Medizinische Versorgungszentren: Profit schlägt Wohl der Patienten

Böckler-Studie kritisiert Konzentrationstendenzen und großen Einfluss von Finanzinvestoren.

Überstunden machen, Kosten senken, Erlöse steigern. Das Wohl der Patienten kommt in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in Deutschland eher an zweiter Stelle. Zu dem Schluss kommt eine neue von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Branchenanalyse. Dieser Trend sei durch starke Konzentrationstendenzen zu erklären, bei denen auch der Einstieg von Finanzinvestoren eine Rolle spielt.

Private-Equity-Gesellschaften

"Der Kostendruck wirkt sich negativ auf die Arbeitsbedingungen sowie die Vergütung der Beschäftigten in MVZ aus", verdeutlichen Katharina Schöneberg und Katrin Vitols von WMP Consult, die für die aktuelle Untersuchung rund 100 Experten befragt haben.

Seit 2004 ist die Zahl der MVZ gestiegen. Waren es im ersten Jahr 70, so gab es Ende 2020 bereits über 3800. Wie groß ihre Bedeutung für die ambulante Versorgung geworden ist, zeigt sich auch an der Zahl der dort tätigen Ärzte: Ende 2020 waren es knapp 24.000. Zum Vergleich: In Einzelpraxen waren mehr als 50.000 und in Gemeinschaftspraxen über 90.000 Ärzte beziehungsweise Psychotherapeuten tätig.

In den vergangenen Jahren sei ein zunehmender Konzentrationsprozess zu beobachten: Einzelne MVZ werden aufgekauft und zu Ketten zusammengeschlossen. Wesentliche Treiber dieser Entwicklung sind internationale Finanzinvestoren wie Private-Equity-Gesellschaften, aber auch private Kliniken und börsennotierte Gesundheitskonzerne tragen dazu bei, heißt es.

Kaufen, verschmelzen, verkaufen

Speziell Finanzinvestoren zielen laut der Studie darauf ab, mehrere MVZ aufzukaufen, zu verschmelzen und nach einer relativ kurzen Haltedauer von vier bis fünf Jahren wieder zu veräußern oder an die Börse zu bringen. Um den Gewinn bis zum Zeitpunkt des Verkaufs zu steigern, orientieren sie sich vor allem an betriebswirtschaftlichen Kennzahlen: Kosten müssen gesenkt, Erlöse gesteigert werden.

Kritiker warnen davor, dass medizinische Entscheidungen übermäßig von Kapitalinteressen beeinflusst werden. Zwar dürfen heute nur noch zugelassene Ärzte, Krankenhäuser und andere anerkannte Träger ein MVZ gründen. Finanzinvestoren umgingen dies jedoch, so die Studie, indem sie – zum Teil über verschachtelte Tochtergesellschaften – kleinere Krankenhäuser aufkaufen, um Eigentümer von MVZ zu werden.

Die Investoren bevorzugen Fachrichtungen, die als besonders lukrativ gelten. Das trifft zum Beispiel auf die Zahnmedizin zu – wegen der regelmäßigen Patientenbesuche und der Kombination von medizinisch Notwendigem mit zahlungspflichtigen Zusatzangeboten. Beliebt sind auch Radiologie, Kardiologie, Orthopädie und inzwischen die Allgemeinmedizin. Die gesamte Anzahl der MVZ in Private-Equity-Besitz gehen für das Jahr 2020 von knapp 1.000 Standorten aus, davon etwa 200 für Zahnmedizin.

www.boeckler.de

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