Die Westwing Personalchefin im Interview
Miriam Sternitzky: "Kultur ist kein Feelgood-Thema, sondern ein echter Wettbewerbsvorteil"

Als Chief People Officer der Westwing Group trägt Miriam Sternitzky die Verantwortung für alle strategischen Themen rund um Menschen, Kultur und Wachstum. Im Interview mit LEADERSNET spricht sie über People & Culture, Vertrauen und Performance – und darüber, wie eine Erkrankung ihr eigenes Führungsverständnis nachhaltig verändert hat.

LEADERSNET: HR galt lange als Verwaltungseinheit. Heute heißt es "People & Culture". Nur ein neues Etikett – oder ein radikal neues Verständnis von Führung und Zusammenarbeit?

Miriam Sternitzky: People & Culture ist für mich weit mehr als eine moderne Bezeichnung für HR. Es geht nicht darum, Prozesse zu verwalten, sondern darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Menschen und Teams ihr volles Potenzial entfalten können – im Einklang mit dem, was das Business wirklich braucht. "Culture" ist dabei kein Soft-Faktor, sondern die Grundlage für Performance. Unsere Kultur bei Westwing ist stark performanceorientiert, aber gleichzeitig menschlich. Wir wollen ambitionierte Ziele erreichen – und das auf eine Art, die respektvoll, transparent und echt ist.

LEADERSNET: Wie übersetzen Sie dieses Verständnis von People & Culture in den Alltag bei Westwing?

Miriam Sternitzky: People & Culture denkt aus dem Business heraus. Wir sind Sparringspartner der Geschäftsführung, Enabler der Führungskräfte und Gestalter eines Umfelds, in dem Leistung Spaß macht, weil sie Sinn ergibt. Bei Westwing bedeutet das: Wir messen den Impact unserer Initiativen genauso wie jede andere Business Unit. Recruiting ist kein Prozess, sondern ein Wachstumstreiber. Performance Management ist kein Pflichtprogramm, sondern unser stärkstes Steuerungsinstrument. Und Kultur ist kein Feelgood-Thema, sondern ein echter Wettbewerbsvorteil.

LEADERSNET: Dieses Verständnis prägt sicher auch, wie Sie Führung verstehen – was bedeutet moderne Führung für Sie persönlich?

Miriam Sternitzky: Moderne Führung ist für mich ein Balanceakt zwischen Klarheit und Empathie. Es geht nicht darum, allen zu gefallen, sondern darum, Menschen zu fordern und zu fördern – mit Radical Candor: caring personally while challenging directly. Gute Führung heißt, Erwartungen glasklar zu machen, Feedback in beide Richtungen zu geben und Verantwortung zu übernehmen – auch für unbequeme Entscheidungen. Gleichzeitig braucht es Vertrauen, damit Menschen mutig sind und sich entwickeln können. Führung ist kein Titel, sondern eine Haltung.

LEADERSNET: Gab es einen Moment, der Ihr Führungsverständnis nachhaltig geprägt hat?

Miriam Sternitzky: Ja, den gab es – und ehrlich gesagt war er alles andere als glamourös. Ich hatte eine stressbedingte Gastritis. Mein Körper hat mir ziemlich deutlich gezeigt, dass ich zu lange auf "funktionieren" gestellt war. Ich wollte alles gleichzeitig schaffen, stark wirken, immer Lösungen haben – und habe dabei komplett übersehen, dass Stärke auch heißt, sich Hilfe zu holen. Dieser Moment hat mein Führungsverständnis nachhaltig verändert. Ich habe gelernt, dass Verletzlichkeit kein Zeichen von Schwäche ist, sondern von Selbstbewusstsein. Dass es okay ist, nicht immer alles im Griff zu haben, und dass genau das Verbindung schafft – zu Menschen, zu Teams, zu sich selbst. Seitdem sehe ich Führung nicht mehr als Rolle, sondern als Beziehung. Und die lebt von Vertrauen, nicht von Kontrolle.

LEADERSNET: Wenn Führung Beziehung bedeutet – wie verändert das den Blick auf Talente und deren Erwartungen an Arbeitgeber?

Miriam Sternitzky: Talente wollen heute vor allem Sinn, Entwicklung und Echtheit. Sie wollen wissen, wofür sie arbeiten und ob ihre Arbeit einen Unterschied macht. Gleichzeitig erwarten Unternehmen Commitment, Ownership und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Ich finde, das ist ein fairer Deal – aber er funktioniert nur, wenn beide Seiten ehrlich sind. Wir bei Westwing sind sehr klar in unseren Erwartungen. Das zieht die richtigen Menschen an – und schreckt auch manche ab. Und das ist völlig okay.

LEADERSNET: Westwing ist in den letzten Jahren stark gewachsen – welche People-Strategien haben Sie entwickelt, um Kultur und Wachstum in Einklang zu halten?

Miriam Sternitzky: Unsere größte Herausforderung war, die Kultur skalierbar zu machen. Wachstum darf nicht auf Kosten von Klarheit, Qualität oder Leadership gehen. Wir haben deshalb in Strukturen investiert, die Transparenz schaffen – von klaren Performance-Prozessen bis hin zu Leadership-Trainings, die Radical Candor und Business Acumen verbinden. Gleichzeitig feiern wir unsere Kultur aktiv: Wir erzählen echte Westwing Stories, zeigen, wie unsere Werte im Alltag gelebt werden, und machen Erfolg sichtbar. Kultur lebt durch Vorbilder – nicht durch Folien.

