Während der Pandemie galten Kreuzfahrten als so gut wie tot. Fünf Jahre später ist von Abgesang keine Rede mehr: Die Branche meldet Rekorde, die Schiffe wachsen in neue Dimensionen, und an der Börse gehören die großen Reedereien zu den Aufsteigern. Der Aufschwung ist real – aber er hat seinen Preis.
Vor fünf Jahren, als plötzlich alles stillstand, rutschte der Marktführer Carnival tief in die roten Zahlen, mit einem Verlust von 8,6 Milliarden Euro. Flotten lagen fest, Neubauten wurden infrage gestellt, Skeptiker sahen das Ende der Spaßschiffe gekommen. Heute wirkt das wie eine Momentaufnahme: Laut dem Verband Clia gingen im Vorjahr 34,6 Millionen Menschen an Bord der schwimmenden Paläste – 16,5 Prozent mehr als im Vorkrisenjahr 2019.
Der Boom speist sich aus einer simplen Gleichung: Ein Ticket bündelt Erholung, Erlebnis und Logistik. Nach Jahren entgangener Urlaube zahlen viele mehr für planbare Komplettpakete. Besonders US-Gäste – über die Hälfte des Weltmarkts – lieben die Freizeitparks auf hoher See; Schiffe jenseits der 6000 Passagiere erzielen überdurchschnittliche Preise.
Anleger im Freudentaumel
Die Kurven an Wall Street und Co. ziehen folglich steil an. Während der S&P 500 seit Anfang 2024 um etwa ein Drittel zulegte, kam Carnival auf +53 Prozent, Royal Caribbean auf +133 Prozent – und ist damit rund 70 Milliarden Euro wert, bei 14 Milliarden Euro Umsatz. Operative Margen von gut 25 Prozent (Royal Caribbean) und 28 Prozent (Tui Cruises) zeigen: Das Geschäftsmodell funktioniert wieder – effizienter als vor Corona.
Mit der Pandemie wechselten auch die Köpfe in den Unternehmen. An die Stelle charismatischer Langzeitlenker traten Finanzmanager, die Durchgriff zeigen. Josh Weinstein straffte bei Carnival Strukturen und Ketten von Tochterfirmen; bei Norwegian strich CEO Harry Sommer die Speisekarten zusammen – offiziell, um Qualität und Kosten in Balance zu bringen. Die Bilanz: höhere Preise, schlankere Angebote, weiterhin hohe Auslastung.
Das Mantra lautet: Größe lohnt. Ikonen wie Royal Caribbeans "Star of the Seas" fassen bis zu 7600 Passagiere; mit Crew kommen fast 10.000 Menschen zusammen. Baukosten rund 2 Milliarden Euro, angestrebte Amortisation: vier Jahre – früher galten zehn als gut. Die Logik dahinter: mehr Kabinen, mehr Bordumsatz, mehr Effizienz.
MSC mischt den Markt auf
Doch das Wachstum endet nicht an der Gangway. US-Reedereien holen die Kaufkraft an Land zu sich: Privatinseln mit Freizeitparks, Strandclubs und exklusiven Zonen binden Zeit und Geld der Gäste. Carnivals "Celebration Key" (Grand Bahama) kostet 600 Millionen Dollar, ausgelegt für zwei Millionen Besucher jährlich; Analysten kalkulieren rund 150 Millionen Euro Gewinn pro Jahr. Royal Caribbean betreibt "CocoCay", MSC "Ocean Cay" – geschlossene Wertschöpfungsketten als Geschäftsprinzip.
Neben den US-Platzhirschen drückt die italienische MSC ins Rampenlicht: aggressive US-Expansion, eigener Mega-Terminal in Miami, Privatinsel auf den Bahamas – und Preise, die den Wettbewerb nervös machen. In der Gerüchteküche köchelt bereits ein Gigant, der die Icon-Klasse in den Schatten stellen soll.
Genau dort liegt die offene Flanke. Viele begehrte Hafenstädte ächzen unter Tagesgästen. Abgaben und Hafengebühren (oft 80.000–90.000 Euro pro Anlauf) spülen Geld in Kassen, lösen aber nicht das Problem von Staus, Müll und Lärm. Manche Städte verbannen die Schiffe aus den Zentren (Venedig, Amsterdam), andere steuern mit Kontingenten gegen – und genehmigen parallel neue Terminals (Barcelona).
Außerdem fallen Routen zeitweise aus - etwa durch Schwarze Meer, das Rote Meer oder nach Israel; Verlegungen um Afrika kosten Zeit und Geld. Dazu kommt die Umweltfrage: Landstrom, LNG oder Methanol sind zwar Fortschritte, aber das Ziel Netto-Null bis 2050 bleibt ambitioniert. Einzelne Vorstöße – von ersten vollelektrischen Konzepten bis zu Biokraftstoffen – zeigen Richtung, sind aber noch weit von der Fläche entfernt.
Unterm Strich jedoch hat die Branche ihr Image vom Auslaufmodell abgeschüttelt. Sie wächst, verdient zweistellig an der Marge und bindet Umsätze in einem zunehmend geschlossenen Ökosystem aus Megaschiffen und Privatinseln. Doch genau darin liegen auch die Risiken: Akzeptanz in den Häfen, Klimaziele, geopolitische Unsicherheiten – und die Versuchung, jede Grenze noch einmal zu verschieben. Noch trägt die Welle. Wie lange, entscheidet sich an Land.
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