Der Plasmaphysiker im Interview
Hartmut Zohm: "Fusion ist möglich – aber fürchterlich schwer"

Die Kernfusion gilt als eines der großen wissenschaftlichen Versprechen unserer Zeit: nahezu unerschöpfliche, saubere Energie – und doch seit Jahrzehnten "noch nicht ganz soweit". Einer, der diese Gratwanderung zwischen Vision und Realität wie kaum ein anderer kennt, ist Hartmut Zohm.

Der in Freiburg geborene Plasmaphysiker leitet am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching die Tokamak-Szenarioforschung, forscht mit Anlagen wie ASDEX Upgrade an den Grundlagen für ITER und den geplanten Nachfolger DEMO und zählt weltweit zu den prägenden Stimmen seines Fachs. Ausgezeichnet mit internationalen Preisen, Mitgestalter wegweisender Experimente und erklärter Optimist in Sachen Fusionsenergie, bewegt sich Zohm stets an der Schnittstelle von Grundlagenforschung und Zukunftsvision. Im Gespräch mit LEADERSNET erklärt er, warum wir "im Prinzip" schon wissen, wie Kernfusion funktioniert – und welche Hürden dennoch bleiben, bevor aus der Vision ein Kraftwerk wird.

LEADERSNET: Wenn Sie an Ihre Arbeit am Tokamak und Projekten wie ITER oder DEMO denken – braucht die Kernfusion heute mehr Vorstellungskraft oder mehr nüchterne Ingenieurskunst?

Hartmut Zohm: Ehrlich gesagt, die Zeit der reinen Vorstellungskraft ist vorbei. Vor 30, 40 Jahren war vieles noch Vision, eine Idee am Horizont. Heute wissen wir ziemlich genau, was wir tun müssen. Natürlich braucht es immer noch Grundlagenforschung und Physik, aber der Schwerpunkt liegt zunehmend auf Ingenieurskunst. Das heißt aber nicht, dass wir alles wüssten und es nur noch "gebaut werden" müsste. Die Herausforderung ist nach wie vor groß – nur anders als früher.

LEADERSNET: Diese Forschung verschlingt enorme Summen – in einer Zeit, in der überall gespart wird. Kritiker fragen: Warum Milliarden in eine Technologie investieren, die angeblich seit den 1950ern immer nur "30 Jahre entfernt" ist?

Hartmut Zohm: Zunächst: Die oft genannten 22 Milliarden Euro für ITER sind keine Einmalzahlung, sondern über 10 bis 15 Jahre verteilt. Zum Vergleich: Das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz hat allein 2019 rund 25 Milliarden Euro an Subventionen für Solarenergie gekostet – jedes Jahr. Und auch das war gut investiertes Geld, weil es den Ausbau massiv beschleunigt hat. Das zeigt: Wenn ein Staat etwas wirklich will, sind solche Summen zwar hoch, aber machbar.
Was die berühmten "30 Jahre" betrifft: Ja, dieser Satz begleitet uns seit Jahrzehnten. Aber man muss genau hinschauen. Oft war damit gemeint: "In 30 Jahren können wir zeigen, dass es geht" – nicht, dass die Technik dann schon in großem Maßstab einsatzbereit ist. Heute sind wir deutlich weiter: ITER soll nachweisen, dass man im großen Maßstab mehr Energie gewinnt, als man ins Plasma steckt. Danach geht es um Nettoenergie im Gesamtsystem – das wäre der Schritt zu DEMO. Und bis hin zu einer breiten Energieversorgung dauert es dann noch einmal länger.

LEADERSNET: Wo liegen die größten Stolpersteine zwischen physikalischem Prinzip und industrieller Wirklichkeit?

