Saisonale Prognosen
Neue KI sagt Hitzewellen bis zu sieben Wochen voraus

Die Erde schwitzt – länger, öfter und gefährlicher. Forschende am Euro-Mediterranen Klimazentrum haben eine KI entwickelt, die extreme Hitzewellen bis zu sieben Wochen vorher erkennt. Gelingt der Sprung in die Praxis, gewinnen Behörden, Medizin und Landwirtschaft wertvolle Zeit.

2003, 2010, 2022: drei Sommer, an die sich Europa ungern erinnert – mit zehntausenden Toten, Ernteverlusten und überlasteten Notaufnahmen. Genau hier setzt die neue Methode an. Während klassische Saisonprognosen meist nur andeuten, ob es wärmer als üblich wird, versucht die KI präziser zu sein: wann, wo und mit welcher Stärke extreme Hitze wahrscheinlich zuschlägt. Besonders in Nordeuropa, wo traditionelle Modelle bislang schwächeln, meldet das Team von CMCC (Euro-Mediterranean Centre on Climate Change) messbare Fortschritte.

Gefüttert wird der Algorithmus mit rund 2.000 Klimasignalen – Luft- und Ozeandaten, Bodenfeuchte, großräumige Strömungsmuster, wie Studienautor Dr. McAdam gegenüber Euronews erklärt. Aus diesem Rauschen filtert die Maschine Muster heraus, die dem Eintreffen einer Hitzewelle verlässlich vorausgehen, und übersetzt sie in Karten für ganz Europa. Nebenbei entsteht ein nützlicher Nebeneffekt: Forschende sehen, welche Umweltvariablen die Extreme tatsächlich treiben – hilfreich für Anpassungsstrategien vom Acker bis zum Stromnetz.

Trainingsdaten aus virtuellen Jahrhunderten

Weil detaillierte Messreihen kaum weiter als ein paar Jahrzehnte zurückreichen, bekam die KI ein ungewöhnliches Trainingslager: virtuelle Jahrhunderte. Das Team nutzte Computersimulationen historischer Klimata von Jahr 0 bis 1850 und verschaffte dem Modell so Hunderte zusätzliche Lernjahre. Trotz der synthetischen Daten konnte die KI ihr Wissen auf die Gegenwart übertragen und Hitzewellen zwischen 1993 und 2016 treffsicher nachzeichnen.

Der praktische Gewinn ist greifbar. Sieben Wochen Vorlauf erlauben Landwirten, Bewässerung und Erntefenster zu planen, Netzbetreibern, Lastspitzen zu dämpfen, und Kliniken, Personal sowie Hitzeschutzräume rechtzeitig aufzustocken. Frühwarnung bedeutet weniger Hektik, weniger Ausfälle, weniger vermeidbare Todesfälle. Und sie wird erschwinglicher: Im Vergleich zu den rechenintensiven Atmosphärenmodellen klassischer Prägung kommt die neue Methode mit einem Bruchteil der Rechenleistung aus – mehr Behörden und Forschungsteams könnten sie nutzen. Der ökologische Fußabdruck großer Rechenzentren bleibt ein Thema, doch die Zugangsschwelle sinkt.

Der lange Weg zu gelebtem Schutz

Offen ist, wie schnell sich die Signale in amtliche Warnketten und konkrete Maßnahmen übersetzen lassen. Regionale Anpassungen, klare Schwellenwerte, wer wann was auslöst – von der Wasserversorgung bis zum Hitzetelefon – entscheiden darüber, ob aus guter Forschung gelebter Schutz wird. Die Autorinnen und Autoren betonen selbst, dass dies ein erster Schritt sei: maschinelles Lernen als Baustein für interpretierbare, physikalisch sinnvolle Klimavorhersagen – nicht als Black Box.

Der Ansatz ist skalierbar. Was für Hitze funktioniert, lässt sich grundsätzlich auf andere Extreme übertragen: Fluten, Dürren, vielleicht auch langanhaltende Kälteperioden. Wenn die Lernmaschine hält, was sie verspricht, plant Europa seine Sommer nicht mehr im Blindflug – und hat im besten Fall das, was bisher fehlte: Zeit.

Kommentar veröffentlichen

* Pflichtfelder.

leadersnet.TV