Was als WhatsApp für Gastronomen begann und das Berliner Startup zur Milliarden-Dollar-Bewertung katapultierte, durchlief eine der radikalsten Unternehmenstransformationen der jüngeren deutschen Tech-Geschichte. Heute macht Choco 100 Prozent seiner Neuumsätze mit KI-Produkten – ein Wandel, der nicht nur technologisch, sondern vor allem menschlich herausfordernd war.
LEADERSNET: Choco verbindet heute mehr als 80.000 Restaurants mit über 30.000 Großhändlern in globalen Metropolen. Können Sie uns anhand einer konkreten Anekdote schildern, wie Ihre Plattform in der Praxis die Lebensmittellieferkette effizienter und nachhaltiger macht?
Daniel Khachab: Ein konkretes Beispiel stammt aus unserer Zusammenarbeit mit Innstolz, einem bayerischen Großhändler. Früher wurden dort vier bis fünf Stunden damit verbracht, große Bestellungen von Restaurants und Kantinen manuell einzugeben. Mit der KI von Choco werden dieselben Bestellungen in nur 20 Minuten bearbeitet. Diese Zeit kann nun in Kundenbeziehungen, Beratung und Umsatzsteigerung reinvestiert werden. So gehen Effizienz und Nachhaltigkeit Hand in Hand: weniger manuelle Arbeit, weniger Fehler, schnellere Lieferungen und letztendlich weniger Lebensmittelverschwendung.
LEADERSNET: Das ist beeindruckend – doch diese Transformation muss schmerzhaft gewesen sein. Choco wurde einst als "WhatsApp für Gastronomen" gefeiert, heute machen Sie 100 % der neuen Umsätze mit KI-Produkten. Ich frage mich: Gibt es trotzdem einen Teil in Ihnen, der diese "alte Choco"-Welt vermisst – oder ist Nostalgie im Unternehmertum schlichtweg ein Luxus, den man sich nicht leisten darf?
Daniel Khachab: Natürlich überkommt einen eine gewisse Nostalgie, wenn man an die Anfänge eines Unternehmens denkt – sie waren voller Energie, Chaos und Entdeckungen. Doch als Gründer kann man es sich nicht leisten, an der Vergangenheit festzuhalten. Das ‚alte Choco‘ war damals genau richtig, aber heute zählt, jeden Tag am ‚Choco von morgen‘ zu arbeiten. Unsere Mission ist unverändert – nur setzen wir sie jetzt mit KI um: die globale Lebensmittelversorgungskette zu transformieren. Dafür müssen wir die Nostalgie hinter uns lassen und uns immer wieder neu erfinden.
LEADERSNET: Sie sprechen von ständiger Neuerfindung – und das in turbulenten Zeiten. Sie wurden 2020 als "Gründer des Jahres" ausgezeichnet. Seitdem hat sich die Welt mehrfach gedreht – Pandemie, Lieferkettenkrise, KI-Explosion. Wenn Sie heute auf diese vier Jahre zurückblicken: Welche Ihrer damaligen Überzeugungen würden Sie heute über Bord werfen? Was hat Sie die Krise über das Unternehmertum gelehrt?
Daniel Khachab: 2020 dachte ich noch, Wachstum sei der wichtigste Maßstab für Erfolg. Heute – nach Pandemie, Lieferkettenstörungen und KI-Revolution – weiß ich: Resilienz und Anpassungsfähigkeit sind genauso entscheidend. Unternehmen, die sich nicht schnell genug anpassen – technologisch wie kulturell – werden nicht bestehen. Genau deshalb haben wir Choco radikal zu einem KI-orientierten Unternehmen weiterentwickelt. Am Ende zählt nur eines: für unsere Kunden der verlässlichste Partner zu sein. Das ist unser oberstes Ziel.
LEADERSNET: Das klingt nach einer sehr rationalen Herangehensweise. Doch in früheren Interviews haben Sie überraschend offen über schlaflose Nächte und existenzielle Ängste gesprochen. Das bricht völlig mit dem Bild des unerschütterlichen "Unicorn-Gründers", den wir aus den Medien kennen. Was treibt Sie dazu, diese verletzliche Seite öffentlich zu zeigen – und wie reagieren Ihre Mitarbeiter und Investoren auf diese ungewöhnliche Ehrlichkeit?
Daniel Khachab: Als Technologieunternehmer ist es meine Aufgabe, auf grundlegende Veränderungen in der Technologie zu reagieren. Die KI-Welle rollt sehr schnell, und um an der Spitze zu bleiben, muss man manchmal nächtelang arbeiten. Abgesehen davon spreche ich einfach gerne über die Dinge, wie sie sind, über das Gute und das Schlechte.