Hartmut Zohm: Physikalisch müssen wir im großen Maßstab zeigen, dass mehr Energie herauskommt als hineingeht – genau dafür ist ITER gebaut. Technologisch ist die größte Hürde das sogenannte Tritium-Brüten im Reaktor. Dafür entsteht in Granada die Forschungsanlage "IFMIF-DONES", die in den 2030er Jahren in Betrieb gehen soll. Und die eigentliche Herausforderung von DEMO wird sein, alles zusammenzuführen: Plasma, Tritiumbrüten, Kühlung, Stabilität. Ein Kraftwerk muss über lange Zeiträume zuverlässig laufen – nicht bei jeder Abweichung abgeschaltet werden müssen.

LEADERSNET: Wird Künstliche Intelligenz diese Schritte beschleunigen?

Hartmut Zohm: Sie wird uns helfen – etwa beim Durchsuchen riesiger Datenmengen, beim Aussortieren von Optionen oder bei der Echtzeitkontrolle des Plasmas. Was KI bisher nicht leistet, ist echte physikalische Innovation. Aber bei der Steuerung von Experimenten bringt sie schon jetzt Vorteile. Wir nutzen kommerzielle und Open-Source-Systeme, um Plasmazustände schneller zu erkennen und darauf reagieren zu können. Dinge, die klassisch Minuten dauern würden, schafft KI in Echtzeit.

LEADERSNET: In Garching läuft seit 1991 der ASDEX Upgrade. Er gilt als eine der wichtigsten Vorstufen für ITER. Was war für Sie persönlich das faszinierendste oder überraschendste Ergebnis, das Sie in dieser Anlage beobachtet haben?

Hartmut Zohm: Schwer, da nur eins zu nennen – wir haben so viel gelernt. Aber am meisten beeindruckt mich die "Selbstorganisation" des Plasmas. Ein Zustand, der instabil und unberechenbar wirkt, findet plötzlich von allein in ein stabiles Gleichgewicht – ohne dass wir stark eingreifen müssen. Das fühlt sich fast wie ein Organismus an, der eine Überlebensstrategie entwickelt. Solche Zustände entdeckt man nur im Experiment, und sie zeigen, wie überraschend robust Plasmen manchmal sind.

LEADERSNET: Die Sonne fusioniert seit 4,6 Milliarden Jahren mühelos Wasserstoff zu Helium. Auf der Erde tun wir uns damit schwer. Worin liegt aus Ihrer Sicht die größte Ironie oder vielleicht auch Demut, die uns die Fusionsforschung lehrt?

Hartmut Zohm: Manchmal frage ich mich auch: Warum macht es uns die Natur so schwer? Alles ist genau an der Grenze des technisch Machbaren. ITER hat zum Beispiel einen Plasmaradius von sechs Metern. Wäre es nötig gewesen, 20 Meter zu bauen, hätten wir aufgeben müssen – wäre es mit drei Metern gegangen, hätten wir längst ein Kraftwerk. Es ist immer haarscharf machbar. Eine "Ironie" vielleicht, aber für mich eher der Beweis: Es ist möglich, aber fürchterlich komplex.

LEADERSNET: Kritiker führen an, dass Sonne und Wind längst marktreif und günstiger sind. Warum, so würden Sie sagen, lohnt es sich trotzdem, parallel Milliarden in die Kernfusion zu stecken?

Hartmut Zohm: Weil es ums Ganze geht. Wir reden hier nicht über ein Nischenprojekt für neugierige Physiker, sondern über die weltweite Energieversorgung. Heute decken die Erneuerbaren in Deutschland vielleicht 50 Prozent der Elektrizität – an guten Tagen. Aber Elektrizität macht nur ein Drittel des gesamten Primärenergiebedarfs aus. Zwei Drittel fehlen. Und alles nur mit Sonne und Wind zu schaffen, halte ich für unrealistisch. Fusion wäre eine CO₂-freie Ergänzung – eine verlässliche, planbare Energiequelle.

LEADERSNET: ITER soll ab den 2030er-Jahren erstmals mehr Energie aus der Fusion gewinnen, als hineingesteckt wird. Wie groß ist Ihr persönlicher Optimismus, dass DEMO – das geplante erste Fusionskraftwerk – tatsächlich Mitte des Jahrhunderts ans Netz gehen kann?