LEADERSNET: Wachstum, Kultur und jetzt KI – wie verändert sich HR in einer zunehmend datengetriebenen Welt? Wo bleibt dabei der Mensch?

Miriam Sternitzky: Ich liebe Daten. Sie geben uns die Möglichkeit, Entscheidungen objektiv zu treffen und Prioritäten richtig zu setzen. Aber Daten ersetzen kein Urteilsvermögen. KI kann Prozesse beschleunigen, Muster erkennen, Prognosen verbessern – aber sie ersetzt nicht das Zuhören, die Intuition und das Verständnis für Menschen. Der Schlüssel liegt im Zusammenspiel: datenbasiert entscheiden, menschlich handeln.

LEADERSNET: Wie schaffen Sie es, in einem internationalen Team von über 1.400 Menschen Daten und Kultur zu verbinden?

Miriam Sternitzky: Indem wir Kultur nicht vorschreiben, sondern erlebbar machen. Unsere Culture Code Principles sind wie ein Kompass – aber jedes Team bringt seine eigene Nuance ein. Entscheidend ist, dass unsere Führungskräfte sie vorleben. Wir investieren viel in Leadership-Alignment, regelmäßige Austauschformate und gemeinsame Rituale. Kultur entsteht nicht durch Kommunikation, sondern durch Konsistenz.

LEADERSNET: Welche Kompetenzen werden für Führungskräfte in den nächsten Jahren entscheidend – gerade in einem volatilen Marktumfeld?

Miriam Sternitzky: Ich glaube, drei Dinge: Erstens, Business Acumen – man muss das Geschäft wirklich verstehen. Zweitens, Resilienz – denn Veränderung ist die neue Konstante. Und drittens, Mut zur Klarheit – gerade in unsicheren Zeiten ist es verführerisch, sich hinter Ambiguität zu verstecken. Aber Leadership bedeutet, Position zu beziehen.

LEADERSNET: Wie gehen Sie persönlich mit dem Spannungsfeld zwischen Empathie und Ergebnisorientierung um?

Miriam Sternitzky: Ich sehe darin keinen Widerspruch. Empathie bedeutet nicht, Entscheidungen zu vermeiden. Es bedeutet, sie respektvoll zu treffen. Ich versuche, immer ehrlich und transparent zu sein – auch wenn das mal unbequem ist. Ich will, dass Menschen wissen, woran sie bei mir sind. Ich glaube, das ist das größte Zeichen von Respekt.

LEADERSNET: Viele Ihrer Posts auf LinkedIn drehen sich um Vertrauen, Transparenz und Mut. Warum sind das für Sie die entscheidenden Leadership-Qualitäten unserer Zeit?

Miriam Sternitzky: Weil sie das Fundament für echte Zusammenarbeit sind. Ohne Vertrauen keine Offenheit, ohne Transparenz kein Lernen, ohne Mut keine Veränderung. Wir leben in einer Zeit, in der Unsicherheit der Normalzustand ist. Da braucht es Führungskräfte, die nicht perfekt, sondern echt sind. Die Verantwortung übernehmen, Fehler zugeben und Haltung zeigen. Das ist Leadership, die inspiriert.

LEADERSNET: Welche Erfahrungen haben Sie als Frau in einer männerdominierten Tech-E-Commerce-Branche gemacht?

Miriam Sternitzky: Ich habe gelernt, dass man als Frau oft doppelt so klar und vorbereitet sein muss, um dieselbe Wirkung zu erzielen. Nicht intern bei Westwing, da zählen seit jeher Leistungen und Ergebnisse. Aber extern wurde ich oft in Schubladen gesteckt und unterschätzt. Aber diese Erfahrung hat mich stärker gemacht. Ich glaube aber auch: Die beste Art, Vorurteile abzubauen, ist Leistung. Ich habe nie versucht, mich anzupassen – sondern meinen eigenen Stil gefunden. Authentisch, direkt, aber immer mit Herz. Und genau das will ich auch anderen Frauen mitgeben: Du musst niemand anderes sein, um ernst genommen zu werden.

LEADERSNET: Wenn Sie an die Zukunft von Arbeit denken: Welche Entwicklungen machen Ihnen Mut?

Miriam Sternitzky: Mut macht mir, dass immer mehr Unternehmen verstehen, dass Kultur, mentale Gesundheit und Leadership keine "Nice-to-haves" sind, sondern entscheidende Erfolgsfaktoren.

LEADERSNET: Und welche Sorgen?

Miriam Sternitzky: Sorgen macht mir, dass viele trotzdem noch in alten Mustern denken – Effizienz über alles, Mensch als Kostenfaktor. Ich hoffe, dass wir lernen, dass nachhaltiger Erfolg nur entsteht, wenn beides stimmt: Performance und Menschlichkeit.

LEADERSNET: Was ist für Sie persönlich ein starkes Team?

Miriam Sternitzky: Ein starkes Team ist für mich eines, das ehrlich miteinander ist. Wo Menschen sich gegenseitig fordern, unterstützen und vertrauen. Wo Klarheit herrscht, Humor erlaubt ist und jeder weiß, warum er da ist. Ich habe gelernt: High Performance entsteht nicht durch Druck, sondern durch Verbindung und gemeinsame Verantwortung. Und wenn ich auf Westwing schaue, dann sehe ich genau das – ehrgeizige, leidenschaftliche Menschen, die gemeinsam etwas bewegen wollen.

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