LEADERSNET: Heute machen Sie nach eigenen Aussagen 100 % der neuen Umsätze mit KI-Produkten. Können Sie ein Beispiel geben: Wie genau verdient Choco mit einem typischen KI-Feature Geld – zahlen Kunden pro Transaktion, pro Lizenz oder als SaaS-Modell?
Daniel Khachab: Wir arbeiten mit einem Abo-Modell im SaaS-Stil: Unsere Kunden zahlen jeden Monat einen festen Betrag und können so den ROI unserer KI und der gesamten Choco-Lösung einfacher kalkulieren. Anders als viele andere Anbieter rechnen wir nicht nach Nutzung ab – denn mit einem Abonnement können unsere Kunden viel besser planen.
LEADERSNET: In klassischen B2B-SaaS-Modellen liegt der ARPU (Average Revenue per User) oft zwischen 1.000 und 10.000 Euro jährlich. Wo liegt Choco mit seinen KI-Produkten – und wie skalierbar ist dieses Modell über Märkte hinweg?
Daniel Khachab: Unsere Kunden reichen von kleineren Betrieben mit rund 5 Millionen Umsatz bis zu den größten Playern mit 30 Milliarden. Entsprechend variiert auch der ARPU – je nachdem, wie aufwendig die Implementierung für uns ist. Im Kern funktioniert Lebensmittelverteilung weltweit gleich: Ein Unternehmen kauft große Mengen ein und verkauft sie in kleineren Mengen an Restaurants weiter. Doch obwohl es die älteste Branche der Welt ist – Menschen essen schließlich seit jeher –, läuft sie noch immer erstaunlich manuell und papierbasiert. Genau hier setzen wir an: Wir bringen diese globale Branche ins KI-Zeitalter. Heute schafft unsere Plattform bereits in Europa, den USA und im Nahen Osten echten Mehrwert – und das ohne regionale Neuentwicklung.
LEADERSNET: Sie sprechen von "echtem Mehrwert" – das ist das Stichwort. Viele KI-Startups kämpfen heute mit dem berüchtigten "Value Capture"-Problem: Sie entwickeln beeindruckende Technologie, aber Kunden sind am Ende nicht bereit, dafür zu zahlen. Wie stellen Sie sicher, dass Choco nicht nur "nice to have"-Features anbietet, sondern Lösungen, für die Unternehmen wirklich ihr Portemonnaie öffnen?
Daniel Khachab: Ich mag die Analogie zwischen Vitaminen und Schmerzmitteln: Vitamine sind gut, man nimmt sie mal, mal nicht – sie sind optional. Schmerzmittel dagegen lösen ein akutes Problem. Genau darauf konzentrieren wir uns bei unseren Kunden: Arbeitskräftemangel, knappe Margen, notwendiges Wachstum, Rentabilität, Liquiditätsengpässe – all das ist nicht optional. Für die kleinsten Distributoren hat das bereits über 100.000 Euro zusätzlichen Jahresumsatz bedeutet – genug für neue Lkw, Mitarbeiter und Wachstumsmöglichkeiten. Bei den größten Distributoren sprechen wir sogar von Millionen. Das ist kein ‚nice-to-have‘, sondern es hat klar messbare geschäftliche Auswirkungen. Dafür sorgt auch unser Customer-Success-Team, das eng mit jedem Kunden zusammenarbeitet. Es stellt sicher, dass Händler ganz konkret sehen, wie Choco ihren Betrieb und ihr Wachstum voranbringt – und übersetzt Produktakzeptanz in einen messbaren Wert.
LEADERSNET: Plattform-Ökonomie lebt oft von Netzwerkeffekten. Haben Sie Preismodelle, die solche Effekte verstärken – etwa Rabatte oder Freemium, wenn mehrere Partner der Lieferkette gleichzeitig Choco einsetzen?
Daniel Khachab: Wir arbeiten derzeit weder mit Freemium- noch mit Mehrparteien-Rabattmodellen. Was wir aber haben, ist ein Empfehlungssystem, das sich für unsere Vertriebspartner sehr bewährt hat: Bringen sie andere Partner zu Choco, profitieren am Ende alle – durch ein stärkeres Netzwerk und eine reibungslosere Zusammenarbeit. Eine einfache Möglichkeit, die Akzeptanz zu steigern und zugleich unser Preismodell transparent und berechenbar zu halten.
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