Hartmut Zohm: Wenn die Finanzierung steht und man es wirklich will, halte ich ein Demonstrationskraftwerk bis 2050 für realistisch. Länder wie Großbritannien oder China investieren massiv. Aber selbst wenn DEMO 2050 läuft, heißt das noch nicht, dass Fusion sofort einen relevanten Beitrag zur globalen Energieversorgung leistet. Das wird dann noch 20 bis 30 Jahre länger dauern – also eher Richtung 2080.

LEADERSNET: Wenn es soweit ist – verdrängt Fusion dann Öl, Gas und Kohle vollständig?

Hartmut Zohm: Verdrängen, nein – aber stark ersetzen. Wir müssen ohnehin weg von fossilen Brennstoffen. Fusion könnte in Ländern mit Kernkraft die Spaltung ablösen und anderswo Kohle- und Gaskraftwerke. Deutschland ist trotz seines großen Ausbaus von erneuerbaren Energiequellen nach Polen immer noch der zweitgrößte CO₂-Emittent pro Kopf in Europa – wegen der Kohle. Ohne zusätzliche CO₂-freie Kraftwerke wird das nicht besser.

LEADERSNET: Sie betonen, dass Fusionsabfall deutlich weniger problematisch sei als Spaltungsabfall. Dennoch entsteht auch bei der Fusion radioaktives Material. Nach Fukushima und Tschernobyl ist die Öffentlichkeit skeptisch gegenüber allem, was mit Kernenergie zu tun hat. Wie erklären Sie einer atomkritischen Öffentlichkeit den Unterschied zwischen "guter" und "schlechter" Radioaktivität?

Hartmut Zohm: Zunächst: In der Fusion gibt es keine Kettenreaktion. Ein Spaltungsreaktor muss aktiv reguliert werden, damit er nicht durchgeht – fällt die Regelung aus, droht ein Unfall. Bei Fusion gibt es nur wenige Sekunden Brennstoff im Gefäß. Das Schlimmste, was passieren kann, ist: Die Reaktion hört einfach auf. Ein Super-GAU ist prinzipiell ausgeschlossen.
Und zum Abfall: Ja, es entsteht radioaktives Material, aber von anderer Qualität. In Spaltkraftwerken fallen hochradioaktive Abfälle mit extrem langen Halbwertszeiten an – dafür haben wir bis heute keine Lösung. In Fusionsanlagen entsteht zwar mehr Volumen an "niedrigerem" Abfall, aber der zerfällt innerhalb von Jahrzehnten bis Jahrhunderten – nicht über Jahrtausende. Das ist ein entscheidender Unterschied.

Stephan Worseck
Im obigen Abschnitt: "Technologisch ist die größte Hürde das sogenannte Tritium-Brüten im Reaktor. Dafür entsteht in Granada die Forschungsanlage "IFMIF-DONES", die in den 2030er Jahren in Betrieb gehen soll. " stimmt nur der erste Satz. Das kann man auch im TAB Bericht (doi:10.5445/IR/1000177720) nachlesen. Und mir scheint, dass man auch mit dem neuen "Aktionsplan Fusionskraftwerk" dieses relevante Thema mit den Start-Ups nicht angeht.
Übrigens soll in Granada nur Materialtestung durchgeführt werden. Denn das ist der zweite echte Forschungsbedarf laut TAB Bericht.

ABER bei all den technischen Problemen der Kernfusion wird in der Diskussion vergessen, dass es Gründe gibt, dass die Gesellschaft diese Technologie nicht benötigt (siehe Worseck S., Dittmar M., Benner H., Holländer U.: Bitte Kernfusion nur auf der Sonne! Sammlung von Argumenten gegen die Kernfusion auf der Erde.; Januar 2025
https://www.atomreaktor-wannsee-dichtmachen.de/downloads.html?download=99)

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