BGH urteilt pro Aktionärsrechte
Dieselskandal bei VW: Bundesgerichtshof erklärt Vergleiche für nichtig

| Redaktion 
| 30.09.2025

Zehn Jahre Dieselskandal und kein Ende in Sicht: Der Bundesgerichtshof hat einen Beschluss der Volkswagen-Hauptversammlung von 2021 für nichtig erklärt, der einen Schlussstrich unter das ruhmlose Kapitel ziehen sollte. Das Urteil wird als Stärkung der Aktionärsrechte wahrgenommen und zwingt den Konzern, die Vergleiche neu zu prüfen. Auch die Einigungen mit Martin Winterkorn und Rupert Stadler stehen zur Diskussion.

Mitte des Monats "feierte" der Dieselskandal bei Volkswagen sein zehnjähriges Jubiläum, wie wir passend dazu aufgegriffen haben. Thema war beim Rückblick auch die nicht endende Natur der größten deutschen Automobilaffäre, insbesondere auf juristischer Seite.

Dieser Aspekt wird durch eine aktuelle Nachricht aus Karlsruhe noch einmal deutlich unterstrichen: Der Bundesgerichtshof hat den Beschluss der VW-Hauptversammlung zur Sache aus dem Jahre 2021 am Dienstag für nichtig erklärt.

Das war der Vergleich von 2021

Auf jener Hauptversammlung vor vier Jahren stand vor allem die Frage im Raum, ob frühere Vorstände für milliardenschwere Risiken haften sollten. Letztlich stimmten die VW-Aktionäre einem umfassenden Vergleich im Dieselskandal zu:

Volkswagen einigte sich mit den Haftpflichtversicherern der betroffenen Manager darauf, dass diese 270 Millionen Euro an den Konzern zahlen, um mögliche Schadensersatzforderungen aus dem Dieselskandal abzudecken.

Zudem wurden Einzelvergleiche getroffen, laut denen Martin Winterkorn 11,2 Millionen Euro und Rupert Stadler 4,1 Millionen Euro Eigenbeitrag zusteuern sollten. Im Gegenzug erklärte sich VW dazu bereit, auf weitere Ansprüche gegen rund 170 frühere und aktuelle Manager zu verzichten.

Aktionärsrechte setzen sich durch

Trotz einer Mehrheit von gut 99 Prozent in der Hauptversammlung kam es zur Klage gegen den Beschluss; einegereicht durch eine Kapitalanlegerschutzvereinigung. Entsprechende Vereine treten als Aktionäre auf und halten oftmals gerade genug Aktien, um klageberechtigt zu sein.

Ihr Ziel ist es, Beschlüsse der Hauptversammlung überprüfen zu lassen, wenn der Verdacht aufkommt, dass Aktionärsrechte verletzt oder Informationen verschwiegen wurden. Die Klage vor dem Landgericht wurde genauso abgewiesen wie die anschließend vor dem Oberlandgericht eingelegte Berufung.

"True Volkswagen" ist inzwischen auch ein schier endloses juristisches Nachspiel der Abgas-Affäre. In den damaligen Skandal waren jedoch weder der heutige CEO Thomas Schäfer noch der ID. CROSS Concept, hier zu sehen auf der diesjährigen IAA Mobility, verwickelt (Bild: Volkswagen)
"True Volkswagen" ist inzwischen auch ein schier endloses juristisches Nachspiel der Abgas-Affäre. In den damaligen Skandal waren jedoch weder der heutige CEO Thomas Schäfer noch der ID. CROSS Concept, hier zu sehen auf der diesjährigen IAA Mobility, verwickelt (Bild: Volkswagen)

Allerdings haben sich Beharrlichkeit und der Gang vor den Bundesgerichtshof für die Initiatoren gelohnt: Dessen II. Zivilsenat hat der Revision "in wesentlichen Punkten Erfolg" eingeräumt und die Zustimmung zum Deckungsvergleich "wegen eines Gesetzesverstoßes anfechtbar und für nichtig" deklariert.

Unklare Tagesordnungspunkte führen zum Urteil

Dabei geht es dem Bundesgerichtshof im Kern nicht einmal um den Vergleich selbst: "In der Tagesordnung, die in der Einberufung zur Hauptversammlung angegeben war, wurde nicht den Anforderungen entsprechend mitgeteilt, dass mit dem Deckungsvergleich ein Verzicht gegenüber sämtlichen amtierenden und ausgeschiedenen Organmitgliedern der Beklagten verbunden war, der der Zustimmung der Hauptversammlung bedurfte", heißt es aus der Begründung.

Demnach habe der "durchschnittliche Aktionär" nicht damit rechnen müssen, dass der weitreichende Verzicht auf Ansprüche gegen zahlreiche Manager lediglich in den ergänzenden Erläuterungen zur Tagesordnung versteckt war.

"Der BGH hat heute die Aktionärsrechte gestärkt", wird Rechtsanwalt Oliver Wilken im Handelsblatt zitiert. Er vertritt die klagende Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) im Rechtsstreit und erklärt: "Eine unklare oder unbestimmte Beschreibung von Tagesordnungspunkten in einer Einladung zur Hauptversammlung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen – dies ist kein Bagatellverstoß."

VW muss Vergleiche neu verhandeln

Für Volkswagen ist das Urteil des BGH ein abermaliger Rückschlag: Der Konzern muss die gescheiterten Vergleiche mit den Versicherern neu verhandeln und gleichzeitig sicherstellen, dass die Aktionäre diesmal vollumfassend über eventuelle Ausgänge informiert werden. Auch die Einigungen mit Martin Winterkorn und Rupert Stadler stehen wieder zur Disposition und werden vor Gericht neu geprüft.

Damit sieht sich VW vor der Aufgabe, die Haftungsfragen in einem Umfeld, das von juristischer Unsicherheit und öffentlichem Druck geprägt ist, neu aufzurollen. Will der Konzern den Dieselskandal wirklich abschließen, bedarf es einer Lösung, die sowohl den Anforderungen der Justiz als auch den Transparenzansprüchen der Aktionäre standhält. Der seit Jahren herbeigesehnte Schlussstrich unter den Dieselskandal ist damit abermals weiter in die Ferne gerückt.

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