

Heute leitet Laguna die Bundesagentur für Sprunginnovation (SPRIND), die Zukunftstechnologien mit radikalem Potenzial finanzieren soll – jenseits der deutschen Risikoaversion.Im Interview mit LEADERSNET spricht Laguna über disruptives Denken, deutsche Innovationshemmnisse und warum man Scheitern nicht nur erlauben, sondern fördern sollte. 

LEADERSNET: Herr Laguna, Sie gründeten mit 16 Ihr erstes Softwareunternehmen – zur selben Zeit, als in Deutschland noch mit dem C64 programmiert wurde. Was hat Sie damals angetrieben, unternehmerisch tätig zu werden, während andere noch mit Joysticks spielten?

Rafael Laguna de la Vera: Das war sogar noch zwei Jahre vor dem C64, so alt bin ich schon. Unternehmerisches Denken und Handeln liegt bei uns in der Familie. Mein Großvater war in der DDR Inhaber einer kleinen Werkzeugmaschinenfabrik. Meine Eltern hatten zeitlebens ein Übersetzungsbüro, in den 70ern bauten sie eine Firma auf, die Skateboards als erste nach Deutschland brachte und im Sauerland fertigte. Ich hatte das Glück, dass ich als Zwölfjähriger in den Ferien zu einem Onkel ins Silicon Valley nach Kalifornien durfte. Dort kam ich mit Mikroelektronik, Hard- und Software in Berührung – und die Begeisterung dafür hat mich bis heute nicht losgelassen.

LEADERSNET: SPRIND hat bis September 2024 rund 2.100 Einreichungen für Sprunginnovationsideen erhalten. Was unterscheidet für Sie eine echte Sprunginnovation von einer bloßen Verbesserung? Gibt es ein Projekt, das Sie besonders begeistert – und warum?

Rafael Laguna de la Vera: Bei großen Innovationen lässt sich die Welt in ein "Davor" und ein "Danach" einteilen. Jeder weiß, welchen Sprung Handys, Autos oder Penicillin für unser alltägliches Leben bedeuteten. Eine Sprunginnovation muss das Leben der Menschen zum Besseren verändern. Eine einzelne Lieblingsinnovation habe ich nicht. Im Gegenteil: Wir alle haben das Glück, in einer Zeit leben zu dürfen, in der unser Leben und das Leben auf unserem Planeten durch Sprunginnovationen aus unterschiedlichsten Fachgebieten entscheidend besser wird. Wir sehen große Fortschritte unter anderem bei Energie, Medizin, Materialwissenschaften – und natürlich Mikroelektronik.

LEADERSNET: Bei solch massiven Umbrüchen ist Scheitern ein zentrales Thema in der Innovationsdebatte. Warum sollte man Scheitern nicht nur erlauben, sondern fördern?

Rafael Laguna de la Vera: Natürlich streben wir es nicht an, dass von SPRIND finanzierte Projekte scheitern. Ganz im Gegenteil! Wir sind ja dazu da, dass wir Ideen zum Gelingen bringen, bei denen andere abwinken mit: "Das kann doch nie funktionieren." Bevor wir Geld geben, müssen wir schon überzeugt sein, dass eine Idee auch wirklich die Gesetze von Physik und Chemie einhalten und kein "perpetuum mobile" ist.

Allerdings ist für manche Ideen die Zeit noch nicht reif oder es fehlt jetzt noch an technischen Komponenten. Ich denke da beispielsweise an die "Künstliche Intelligenz". Daran wurde 70 Jahre lang mit Hochdruck gearbeitet. Doch erst seit ein paar Jahren haben wir genügend Rechenleistung und die richtigen Algorithmen, sodass diese Technik "abheben" kann. Daher kann es durchaus sein, dass Projekte jetzt erstmal scheitern – aber dennoch durch den Erkenntnisgewinn auf künftige Durchbrüche einzahlen.

