Drei Tage lang wird Berlin zum Schaufenster wirtschaftlicher Weichenstellungen: Zum Auftakt des SZ Wirtschaftsgipfels treffen sich Spitzenvertreter:innen aus Industrie, Politik und Wissenschaft, um Deutschlands Rolle im internationalen Wettbewerb neu zu vermessen. Im Fokus stehen Investitionen in Künstliche Intelligenz, wirtschaftliche Resilienz, der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur und Europas strategische Souveränität. Kuratiert wird das Forum von der Redaktion der Süddeutschen Zeitung.
Wie wird Deutschland fit für die Zukunft?
Zum Auftakt des Gipfels trat Friedrich Merz, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, auf die Bühne und machte deutlich, dass wirtschaftspolitischer Stillstand keine Option sei. Deutschland müsse widerstandsfähiger, digitaler und geopolitisch souveräner werden, so sein Appell.
Mit Blick auf die nationale KI-Strategie stellte Merz im Interview klar, dass Deutschland bei Künstlicher Intelligenz nicht hinterherhinke. Er nannte vier zentrale Projekte: den IPAI-Campus Heilbronn, die JUPITER AI Factory in Jülich, das geplante Google-Engagement in Deutschland sowie die Bewerbung um eine sogenannte „KI-Gigafactory“.
Der von Merz lediglich skizzierte Verweis auf zentrale KI-Infrastrukturprojekte bleibt vage – wir blicken für Sie auf die genannten Vorhaben: Der IPAI-Campus in Heilbronn soll zu einem führenden europäischen Innovationsstandort für Künstliche Intelligenz ausgebaut werden – mit einem geplanten Investitionsvolumen von rund drei Milliarden Euro. In Jülich entsteht mit der JUPITER AI Factory ein Zugangsknoten für Europas ersten Exascale-Supercomputer, der insbesondere Start-ups und mittelständischen Unternehmen Zugang zu Hochleistungs-KI-Rechenleistung ermöglichen soll.
Google plant den Ausbau seiner Rechenzentrums-Infrastruktur in Deutschland, unter anderem an den Standorten Berlin und Hanau. Zudem bewirbt sich der Freistaat Bayern aktiv um den Zuschlag für eine nationale KI-Gigafactory – ein Mega-Rechenzentrum für KI-Anwendungen und datenintensive Industrien, das sich derzeit in der Konzeptionsphase befindet.
Zentrale Säulen der KI-Strategie seien laut Merz der flächendeckende Ausbau von Hochleistungsrechenzentren sowie der Aufbau moderner Kraftwerke – zunächst auf Gasbasis, langfristig mit Wasserstofftechnologie. Ziel sei eine leistungsfähige und nachhaltige digitale Infrastruktur.
Ein weiteres Schlüsselthema seiner Rede: Souveränität. Deutschland müsse wirtschaftlich unabhängiger werden – insbesondere in den Bereichen Stahl, Pharma und Technologie. Die drastischen Lieferengpässe während der Corona-Krise hätten die Verwundbarkeit offengelegt. "Das ist nicht akzeptabel", betonte der Kanzler.
Auch Europa sieht Merz in der Pflicht: Deutschland und Frankreich müssten enger kooperieren, Polen sei stärker in den strategischen Dialog einzubinden. Zudem knüpfe er bewusst wieder an Großbritannien an. Ein starker europäischer Kapitalmarkt sei unerlässlich, damit Start-ups nicht mehr ins Ausland abwandern. Das Ziel: Innovationen im Land halten – und skalieren.
Sein Schlusswort fiel selbstbewusst aus: „Glas ist halb voll und nicht halb leer." Auf die Frage, ob die Koalition bis zum kommenden Jahr Bestand haben werde, antwortete Merz, er werde alles tun, um sie nicht nur im Amt zu halten, sondern zu einem Erfolg zu führen.
Welche Rolle spielt Europa in der neuen Weltordnung?
Im anschließenden Panel "Schafft Deutschland die Wende?“ diskutierten führende Köpfe aus Wirtschaft und Wissenschaft über die aktuelle Lage. Die zentrale Frage: Ist Deutschland überhaupt reformierbar?
Bereits zum Auftakt erinnerte Moderatorin Lisa Nienhaus an einen markanten Satz von Friedrich Merz aus Oppositionszeiten: "Selbstverständlich kann man die Schuldenbremse reformieren." Heute sei daraus zumindest eine Lockerung geworden, doch die strukturellen Herausforderungen blieben bestehen.