LEADERSNET: Die NASA hatte 1961 ein klares Ziel: einen Menschen auf den Mond bringen. Heute fehlt es vielen Innovationsprojekten in Europa an ähnlich ambitionierten "Moonshots". Welche Mondlandung würden Sie Deutschland wünschen – und was fehlt uns, um dort anzukommen?

Rafael Laguna de la Vera: Energiegewinnung mit Hilfe von Kernfusion wäre ein Durchbruch für die gesamte Menschheit, weil sich damit zahlreiche globale Herausforderungen wie Klimawandel, Ernährung und Wasserversorgung lösen ließen. Ob und mit welcher Technologie – ob laserinduziert oder mit Hilfe von magnetischem Einschluss – das gelingen wird, ist heute noch offen. Allerdings wurden – ähnlich wie im Jahrzehnt vor der ersten Mondladung – in den letzten Jahren viele ermutigende technische Fortschritte und kleinere Durchbrüche erzielt, sodass die Zahl der Optimisten beständig wächst, dass wir diese Sprunginnovation in einigen Jahren in die Welt bringen werden.

Ein wichtiges Indiz dafür ist, dass jetzt endlich auch reichlich privates Kapital in die Kernfusion investiert wird. 7,5 Milliarden Dollar haben Fusions-Start-ups in den vergangenen Jahren eingesammelt. Erst vor wenigen Tagen hat die Münchner Proxima Fusion eine private Finanzierungsrunde über 130 Millionen Euro abgeschlossen.

LEADERSNET: SPRIND soll laut Bundesregierung "radikal neu denken und radikal neu machen". Doch was bedeutet das konkret in einem Land, in dem Bürokratie und Vorsicht oft als Tugenden gelten? Können Sie ein Beispiel nennen, bei dem SPRIND bereits gegen den Strom geschwommen ist?

Rafael Laguna de la Vera: Ich habe anfangs im Scherz gesagt: Die erste Sprunginnovation der Bundesagentur für Sprunginnovation ist die Bundesagentur für Sprunginnovation. Tatsächlich haben wir die Arbeitsweise, wie staatliche Innovationsfinanzierung schneller und effizienter funktionieren kann, neu gedacht und neu gemacht. Dafür haben wir sogar ein eigenes Gesetz gebraucht und bekommen, das "SPRIND Freiheitsgesetz".

Heute kommen Institutionen aus anderen Ländern zu uns, um von uns zu lernen. Der Draghi-Report der Europäischen Kommission nennt uns als "Best-Practice"-Beispiel für effektives, staatliches Handeln. Auch mit der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG arbeiten wir eng und regelmäßig zusammen.

LEADERSNET: Warum, glauben Sie, hat Deutschland Schwierigkeiten, weltverändernde Tech-Unternehmen wie in den USA hervorzubringen, und wie will SPRIND das ändern?

Rafael Laguna de la Vera: Deutschland und Europa haben jede Menge kluger Köpfe. Die Staaten investieren viel in ein sehr gutes Hochschulsystem, deren Forschungsergebnisse sich im internationalen Vergleich nicht verstecken müssen. Doch leider gelingt es uns seit mehr als 80 Jahren nur noch viel zu selten, daraus neue, erfolgreiche Unternehmen und Industrien zu machen. BioNTech und die mRNA-Technologie sind eines der wenigen Beispiele der letzten Jahre, wo dies gelungen ist.

Die Ursachen für dieses "Tal des Todes" zwischen Wissenschaft und Unternehmertum sind vielfältig – und wir arbeiten daran, all diese Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Das beginnt mit einfacherem IP-Transfer für Ausgründungen aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen und reicht hin bis zu mehr staatlichem und privatem Kapital in der Gründungs- und Wachstumsphase eines Unternehmens. Wir sind hierbei nicht alleine. Die Politik in Europa hat vielerorts verstanden, dass wir neue Unternehmen brauchen, um unsere technologische Souveränität zu verbessern, die letztendlich unseren Wohlstand und unsere freiheitliche, demokratische Werteordnung sichert.

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