Roland Busch, CEO von Siemens, zeigte sich einerseits investitionsbereit, warnte aber vor überbordender Regulierung, fragmentierten Datenräumen und schleppenden Entscheidungswegen in Europa: "Wir verlieren jeden Tag an Produktivität. Wenn wir Innovation nicht zulassen, werden andere Regionen den Takt vorgeben." Siemens investiere zwar weiterhin stark in Deutschland – etwa in Erlangen oder in KI-Anwendungen – doch ein Großteil neuer Projekte gehe mittlerweile in die USA und nach China.
Melanie Kehr von der KfW mahnte eine Neuausrichtung für den Mittelstand an. Bürokratie sei das zentrale Wachstumshemmnis: "Sieben Prozent der Arbeitszeit gehen im Mittelstand allein für Verwaltungsaufwand drauf.“ Nachfolgeregelungen und gezielte Entlastung könnten hier wichtige Hebel sein.
Tobias Vogel, CEO UBS Europe, sprach von einer Ernüchterung nach anfänglicher Euphorie zur Ampel-Politik: "Die internationale Investorenstimmung ist vorsichtig optimistisch, aber die Dynamik hat nachgelassen." Er forderte konkrete Strukturreformen, etwa zur Altersvorsorge und Kapitalmarktunion.
Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrats, machte deutlich: "Wir brauchen nicht nur Wachstum, sondern effektive Innovationspolitik. Bürokratieabbau darf kein Schlagwort bleiben." Besonders im Bereich Künstliche Intelligenz würden Potenziale verspielt, weil Daten nicht genutzt oder nicht verknüpft werden dürfen. Das behindere neue Produkte und Produktivitätsgewinne.
Eine Live-Umfrage unter dem Publikum zeigte ähnliches Stimmungsbild: Bürokratie, fehlende Digitalisierung und Regulierung wurden als größte Bremsklötze identifiziert. Einigkeit herrschte unter den Panel-Gästen: Deutschland hat Substanz und Chancen – doch es braucht Tempo.
Fortschritt, Friktionen und Führung in der Transformation
One-on-One: Führung in unberechenbaren Zeiten
Trumpf-CEO Nicola Leibinger-Kammüller sprach über modernes Leadership. Vertrauen, Langfristigkeit und Haltung seien entscheidend – gerade in Familienunternehmen.
Panel: Der Trump-Schock – was bedeutet er für die deutsche Wirtschaft?
Mit Blick auf die zweite Amtszeit von Donald Trump diskutierten Simone Menne (AmCham), Martin Richenhagen (Daimler Truck AG), Peter Leibinger (BDI) und Stefan Beismann (DZ Bank) über geopolitische Risiken. Konsens: Handelsbarrieren und Unsicherheiten gefährden Exporte, Investitionen und Lieferketten.
Diskussion: Verliert Europa das Rennen um die KI?
Semjon Rens (Meta) forderte im Interview mit Ulrich Schäfer einheitliche Regeln und pragmatischen Umgang mit Daten. Europas Wettbewerbsfähigkeit hänge am regulatorischen Takt.
Gemischtes Doppel: Die Zukunft des Bauens
Verena Hubertz (SPD) und Dominik von Achten (Heidelberg Materials) forderten Reformen im Baurecht. Hubertz will Bebauungspläne binnen drei Monaten, von Achten sieht ausreichend Technologie – aber fehlenden politischen Willen.
Panel: Deutschland innovativ – wie wecken wir den Erfindergeist?
Mit Henrik Ahlers (EY), Annette Kraus (Siemens), Rafael Laguna de la Vera (SPRIND) und Milena Roveda (Gauss Fusion) ging es um Scheiterkultur und Innovationshemmnisse. Roveda klagte: "Die Bürokratie killt uns."
CEO-Talk: Die Roboter der Zukunft
Christoph Schell (KUKA) betonte, dass Europa in der Robotik nicht den Anschluss verlieren dürfe – Geschwindigkeit sei essenziell.
Panel: Wie geht es weiter mit der grünen Wirtschaft?
Ilse Henne (thyssenkrupp) forderte politische Unterstützung für heimischen grünen Stahl. Felix Plog (Thermondo) mahnte: "Ohne günstigeren Strom kein Wärmepumpen-Boom."
Gemischtes Doppel: Emissionsfreie Wirtschaft – Erfolgsfaktor oder Ding der Unmöglichkeit?
Katharina Dröge (Grüne) und Stefan Klebert (GEA Group) diskutierten kontrovers. Klebert kritisierte das Atom-Aus, Dröge verteidigte Stromimporte. Sie bezeichnete Technologieoffenheit als "Kampfbegriff" zur Verlängerung fossiler Energiepolitik.
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